Kritik zu "Die Dreigroschenoper"
Bunt, skurril, voller Witz und Musikalität: Schachermaiers Inszenierung begeistert
Fotos: Carina Jirsch
24.06.2024 / BAD HERSFELD -
Die "Dreigroschenoper" - kaum ein Stück von Bertolt Brecht ist so bekannt. Zusammen mit Elisabeth Hauptmann und Komponist Kurt Weill hat Brecht ein Werk geschaffen, dass tief in die Seelen der Menschen blickt, Abgründe auslotet und auch die Liebe (irgendwie) an ihre Grenzen führt. Die Eröffnungspremiere der 73. Bad Hersfelder Festspiele war eine rundum gelungene Inszenierung, die am Freitagabend mit frenetischem Beifall gefeiert wurde.
Mackie Messer, der maliziöse Liebende
Schon der Beginn ist anders als üblich: Statt aus dem Turm erklingt die Festspielfanfare auf der Bühne, gespielt vom siebenköpfigen Musiker-Ensemble. Der wohl bekannteste Song, die "Moritat von Mackie Messer" wird vom gesamten Ensemble gesungen, das sich gleich in der ersten Szene dem Publikum in Gänze präsentiert. Mackie Messer, brillant verkörpert von Simon Zigah, in silberglitzernder Jacke und roter Hose könnte auch ein Bandenchef von heute überall in der westlichen Welt sein. Wenn er lächelt, schimmert immer ein maliziöser Zug um seine Augen - er ist der unangefochtene Boss seiner Gang. Zigah spielt den Mackie Messer mal als weichen Liebenden, mal als mordenden und sämtliche Konventionen verachtenden Mann. Mitreißend auch seine Beichte ("Grabschrift") im dritten Akt an zwei langen Ketten gefesselt. Die Peachums, ein schrilles Paar
Ein schrilles Paar sind auch Pollys Eltern Celia und Jonathan Peachum. Angeblich besorgt um das Wohl der Tochter offenbart sich doch, dass sie eigentlich nur dem finanziellen Einsatz ihrer Erziehung hinterhertrauern ("Sie war so teuer wie ein Segelschiff"). Dass Polly den Gangsterboss Macheath (Mackie) geheiratet hat, liegt den beiden schwer im Magen. Und so wollen sie mit Mackies Verhaftung dafür sorgen, dass Polly die Augen geöffnet werden. Katharina Pichler spielt die Celia als schrille, Alkohol-liebende "Tussi", die vor allem ihren eigenen Vorteil liebt. Götz Schulte als Peachum stellt den Bettler-Boss als nicht ganz so auffälligen, aber im Hintergrund agierenden Mann dar. Vielleicht hätte seine recht präsente Rolle noch ein wenig mehr herausgearbeitet werden können. Gut und böse zugleich
Oliver Urbanski als Polizeichef Tiger Brown stellt die innere Zerrissenheit zwischen der Freundschaft zu Mackie einerseits und den Zwängen seiner Verhaftung andererseits bravourös dar. Im Glitzer-Outfit mit roter Leuchtfackel ist Urbanski am Ende der "reitende Bote", der Mackies Rettung vor dem Galgen verkündet. Schachermaier hebt mit dieser absurden Szenerie das heraus, was Brecht wohl meinte: Der Verbrecher wird von der Königin begnadigt, mit einem jährlichen Gehalt ausgestattet und dazu noch in den Adelsstand erhoben. Der Gauner wird zum Edelmann - was in Brechts kommunistischer Denkweise bedeutet: Egal ob Adel, Bürgertum oder Unterwelt - alle sind gut und böse zugleich. Und eigentlich sind alle Menschen gleich. Vor den Augen der Mutter Gottes
Die Bad Hersfelder "Dreigroschenoper" ist bis in die kleinsten Rollen brillant besetzt. Auch die große Statisterie beeindruckt. Schachermaier hat eine unterhaltsame und lebendige "Dreigroschenoper" geschaffen, die mit einem einzigen Bühnenbild (Volker Hintermeier) auskommt. Lediglich das Bordell wird im Laufe des Stückes zu Mackies Todeszelle. Der Mond in der Apsis strahlt durchgehend, ebenso wie die Leuchtschrift "Sinners Inn" im großen Bogen.Ein Geniestreich auch die fast durchgehend auf der Bühne stehende, geraubte Marien-Statue in Mackies Behausung - die gelegentlich in zu unchristlichen Momenten die Augen zugehalten bekommen muss. Wortwitze bereichern die Inszenierung und bringen das Publikum zum Schmunzeln - aber ohne die Ernsthaftigkeit jemals zu gefährden. Dass die Bad Hersfelder Inszenierung eher in der Moderne angesiedelt ist, zeigt Schachermaier am Ende: Sowohl Mackie Messer und Tiger Brown als aus Polly und Lucy versinken in innigen Küssen.
Fazit
Michael Schachermaiers "Dreigroschenoper" reißt mit. Brechts Gesellschaftskritik überzeichnet der Regisseur durch die Skurrilität der Protagonisten, die alle ambivalente Züge beinhalten. Sehenswert ist die "Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen auf jeden Fall. Die politische Aussage bleibt bestehen, aber in ein schrilles Gewand gekleidet, das kurzweilig unterhält und die nahezu 100 Jahre alte "Dreigroschenoper" ins Hier und Jetzt katapultiert. (Christopher Göbel) +++
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