Premierenkritik zu "Wie im Himmel"

Mitreißend und bewegend: Hinkels Film-Adaption begeistert das Publikum

"Wie im Himmel", unter anderem mit Brigitte Grothum, Sandy Mölling, Henry Arnold und Walter Kreye, feierte am Freitagabend Premiere bei den 73. Bad Hersfelder Festspielen.
Fotos: Christopher Göbel

28.07.2024 / BAD HERSFELD - "Jeder Mensch hat seinen Ton". Dieser Satz aus dem Theaterstück "Wie im Himmel", das am Freitagabend seine Premiere bei den 73. Bad Hersfelder Festspielen feierte, ist nur eines der Zitate, das nachdenklich macht. Intendant Joern Hinkel hat das Stück nach dem gleichnamigen schwedischen Erfolgsfilm von Kay Pollack für die Bühne adaptiert. Mit einem großartigen Ensemble hat Hinkel eine Theaterfassung geschaffen, die berührt und gleichzeitig unterhält.



Der weltbekannte Dirigent Daniel Daréus (brillant gespielt von Henry Arnold) kehrt nach einem Herzinfarkt in sein Heimatdorf zurück. Unerkannt übernimmt er den Kirchenchor und trifft dort auf Menschen, die mit ihrem Leben zufrieden sind - oder es zumindest klaglos ertragen. Weil er selbst bereit ist, sein Leben von Grund auf zu ändern, gelingt es ihm, auch die Menschen des Dorfes zu (ver-)ändern - ohne die feste Absicht dazu. Eine wichtige Rolle spielt die Musik, die Jörg Gollasch für Bad Hersfeld komplett neu komponiert hat, und die sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung zieht. Dass Arnold sowohl dirigieren kann als auch Klavier spielt, macht die mitreißende Inszenierung umso glaubhafter.

Ein Spiegel der Menschheit

Der Chor ist dabei der Spiegel der Menschheit. Da gibt es zum Beispiel Lena (Helena Charlotte Sigal), die als flatterhaft gilt, aber eigentlich eine nach der wahren Liebe suchende junge Frau ist. Es gibt Arne (Wolfgang Seidenberg), den selbsternannten Chef, der recht rücksichtslos seine Ideen durchboxt. Und da ist Siv (Anna Graenzer), die ehemalige Chorleiterin, die unglücklich verliebte, verklemmte Verräterin. Da ist Holmfried (Günter Alt), das jahrzehntelange Mobbing-Opfer. Da sind Olga (Brigitte Grothum) und Erik (Walter Kreye), die erst im Alter den Mut finden, sich ihre Liebe einzugestehen. Da sind Inger (Bettina Hauenschild), die mutige Pfarrersgattin, und ihr Mann Stig (Jürgen Hartmann), der überhebliche Gottesmann.

Und da ist Gabriella (Sandy Mölling), die misshandelte Mutter, die unter ihrem gewalttätigen Ehemann Conny (Mathias Znidarec) leidet. Thore (Peter Englert) ist ein junger Mann mit geistiger Beeinträchtigung, der über sich hinauswächst. Und es gibt Amanda (Marina Lötschert), die immer fröhliche Ulknudel, und den Musikagenten (Thorsten Nindel), der sich damit abfinden muss, dass er mit Daniels Rückzug viel verloren hat.

Bravouröse Bühnenadaption

Hinkel hat die Adaption vom Film, der die Geschichte mit Rückblenden und Schnitten erzählt, auf die Bühne bravourös gemeistert. Vergangenheit und Gegenwart verknüpfen sich auf der Bühne mit Kinder-Darstellern, die über die Bühne laufen und Daniels Erinnerungen darstellen. Das Bühnenbild (Jens Kilian) zeigt vor allem die Kirche, in der sich fast alles abspielt. Birken in der Apsis unterstützen den dörflichen Charakter. Die zeitlosen Kostüme (Kerstin Micheel) reichen von Weihnachts-Outfits bis zum Western-Style.

Es ist Winter, als Daniel zurückkehrt. Kurz vor dem Julfest probt der Chor "Es ist ein Ros' entsprungen" - mehr schlecht als recht. Der Musiker hört zu. "Da war schon viel Schönes dabei", sagt er. Mit diesem Satz erregt er den Wunsch der Chormitglieder, besser zu werden. Im Laufe des Stückes kommen immer mehr Sängerinnen und Sänger dazu - bis zum großen Finale und der Teilnahme an einem internationalen Chorwettbewerb in Wien. Doch der Weg dorthin ist schwer und in dem kleinen Dorf bleibt nichts, wie es einmal war. "Das haben wir schon immer so gemacht" ist passé. Daniels Spirit bringt die Dorfgemeinschaft voran, verändert alle und alles auf subtile Weise. Auch ihn selbst. Das Ganze ist garniert mit einer wohldosierten Prise Humor und Wortwitz.

Die Leistung des gesamten Ensembles - von der Hauptrolle Henry Arnolds bis zu den rund 40 Chorsängerinnen und Chorsängern, die sich aus dem Chorverein, der Kantorei der Stadtkirche und dem Arbeitskreis für Musik zusammensetzen, ist atemberaubend (Choreinstudierung: Helgo Hahn). Hinkel hat die Dorfbewohner perfekt besetzt und schafft so ein glaubwürdiges Gefüge. Das Tempo des Stückes steigert sich von Szene zu Szene. Die Musik von Jörg Gollasch, die vom Kirchenchoral über einen Westernsong bis zum mitreißenden Finalsong reicht, spielt mit Motiven, die den Charakteren zugeordnet sind. Dass für manche Zuschauenden beispielsweise "Gabriellas Lied" aus dem Film fehlt, wird durch die großartige Version Gollaschs mehr als kompensiert.

Mut zur Veränderung

Einige Szenen berühren mehr als andere: Als Holmfried ausflippt (großartig: Günter Alt), als Thore sich vor Angst einnässt (bewundernswert: Peter Englert), als Inger ihrem Pfarrersmann die Leviten liest (sehr bewegend: Bettina Hauenschild) oder als Daniel von Conny fast zu Tode geprügelt wird und der Chor zeitgleich in dessen Wohnzimmer singt, bringen emotionale Tiefe. Wie bereits erwähnt: Der Chor ist ein Abbild der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die den Mut zur Veränderung und die auch die Kraft zur Veränderung hat.

"Wie im Himmel" ist ein Sozialdrama der besonderen Art, das im Reigen der diesjährigen Festspiel-Produktionen heraussticht. "Es ist das Stück, das am meisten nachdenklich macht", sagte Bürgermeisterin Anke Hofmann auf der Premierenfeier. Und sie hat Recht, denn jede und jeder Zuschauende findet vielleicht ein bisschen von dem ein oder anderen Chormitglied in sich selbst. Und vielleicht hat der eine oder die andere nach diesem Theater-Erlebnis selbst den Wunsch, etwas zu verändern...

"Gabriellas Lied" als Zugabe

Langer, frenetischer Applaus des Premierenpublikums belohnte das gesamte Ensemble nach rund drei Stunden Theater. Unüblich bei einem Theaterstück: "Gabriellas Lied", das mit ähnlichen Intervallsprüngen eine würdige Hommage an den Filmsong ist, erklang als Zugabe. (Christopher Göbel) +++

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