Ein Kapitel Industriegeschichte endet

Diese Bilder haben Sie nie gesehen! - Zur Geschichte der Fuldaer Gummiwerke

Der Fotograf hatte in den 70er Jahren eigens ein Modell aus Frankfurt beim Arbeitsamt bestellt und im Auftrag des Direktor diese Werbung in der Produktion fotografiert
Foto. Erich Gutberlet

29.09.2025 / FULDA - In diesen Tagen endet ein frühes Kapitel Industriegeschichte, das in Fulda seine tiefen (Reifen-)Spuren hinterlassen hat. Gegründet 1900 bestimmten die Gummiwerke mit der sich ausdehnenden Fabrik das Bild der Stadt und gaben ganzen Generationen in Fulda Lohn und Brot. Jetzt ist im Goodyearwerk an der Künzeller Straße der letzte Reifen vom Band gerollt, über tausend Mitarbeiter haben trotz vieler Proteste ihren Job verloren. Der Letzte macht am 30. September 2025 das Licht aus.


Wir blicken im Folgenden auf die lange Firmengeschichte zurück und zeigen Ihnen Bilder aus dem Fuldaer Stadtarchiv, die für die meisten Leser neu sein dürften. In der Produktion hatten immer nur die Mitarbeiter Zutritt, zu groß war die Angst vor Werkspionage, denn die Reifenrezeptur war geheim. Mit der Schließung der Gummiwerke in Fulda ist der Niedergang des einstigen Vorzeigeunternehmens noch nicht zu Ende. Auch in der Goodyear-Verwaltung in Hanau sollen Stellen abgebaut oder ins Ausland verlagert werden. Und die Reifenproduktion in Fürstenwalde steht ebenfalls vor dem Aus. Ab kommenden Monat werden die letzten Produktionsanlagen in Fulda demontiert, das soll sich bis März nächsten Jahres hinziehen. Was dann aus dem weitläufigen Werksgelände wird, steht noch nicht fest. Der gesamte Werkskomplex ist ein Kulturdenkmal und steht unter Denkmalschutz.

Firmengründung

Die 1866 eröffnete Bahnstrecke Hanau-Bebra ist auch in Fulda der Auslöser für die Ansiedlung zahlreicher Industriebetriebe in der unmittelbaren Umgebung. Die Firmen profitieren von der direkten Bahnanbindung. Deshalb siedeln sich auch die Gummiwerke in der Nähe der Bahnlinie an der Straße nach Künzell an.

Mit der Firmengründung im Jahr 1900 durch Gustav Becker und Moritz Hasenclever wurde mit dem Bau der ersten Produktionsbauten begonnen, sodass 1901 mit der Produktion von Gummiwaren gestartet werden konnte. Zu Beginn wurden hauptsächlich Haushaltswaren hergestellt, z.B. Schuhabsätze, Dichtungsringe oder Radiergummis, daneben auch Reifen für Kinderwagen und Pferdekutschen. 1906 wurde die Produktion um Fahrrad- und Motorradreifen und Reifen für weitere motorisierte Fahrzeuge erweitert. Damals war der Fahrradreifen Diadem das meistverkaufte Produkt des Unternehmens, auf den sogar eine einjährige Garantie gegeben wurde. 1910 startete die Produktion des Sembusto-Reifens für Lastwagen, die mit Stahlfedern in der Felge ausgestattet waren und die bisherigen Vollgummireifen ersetzten. 1918 wurde die Herstellung technischen Gummiwaren zugunsten der Reifenproduktion eingestellt.

Die ständig wachsende Produktion machte auch die Erweiterung des Werksgeländes notwendig. Sie erfolgte in den ersten Jahren nach der Gründung zunächst nur in kleinen Schritten nach Bedarf. Anfang der 1920er-Jahre wurde die Produktion von Lastwagenreifen, sogenannten Riesenkissenreifen wegen hoher Nachfrage stark ausgeweitet. Der erste pneumatische Reifen ging 1929 in die Produktion.

Ab 1936 begann die Kriegsproduktion. Dafür wurden die Produktionsflächen erweitert und ein neues Kessel- und Maschinenhaus errichtet. Für die in der Fabrikation eingesetzten Zwangsarbeiter wurden auf dem Werksgelände eigene Unterkünfte gebaut.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Werk durch Bombenangriffe fast vollständig zerstört, der Wiederaufbau erfolgte nach dem Vorbild von 1936. Nach der Wiedereröffnung des Fulda Reifenwerks begann man zunächst mit der Herstellung von technischen Gummiprodukten und Produkten für die Reparatur von Gummireifen und Schläuchen. Schon 1946 lief die Reifenproduktion wieder voll an. Zum fünfzigjährigen Jubiläum 1950 war der Wiederaufbau des Werkes größtenteils abgeschlossen. Das in den 1950er Jahren prosperierende Unternehmen mit wachsender Belegschaft setzte seine wirtschaftlichen Erfolge auch mit dem Bau des fast 25 Meter hohen Verwaltungsbaus in Szene, das war damals das höchste profane Gebäude in Fulda. Das Werksgelände wurde durch ein neues Kesselhaus, ein Reifenlager und einen Schornstein kontinuierlich erweitert. 1962 übernahm die Goodyear Tire & Rubber Company aus Akron in Ohio die Gummiwerke. Seit 2009 gehört das Werk zur Goodyear Dunlop Gruppe.

Innovationen bei der Reifenherstellung sind ein Markenkern der Gummiwerke. 1950 liefen die ersten Fulda-Winterreifen mit der internationalen Kennzeichnung M+S (Matsch und Schnee) vom Band. Ein neues Motorradreifen-Profil "Fulda-Rasant" und ein schlauchloser Pkw-Reifen kommt auf den Markt. Mit Spectral wird der erste Fiberglasgürtelreifen produziert. Unter dem Motto "Schwarz, breit, stark" startet 1986 eine neue Werbekampagne mit schwarzen Tier-Motiven, die die verschiedenen Reifeneigenschaften symbolisieren sollen. Fulda-Reifen wird 1997 Hauptsponsor beim Yukon Quest, dem härtesten Hundeschlittenrennen der Welt. Der Schlittenhund soll die Winterreifen-Kompetenz von Fulda symbolisieren. Im Jahr 2000 feiert das Unternehmen sein 100-jähriges Bestehen mit einer großen Party. Trotz der Werksschließung bleibt die Marke Fulda bestehen. (ci)+++

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