Kritik zu "Die Dreigroschenoper"

Bunt, skurril, voller Witz und Musikalität: Schachermaiers Inszenierung begeistert

Mackie Messer (Simon Zigah) und sein bester Freund Tiger Brown (Oliver Urbanski) in der Bad Hersfelder Inszenierung der "Dreigroschenoper".
Fotos: Carina Jirsch

24.06.2024 / BAD HERSFELD - Die "Dreigroschenoper" - kaum ein Stück von Bertolt Brecht ist so bekannt. Zusammen mit Elisabeth Hauptmann und Komponist Kurt Weill hat Brecht ein Werk geschaffen, dass tief in die Seelen der Menschen blickt, Abgründe auslotet und auch die Liebe (irgendwie) an ihre Grenzen führt. Die Eröffnungspremiere der 73. Bad Hersfelder Festspiele war eine rundum gelungene Inszenierung, die am Freitagabend mit frenetischem Beifall gefeiert wurde.



Regisseur Michael Schachermaier hat eine schrille, bunte und teilweise skurrile "Dreigroschenoper" erschaffen, die von starken Charakteren und imposanten Bildern lebt und auch musikalisch auf höchstem Niveau rangiert. Bis in die kleinsten Rollen perfekt besetzt ist die Bad Hersfelder Inszenierung ein Genuss für Auge, Ohr - und natürlich das Gehirn. Zeitlos ist sie, denn die Menschheit hat sich seit Brechts Zeiten kaum verändert. Es gibt noch immer gute und böse, bestechliche, liebende, eifersüchtige und hinterhältige, arme und reiche Menschen auf dieser Welt.

Mackie Messer, der maliziöse Liebende

Schon der Beginn ist anders als üblich: Statt aus dem Turm erklingt die Festspielfanfare auf der Bühne, gespielt vom siebenköpfigen Musiker-Ensemble. Der wohl bekannteste Song, die "Moritat von Mackie Messer" wird vom gesamten Ensemble gesungen, das sich gleich in der ersten Szene dem Publikum in Gänze präsentiert. Mackie Messer, brillant verkörpert von Simon Zigah, in silberglitzernder Jacke und roter Hose könnte auch ein Bandenchef von heute überall in der westlichen Welt sein. Wenn er lächelt, schimmert immer ein maliziöser Zug um seine Augen - er ist der unangefochtene Boss seiner Gang. Zigah spielt den Mackie Messer mal als weichen Liebenden, mal als mordenden und sämtliche Konventionen verachtenden Mann. Mitreißend auch seine Beichte ("Grabschrift") im dritten Akt an zwei langen Ketten gefesselt.

Und doch liebt er seine Polly Peachum, die er auf einem Hinterhof im Londoner Stadtteil Soho ehelicht, offensichtlich aufrichtig. Polly, die Tochter des "Unternehmens-Chefs" einer Bettler-Community, wird beeindruckend von Gioia Osthoff dargestellt. Die Metamorphose von der Tochter aus "gutem" Hause über die eifersüchtige Liebende bis zum Drogenboss am Ende spielt Osthoff mit größter Glaubhaftigkeit. Alleine die gepresste Sprechstimme will manchmal nicht zu ihr passen. In ihren Songs, darunter dem von der Seeräuber-Jenny und der Barbara-Song, brilliert sie.

Die Peachums, ein schrilles Paar

Ein schrilles Paar sind auch Pollys Eltern Celia und Jonathan Peachum. Angeblich besorgt um das Wohl der Tochter offenbart sich doch, dass sie eigentlich nur dem finanziellen Einsatz ihrer Erziehung hinterhertrauern ("Sie war so teuer wie ein Segelschiff"). Dass Polly den Gangsterboss Macheath (Mackie) geheiratet hat, liegt den beiden schwer im Magen. Und so wollen sie mit Mackies Verhaftung dafür sorgen, dass Polly die Augen geöffnet werden. Katharina Pichler spielt die Celia als schrille, Alkohol-liebende "Tussi", die vor allem ihren eigenen Vorteil liebt. Götz Schulte als Peachum stellt den Bettler-Boss als nicht ganz so auffälligen, aber im Hintergrund agierenden Mann dar. Vielleicht hätte seine recht präsente Rolle noch ein wenig mehr herausgearbeitet werden können.

Jenny, die Prostituierte und ehemalige Geliebte von Mackie, wird verkörpert von Anna Loos. Beim "Salomon-Song" zeigt die Schauspielerin, dass sie eine ebenso gute Sängerin ist. Als Spelunken-Jenny verrät sie Mackie an die Peachums - die alte Verbundenheit des Geldes wegen über den Haufen werfend. Man darf gespannt sein, wie Lilo Wanders ab dem 6. August die letzten fünf Vorstellungen diese Rolle interpretieren wird. Schachermaier wollte keinen "Ersatz" für Anna Loos, sondern eine komplett andere Darstellung.

Gut und böse zugleich

Oliver Urbanski als Polizeichef Tiger Brown stellt die innere Zerrissenheit zwischen der Freundschaft zu Mackie einerseits und den Zwängen von dessen Verhaftung andererseits bravourös dar. Im Glitzer-Outfit mit roter Leuchtfackel ist Urbanski am Ende der "reitende Bote", der Mackies Rettung vor dem Galgen verkündet. Schachermaier hebt mit dieser absurden Szenerie das heraus, was Brecht wohl meinte: Der Verbrecher wird von der Königin begnadigt, mit einem jährlichen Gehalt ausgestattet und dazu noch in den Adelsstand erhoben. Der Gauner wird zum Edelmann - was in Brechts kommunistischer Denkweise bedeutet: Egal ob Adel, Bürgertum oder Unterwelt - alle sind gut und böse zugleich. Und eigentlich sind alle Menschen gleich.

Glaubhaft spielt auch Laura Dittmann als Browns Tochter Lucy, die ebenfalls ein Liebesverhältnis mit Mackie pflegt - was im Eifersuchtsduett mit Polly im Knast sichtbar wird. Bijan Zamani überzeugt sowohl als Bettler Filch als auch als prolliger Pastor Kimball. Nicht zu vergessen Mackies "Gang", bestehend aus Simon Jaritz-Rudle (Münzmatthias), Enrico Riethmüller (Ede, Sägerobert), Andres Mendez (Hakenfingerjakob), Raphael Kübler (Trauerweidenwalter) und Uriel Jung (Jimmy).

Vor den Augen der Mutter Gottes

Die Bad Hersfelder "Dreigroschenoper" ist bis in die kleinsten Rollen brillant besetzt. Auch die große Statisterie beeindruckt. Schachermaier hat eine unterhaltsame und lebendige "Dreigroschenoper" geschaffen, die mit einem einzigen Bühnenbild (Volker Hintermeier) auskommt. Lediglich das Bordell wird im Laufe des Stückes zu Mackies Todeszelle. Der Mond in der Apsis strahlt durchgehend, ebenso wie die Leuchtschrift "Sinners Inn" im großen Bogen.

Ein Geniestreich auch die fast durchgehend auf der Bühne stehende, geraubte Marien-Statue in Mackies Behausung - der gelegentlich in zu unchristlichen Momenten die Augen zugehalten werden. Wortwitze bereichern die Inszenierung und bringen das Publikum zum Schmunzeln - aber ohne die Ernsthaftigkeit jemals zu gefährden. Dass die Bad Hersfelder Inszenierung eher in der Moderne angesiedelt ist, zeigt Schachermaier am Ende: Sowohl Mackie Messer und Tiger Brown als auch Polly und Lucy versinken in innigen Küssen.

Doch was wäre ein "Stück mit Musik" ohne die Musiker? Unter der Leitung von Lukas Mario Maier sind Leo Gmelch, Norbert Bürger, Lukas Diller, Johannes Moritz, David Pätsch, Rich Laughlin und Claudius Stahlbaum stets zuverlässige Begleiter des Ensembles, sind aber gelegentlich auch Teil der Inszenierung. Im Campingwagen am linken Bühnenrand untergebracht, sind sie stets präsent. Die Besonderheit der Premiere: Zwei Musiker standen im Stau, sodass die ersten zwei Akte ohne sie gespielt werden mussten. Das fiel aber kaum auf, denn der Rest der Band kompensierte die Fehlenden. Nach der Pause war die Band dann wieder komplett.

Fazit

Michael Schachermaiers "Dreigroschenoper" reißt mit. Brechts Gesellschaftskritik überzeichnet der Regisseur durch die Skurrilität der Protagonisten, die alle ambivalente Züge beinhalten. Sehenswert ist die "Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen auf jeden Fall. Die politische Aussage bleibt bestehen, aber in ein schrilles Gewand gekleidet, das kurzweilig unterhält und die nahezu 100 Jahre alte "Dreigroschenoper" ins Hier und Jetzt katapultiert. (Christopher Göbel) +++

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