Profis bei der Arbeit (133)

"Alte Bücher sind spannender als neue" - Manfred Borg ist Antiquar

Manfred Borg (l.) und der Namensgeber seines Antiquariats
Fotos: Carina Jirsch

27.08.2018 / FULDA - "Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler." Der weise Tipp von Autor Phillippe Djian hängt gleich links am Bücherregal neben der Eingangstür im Ulenspiegel, Buchhandlung und Antiquariat in der Fuldaer Löherstraße. Menschen, deren Lektüre sich auf dem Nachttisch stapelt, die meist mehrere Lieblingsautoren haben und deren Regale sich unter der Last gelesener Lebenserfahrung biegen, muss man diese feine Adresse nicht erklären. Doch der Begriff Antiquariat ist durchaus nicht jedem geläufig. Neben dem Angebot an lesenswerten Neuerscheinungen wird hier auch mit gebrauchten Büchern gehandelt, die zum Teil mehr als hundert Jahre auf dem Buchrücken haben. Dass sich hier rund 25.000 Titel auf 130 Quadratmetern versammeln, vermag den Charme dieser Buchhandlung für Kenner nicht hinreichend zu beschreiben.



"Neue Bestseller vom Stapel weg zu verkaufen, macht mir keinen Spaß", erläutert Inhaber Manfred Borg. Deshalb findet man hier weder den neuesten Ratgeber zum Thema Ernährung noch gängige Unterhaltungsliteratur. Seine Profession erschließt sich schnell, wenn man zum Schmökern in einem der bequemen Sessel versinkt und seine Besucher beobachtet. Etwas schüchtern zeigt ein Kunde den geerbten ledergebundenen Folianten vor und harrt der Beurteilung des Fachmanns: eine leicht stockfleckige Bibel von 1698. Manfred Borg blättert vorsichtig, schaut in aktuelle Auktionskataloge, zeigt dem Besitzer auch die Mängel der Ausgabe, ehe er einen Schätzpreis nennt. Ankaufen wird er die Bibel nicht, doch der Kunde hat jetzt ein fundiertes Expertenurteil und kann das Buch gezielter anbieten.

Keine zehn Minuten später sind es Eisenbahnbücher, die zur Begutachtung auf seinem Schreibtisch landen. Auch dieser Besitzer macht kein Geschäft - zu speziell, zu häufig und zu neu ist das Angebot, doch er weiß jetzt, wo er sie inserieren könnte. "Von zehn Offerten lehne ich neun ab", desillusioniert Borg all diejenigen, die daheim noch ein altes "Schätzchen" von der Oma liegen haben oder ausgelesene Krimis zu Geld machen wollen. Er kauft aus Nachlässen nur, was in sein anspruchsvolles Programm passt - Literatur, Lyrik, Fuldensien, Kunst- und Bilderbücher, Fotobildbände, auch Grafik - und handelt nebenbei mit gutem Wein aus seiner Pfälzer Heimat. Gerade hat er einen größeren Posten philosophischer Werke aus einem Nachlass gekauft. "Damit gestalte ich ein Schaufenster und bin dann eben gerade eine Philosophiebuchhandlung." Seine Stammkunden nutzen auch das moderne Antiquariatsangebot rege. Dass man einen aufwendigen Fotobildband günstig, die neueste Ulla Hahn schon für 10 Euro haben kann, freut die Bibliophilen.

Seit 36 Jahren ist der gebürtige Speyerer beruflich in der Welt der Bücher tätig, obwohl er einst in Göttingen Jura und Soziologie studierte, aber eigentlich mehr Hochschulpolitik gemacht hat. Als seiner damalige Freundin eine Stelle in Fulda angeboten wurde, ging er mit. "Wir mussten erstmal auf der Karte gucken, wo das überhaupt liegt." Mit der eher spröden Wesensart der Einheimischen wurde er nur langsam warm, heute schätzt er die nahe Rhön. Wer im Ulenspiegel unschlüssig nach einem Geschenk stöbert, kommt in den Genuss seiner fundierten Beratung. Borgs Lesungen, die sich durch die intime Nähe zum Publikum und den beseelenden Weinkonsum auszeichnen, sind legendär, man trifft dabei unweigerlich spannende Leute. Auf seinen privat bevorzugten Autor H. C. Artmann passt auch das Adjektiv, mit dem der 66-Jährige gern gute Lektüre adelt: saftig. Das trifft auch auf die in einer kleinen Ecke im Keller gelagerte Sammlung von Erotikliteratur zu. Im Ulenspiegel kann man Schätze heben. (Carla Ihle-Becker) +++

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