"Dann ziehe ich hier weg!"

Bürger üben harsche Kritik an K+S-Abdeckplänen für die Halde

Bei einer Info-Veranstaltung in Neuhof ging es um die geplante Haldenabdeckung von K+S
Fotos: Privat

20.12.2022 / NEUHOF - "Von Bürgern für Neuhof – für die Bürger von Neuhof und Umgebung" war das Motto einer von der Jagdgenossenschaft Neuhof-Ellers organisierten Informationsveranstaltung im Neuhofer Gemeindezentrum zur geplanten Haldenabdeckung des Düngemittelherstellers Kali und Salz, der rund 200 Teilnehmer im vollbesetzten Festsaal folgten. In einer Pressemitteilung lässt die Jagdgenossenschaft den Abend Revue passieren.



"Es ist wichtig, die Neuhofer Bürger unabhängig zu informieren", da "die Haldenabdeckung alle angeht", so die Begrüßungsworte von Ralf Enders, Vorstand der Jagdgenossenschaft, der nach einer kurzen Einführung an die Referenten des Abends, Dr. Karl-Ludwig Ruppel und Jörg Burkard aus Neuhof übergab. "Das Vorhaben wird jeden in Neuhof über einen sehr langen Zeitraum betreffen, daher haben wir den Titel ´Historische Zäsur für Neuhof´ gewählt". Mit diesen Worten begann Dr. Karl-Ludwig Ruppel die Präsentation. "Ich stehe hier, weil ich mir Sorgen mache", fügte Jörg Burkard an. Ist die von K+S  geplante Dickschichtabdeckung tatsächlich "ökologisch und effektiv", wie es das K+S-Marketing glauben lassen will, oder vielleicht einfach nur "profitabel" für das Unternehmen, und welche Auswirkungen wird dieses Vorhaben für die Bürger von Neuhof haben? In ihrem gut einstündigen Impuls-Vortrag gingen die beiden Referenten auf diese und weitere Fragen ein.

"K+S- Planung nicht hinreichend effektiv - politische Zielvorgabe verfehlt"

Die Referenten merkten grundsätzlich an, dass mit der von K+S bevorzugten Dickschichtabdeckung das "politisch angestrebte Ziel, die Einleitung von Salzabwässern in Werra und Weser bis zum Jahr 2075 weitgehend zu vermeiden" nicht erreicht werden könne. "Bei gleichzeitig fortschreitender Aufhaldung aus laufender Produktion wird in den ersten Jahrzehnten keine effektive Reduzierung der Haldenabwässer erreichbar sein. Im Gegenteil könnten sie zunächst sogar zunehmen." Auf bisher nicht vorliegende Zahlen zur Wirksamkeit im Zeitverlauf werde man kritisch schauen müssen. Zudem werde es nach der aktuellen Planung rund 105 Jahre dauern, bis die Halde vollständig mit der kalkulierten Materialmenge von 89 Mio. Tonnen abgedeckt wäre: "Damit verlässt K+S den Rahmen der politischen Absprachen in der Flussgebietsgemeinschaft Weser, die in ihrem Maßnahmenprogramm Ende 2021 einen Abschluss der Maßnahmen bis 2075 vorausgesetzt hatte", bemerkte Karl-Ludwig Ruppel.

"Naturschutzfachlich eine aus der Zeit gefallene Planung"

Dass zudem die Planung "beispiellos aus der Zeit gefallen" sei, begründete Jörg Burkard mit den zu erwartenden Eingriffen in die Natur. Als Beispiele nannte er die geplante Errichtung einer ca. 10,2 ha großen Recycling- und Steinbrecheranlage am heutigen Wanderparkplatz nahe dem Schacht II und die Verlegung der neu sanierten Landstraße nach Giesel. Insgesamt würden "ca. 100 ha Wald abgeholzt". Ökologisch hochwertige Waldflächen rings um die Halde, zum Teil sehr alte Laubholzbestände wie etwa in einer Altholzinsel nördlich der Halde, würden dauerhaft zerstört, so die Referenten. Es handele sich um einen "irreparablen und weder mit Mitteln des Naturschutzrechts noch nach Forstrecht ausgleichbaren Verlust", so Burkard, der aufgrund der zu 90 % überregionalen Anlieferung zudem eine desaströse Co2-Bilanz in Zeiten des Klimawandels beklagte.

Staub, Lärm, Schwerlastverkehr – und Schadstoffe

Die Zukunftsprognose der Referenten war eindringlich: Auf die Bewohner von Neuhof werde über Generationen eine enorme Belastung durch Schwerlastverkehr, Lärm, Staub und weitere Emissionen zukommen. Das größte Risiko für Mensch, Umwelt und Grundwasser könnte nach Ansicht der Vortragenden zudem auch in den Schadstoffen liegen, die in dem bis zur Schadstoffklasse LAGA Z2 klassifizierten Bodenaushub und Bauschutt enthalten sein werden. Offen sei insbesondere, was mit den schadstoffbelasteten Abwässern passieren solle, die an und unter der in weiten Teilen nicht abgedichteten Halde durch Auswaschungen entstehen werden. "Wir haben am Ende schlimmstenfalls nicht nur die Ewigkeitslast für eine Kalirückstandshalde, sondern noch eine weitere Ewigkeitslast für eine Abfall-Deponie gigantischen Ausmaßes", so die eindringliche Warnung der Referenten, die anhand der Planungsdaten von K+S deutlich machten, dass sich die Größe der Halde verdoppeln würde. Die Auswirkungen werde jeder in Neuhof spüren, vor allem aber seien die folgenden Generationen von dem "Jahrhundertprojekt" betroffen, gerade diejenigen, die "heute noch gar nicht geboren" sind.

Sinkende Lebensqualität und fallende Immobilienwerte

Neuhof verliere dadurch an Lebensqualität und werde als Wohnort nicht mehr attraktiv sein. Die Referenten warnten: "Die Immobilienpreise werden fallen, wenn Umwelteinflüsse in dieser Größenordnung über einen so langen Zeitraum auf eine Gemeinde einwirken – die Frage ist allein, in welchem Umfang". Bei aller Kritik an der derzeitigen Planung des K+S Konzerns waren die Vortragenden sich jedoch einig, dass eine Lösung für die Zukunft der Neuhofer Halde, deren salzhaltige Abwässer ein ökologisches Problem darstellen, gefunden werden müsse. K+S konzentriere sich allerdings nur auf ein einziges Konzept, das Verfahren zur Dickschichtabdeckung. "Dieses Verfahren hat einfach den größten wirtschaftlichen Anreiz für K+S". Nach vorsichtiger Schätzung dürfe K+S allein für die Ablagerung des belasteten Abdeckmaterials mit Umsätzen in einer Größenordnung von 3 Mrd. Euro rechnen. 

"Alternativen sind vorhanden und müssen nur genutzt werden"

Dabei, so die Referenten, gebe es Alternativen wie die Rückführung zumindest von Teilen der Halde in die leeren Stollen, ggf. in Kombination mit einer Dünnschichtabdeckung. Diese habe schon aufgrund des viel geringeren Materialbedarfs deutlich weniger nachteilige Umweltwirkungen. Außerdem müßten Möglichkeiten zur Verwertung noch vorhandener Rohstoffe in der Halde (Kieserit) vorrangig geprüft werden. Zuerst aber müsse dringend dem rasanten Wachstum des "Monte Kali" begegnet werden. K+S habe dazu inzwischen technische Möglichkeiten entwickelt, die Produktionsrückstände direkt unter Tage in die leeren Stollen zu versetzen. "K+S macht es vor und wirbt in einer Presseverlautbarung vom 17. Oktober 2022  damit: im Werk Wintershall sollen nun die festen Rückstände auf der Halde um 90% reduziert werden - nur in Neuhof nicht", kritisierten die Redner.

Appell: "K+S muss aufgefordert werden, schnellstmöglich umzuplanen!"

Schließlich appellierten sie an die Verantwortung des K+S Konzerns, Alternativkonzepte zu prüfen und eine Planung zu entwickeln, die auch für die Bewohner von Neuhof, die Natur und die Umwelt verträglich ist. Besonders an die Politik, aber auch jeden einzelnen im Saal gewandt, formulierten die Referenten zum Schluß ihres mit viel Applaus bedachten Vortrags die Forderung, dass jeder das in seinen Möglichkeiten liegende tun müsse, damit K+S sein Konzept ändere. 

Nach dem Vortrag ergriff als erster Heiko Stolz, Bürgermeister von Neuhof, das Wort und ging auf den Appell an die Politik ein. Auch er bekräftigte, dass Alternativen geprüft werden müssten. Es müsse letztlich der "Spagat zwischen Arbeit, Umwelt und Lebensqualität gelöst" werden und "dies möglichst im Konsens zwischen K+S, der Gemeinde, der Landespolitik und den Bürgern". Hierfür stellte er ein fraktionsübergreifendes gemeinsames politisches Statement der Gemeinde, einen von K+S organisierten Dialogkreis sowie weitere Veranstaltungen im kommenden Jahr in Aussicht. Auch werde die Gemeinde ein Budget bereitstellen, um die Planung des Konzerns unabhängig und professionell begleiten zu können.

Harsche Kritik und Unverständnis bei den Bürgern

In der anschließenden Diskussionen meldeten sich zahlreiche Bürger - ausnahmslos ablehnend - und zum Teil mit harscher Kritik gegenüber dem K+S-Vorhaben zu Wort. Anwohner äußerten die Sorge, dass in Neuhof "die größte Abfalldeponie bundesweit" entstehen könnte. K+S könne nicht an dem bei Dunkelheit beleuchteten Kreuz auf der Halde ein "paar Lichter ausschalten" und sich dafür in der Öffentlichkeit als umweltbewußt handelndes Unternehmen feiern lassen, wenn es zeitgleich mit seiner Dickschichtplanung "zig Hektar Wald" als wertvollen CO2-Speicher abholzen wolle, zeigte ein Bürger sein Unverständnis.

Auch Sabine Waschke, SPD-Landtagsabgeordnete, wählte deutliche Worte. Sie betonte zunächst, dass sie immer an der Seite von K+S gestanden habe, auch als es um den Bau der Pipeline an die Werra gegangen sei. Dann habe sie die Scoping-Unterlagen für das Vorhaben gelesen. "Mit 300 LKW-Bewegungen am Tag und einer Brecheranlage mit einem Volumen von 4.000 t/Tag, da kommt eine Belastung auf uns zu, von der wir noch gar keine Vorstellung haben." Sodann wandte sie sich persönlich an die anwesenden Vertreter des K+S Konzerns und appellierte an deren Verantwortung im Antrags- bzw. Verwaltungsverfahren. "Sie allein haben die Entscheidung in der Hand, welches Verfahren zur Haldenabdeckung Sie dem Regierungspräsidium vorlegen. Werden Sie der Verantwortung gerecht, die Sie auch für die Bürgerinnen und Bürger von Neuhof haben!", rief Waschke der anwesenden Geschäftsleitung des Werkes Neuhof-Ellers unter großem Applaus entgegen.

"Es ist nicht ökologisch, Dreck von einem Haufen auf den anderen zu schaufeln"

Es sei nicht ökologisch, wenn "der Dreck von einem Haufen auf den anderen" geschaufelt werde, so die Wortmeldung eines Bürgers, der zugleich sein Unverständnis zum Ausdruck brachte, dass nicht mit einer Pipeline in die Nordsee tatsächlich Abhilfe geschaffen werde.  "Durch die Stäube bei der Abdeckung mit belastetem Material haben wir am Ende Arsen auf den Tomaten" befürchtete ein anderer Anwohner in Haldennähe. Ein besorgter Landwirt wies auf die Probleme für die Landwirtschaft hin, wenn "in Neuhof kein Regen mehr ankommt, weil der Berg noch höher wird". Es wurde auch offen Kritik an der Informationspolitik von K+S gegenüber den Bürgern von Neuhof geübt. "K+S muss die Bürger endlich ernst nehmen und darüber aufklären, dass es sich hier nicht um eine Naturschutzmaßnahme und schon gar nicht um ein "grünes" Konzept handelt".

"Dann ziehe ich hier weg!"

Eine Anwohnerin brachte es auf den Punkt: "Grün wird die Halde erst in 105 Jahren sein. Wer dann geboren ist, ist heute noch nicht absehbar. Jetzt ist es LAGA Z2, vielleicht wird das irgendwann mal mehr und vielleicht wird dann auch unter Tage entsorgt. Schon jetzt gehören Lärm und das Klappern vom Förderband zu Neuhof dazu, das kann man auch aushalten. Aber wenn dieses Vorhaben kommt, was will man dann noch hier? Da kann ich für mich nur sagen – ich ziehe hier weg."

Veranstaltungsleiter Ralf Enders zog eine positive Bilanz: "Die Information der Neuhofer Bürger ist gelungen. Wir würden uns allerdings wünschen, wenn die Menschen nun den Impuls aufnehmen", sagte er und verband damit die Hoffnung, dass auch in Neuhof eine Bürgerinitiative entstehen könnte. Die anwesenden Vertreter des K+S Konzerns äußerten sich in der Veranstaltung nicht. (pm) +++

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