Viertelfinale Deutschland - Spanien 1:2 n.V.

Bitterer und später Schock für DFB-Elf: Merino köpft die Iberer ins Glück

Tüchtig was los war wieder mal im Bermuda-Dreieck
Fotos: Carina Jirsch

06.07.2024 / FULDA - Aus. Aus und vorbei. Trauer und Tränen in Fußball-Deutschland. In allerletzter Minute musste die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes im Viertelfinale der Europameisterschaft in Stuttgart eine bittere 1:2 (1:1)-Niederlage gegen Spanien schlucken. Imponierende Moral, viel Mut und Herz nach dem 0:1-Rückstand halfen der DFB-Elf nicht, um bis ins Ziel Halbfinale zu kommen. Beeindruckend aber auch die fußballerische Ruhe der Spanier. Zurück blieb ein tolles Fußballspiel - nach höhepunktarmer erster Halbzeit machte sich zunehmend Dramatik breit.

O|N lädt Sie ein, kurz mitzukommen an den Taktik-Tisch. Was spricht für die DFB-Elf: Da ist die starke Offensiv-Leistung. Allen voran Toni Kroos, Zünder und Schlüsselfigur im Spiel mit dem Ball; je mehr er in der gegnerischen Hälfte kicken kann, desto schwerer hat's der Gegner. Dazu Kapitän Gündogan, Kopf des Teams, Virtuose Musiala und/oder Wirtz oder Sané. Dazu Havertz in der Spitze, der zuletzt gegen Dänemark seine stärkste Leistung des Turniers ablieferte. Das DFB-Team demonstrierte bislang bei der EM durchaus Geschlossenheit - doch im Spiel gegen den Ball hat es Reserven. So gut es offensive Räume besetzt, so anfällig ist es bei defensiven Räumen. Entweder sind die Sechser Kroos/Andrich zu offensiv - oder es tun sich Löcher auf zwischen Abwehrkette und Mittelfeld. Pluspunkte aber ganz klar: Fans, Stimmung, Atmosphäre - und auch Heimvorteil?

Was spricht für Spanien? Bei keiner Nationalmannschaft der Welt ist die Mixtur von Pressing und Gegenpressing so stimmig. Die DFB-Elf versteht sich darauf auch gut, aber Spaniens Abläufe sind die Besten. Nicht durch die Mittelfeld-Dreier-Formation Rodri, Pedri und Fabian Ruiz. Sagte nicht Gündogan über seinen einstigen Man-City-Mitspieler Rodri nicht: "Der beste Holding-Mitfielder der Welt." Also Sechser. Viele behaupten, das Duell zwischen Deutschland und Spanien werde im Mittelfeld entschieden. Bleibt die spanische Flügelzange mit den "Himmelsstürmern" Nico Williams (links) und Lemaine Yamal (rechts). Kann es sich Deutschlands Rechtsverteidiger Kimmich erlauben, so offensiv zu sein im Duell mit Williams? Auf der linken Seite könnte die DFB-Elf Vorteile haben - mutmaßlich Raum gegen das defensiv anfällige "Wunderkind" Yamal.

Plätze hier in den Epizentren des Bermuda-Dreiecks? Schwer. Schon eine Stunde vor Spielbeginn ist es mit einem Sitzplatz schwierig. Sehr schwierig. Stehplätze? Auch nicht leicht. Fußball pur. Und die mehrheitlichen jungen Gäste machen gleich Party. Kriegt man noch Luft in der Altstadtkneipe? Etwas.

Aufstellung: Der Dortmunder Emre Can, der für Robert Andrich auf der Sechs beginnt, und der Bayer-Angreifer Leroy Sané - wieder für den Leverkusener Wirtz drin - stehen in der Anfangself. Jonathan kehrt erwartungsgemäß in der Viererkette zurück. Spanien beginnt unverändert - im Vergleich zu den ersten Spielen dieser EM.

Genug gelabert, es geht endlich los. Warum diskutieren Kroos und Gündogan nach Kroos' Foul an Pedri? Die DFB-Elf ist um Körperhärte bemüht, sollte es aber nicht übertreiben. Das sah verdächtig nach früher Gelber Karte aus. Rüdiger sieht wenig später Gelb, nach Foul am eingewechselten Olmo - gute Freistoßposition für Spanien. 18 Meter bis zum Tor. Yamal versucht es flach - vorbei.

Deutschland hat einige Male schon in dieser Anfangsphase über links Platz - auf der Gegenseite zieht Fabian Ruiz drüber. Die DFB-Elf kommt nicht zum Abschluss, und lässt im defensiven Umschalten Lücken. Minute 21, erste Chance für Deutschland: Flanke Kimmich, Kopfball Havertz - aber kein Druck dahinter, zentral und nicht wirklich gefährlich. Jetzt ein gutes spanisches Muster - und das sah ansatzweise nach Fußball aus im Abnutzungskampf: Rodri spielt Williams in den Raum, Williams ist aber nicht innen in der Situation, um zu kreuzen, geht aber an Sané vorbei - doch die Eingabe ist nicht präzise genug.

Die beste Chance für die DFB-Elf bisher in Minute 35: Langer Ball in die Spitze, der spanische Innenverteidiger verhält sich nicht gut - Havertz kommt zum Flachschuss, aber weder hart noch präzise. Auf der Gegenseite reagiert Keeper Neuer klasse gegen Williams aus spitzem Winkel - aber abseits.

Fazit des ersten Durchgangs:
Das erwartete Duell auf Augenhöhe. Und wieder einmal eines, das vorher vor allem in der Öffentlichkeit gepusht wurde. Die DFB-Elf brachte etwas, um sich zu finden. Zweikampfstärke - und härte und Geschlossenheit in den Abläufen halfen ihr, um ins Spiel zu kommen. Kai Havertz besaß zwei Möglichkeiten: ein Kopfball und ein Flachschuss. Der Leipziger Raum hat über links bisweilen Platz, scheint aber fußballerisch etwas schwach, um offensive Aufgaben anders als durch Flanken zu lösen.

DFB-Team zeigt nach Rückstand imponierende Reaktion

Spanien wirkt fußballerisch besser - ohne bedeutende Vorteile zu besitzen. Die Bewegungen scheinen flüssiger und harmonischer, das sieht eher nach Fußball. Das Team von der iberischen Halbinsel verteidigt oft sehr tief. Deutschland sollte sich vorsehen, wenn der spielintelligente Rodri im zentralen Bereich an den Ball kommt. Williams, immer mal wieder ansprechend in Szene gesetzt, muss den Weg in die Box suchen. Kimmich ist, wenn es zu Eins-gegen-eins-Situationen kommt, zu langsam; sein Team muss die rechte Defensivseite besser verteidigen.

Der zweite Abschnitt verspricht - wie auch immer - Spannung. Möglicherweise entscheidet ein Tor dieses Viertelfinale. Thomas Hitzelspergers Bemerkung, es sei Spaniens schwächster Auftritt bisher, scheint etwas respektlos. Und so was nennt sich Experte.

Es geht gut los für die Spanier nach gut zwei Minuten in der zweiten Hälfte: Anspiel Yamal - Moratal dreht sich blitzschnell und geschickt um Rüdiger, zum Glück für die DFB-Elf aber drüber.

Sieben Minuten sind vorüber - und Spanien geht in Führung. Und das ging so: Die DFB-Elf läuft defensiv hinterher - Spanien greift über rechts an, Yamal legt zurück auf Olmo - und der Leipziger schließt technisch sauber ab. Im Gegenzug rettet Spaniens Linksverteidiger vor der Linie.

Die DFB-Elf wechselt offensiv - das muss sie je auch, um mehr zu riskieren. Und sie wird mutiger. Die Hoffnung lebt auch bei den vielen Fans in der Altstadt, als der Stuttgarter Mittelstädt und der Dortmunder Füllkrug ins Spiel kommen. Deutschland wird giftiger im Gegenpressing, die echten Chancen fehlen indessen noch. In Minute 70 aber - fast, "Fülle" legt zurück auf Andrich, Spaniens Keeper Unai Simon pariert stark - Füllkrug aber stand im Abseits.

Wenig später rettet Carvajal im letzten Moment gegen den einschussbereiten Havertz - wieder von Füllkrug bedient. Dann Super-Pech für das DFB-Team: Kimmich spielt über rechts steil auf Wirtz, der Leverkusener Wirtz gibt nach innen - und "Fülle" trifft, von Nacho bedrängt, den Pfosten. Minute 76.

Dann kommt Thomas Müller ins Spiel - für Innenverteidiger Tah. Noch gut zehn Minuten. Noch einmal Riesen-Pech: Havertz' Heber aus halblinker Position geht knapp drüber. Bundestrainer Nagelmanns Mut und der des Teams wird belohnt - nur ist die Mannschaft zu spät aufgewacht? Da schien mehr drin: Andrichs Ballgewinn bringt Havertz ins Spiel, der ist rechts durch - seine Flanke ist aber nicht präzise genug, Carvajal klärt.

Plötzlich liegen sich alle in den Armen: hier in der Altstadt, in ganz Fußball-Deutschland. Die DFB hat in der drittletzten Minute der regulären Spielzeit ausgeglichen: Kroos raus auf Mittelstädt, dessen lange und präzise Flanke der nicht eben groß gewachsene Kimmich zurückköpft - und Wirtz trifft an den Innenpfosten. 1:1. Ein Tollhaus. Halten das die Kehlen aus? Egal. Es gibt Verlängerung.

Die Verlängerung bleibt beiderseits verbissen umkämpft. Chancen gibt es kaum. Bis nach 100 Minuten "der Fuldaer" Jamal Musiala über halblinks kommt - nach seiner Eingabe herrscht vorübergehend Verwirrung. Wenig später geht der Links-Distanzschuss des eingewechselten Oyarzabal knapp vorbei. Und Wirtz in der Nachspielzeit der ersten Hälfte der Verlängerung bei der dicken Chance und Müllers tollem Anspiel haarscharf vorbeischießt.

Wieder rasten alle aus: Musiala schießt, Cucurella bekommt den Ball an die Hand - Elfer? Nein (106.). Fünf Minuten noch bis zum Elfer-Schießen. Darauf läuft alles heraus jetzt.

Was ist denn jetzt los? Der Ex-Dortmunder Miguel Mireno köpft Spanien ins Glück. In der vorletzten Minute der regulären Nachspielzeit - in Minute 119 - flankt Dani Olmo. Und Mireno köpft das 2:1 herbei für die Spanier. Dramatik macht sich breit, als Niclas Füllkrugs Kopfball in der Nachspielzeit knapp vorbeigeht.

Dann, es ist 20.40 Uhr an diesem 4. Juli 2024, ist Schluss. Spanien hat das Halbfinale der EM erreicht. Deutschland ist nach imponierender Moral bitter ausgeschieden. (wk)


Deutschland: Neuer - Kimmich, Tah (78. Müller), Rüdiger, Raum (57. Mittelstädt) - Can (46. Andrich), Kroos - Gündogan (57. Füllkrug)- Sané (46. Wirtz), Musiala - Havertz

Spanien: Unai Simon - Carvajal, Le Normand (46. Nacho), Laporte, Cucurella - Rodri, Pedri (8. Olmo), Fabian Ruiz - Yamal (63. Ferran Torres), Morata (80. Oyarzabal), Williams (80. Merino)

Schiedsrichter: Anthony Taylor (England)

Tore: 0:1 Dani Olmo (53.), 1:1 Florian Wirtz (88.), 1:2 Miguel Merino (119.)

Gelb-Rot: Dani Carvajal (123.)

Zuschauer: 48.000 +++

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