Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Corona: Kommt die 4. Welle?
Foto: Adobe Stock / Hagen
17.05.2021 / REGION -
Die Dritte Welle in Deutschland hat ihren Scheitelpunkt überschritten. Wir haben es wahrscheinlich (bald) geschafft. Die 7-Tage-Inzidenz ist unter 100 Fälle je 100.000 Einwohner pro Woche gefallen. Die Einschränkungen, die wir uns auferlegt haben - insbesondere bei den sozialen Kontakten - zeigten Wirkung. Die Impfungen haben mittlerweile wohl auch einen dämpfenden Einfluss auf die Pandemie, von der angestrebten "Herden-Immunität", die vor dem Hintergrund der aktuell dominanten Variante B.1.1.7 die Immunisierung von etwa 80 Prozent der Bevölkerung erfordern wird, sind wir allerdings noch weit entfernt. Und auch wenn das Wetter sich noch nicht so richtig sommerlich präsentiert: Die steigenden Temperaturen erlauben es, mehr Aktivität von drinnen nach draußen zu verlagern und auch das hat einen positiven Einfluss.
Und ja, es ist schon überraschend, wie schnell wir die dritte Welle abgeflacht haben.
Übertriebene Warnungen?
Also war das alles gar nicht so schlimm? Waren die Warnungen am Ende doch übertrieben?
Nein, wir haben nicht übertrieben, die Gefahr war absolut real. Die Sorge vor einer Erschöpfung der Intensivkapazitäten in den Kliniken hatte einen mit harten Fakten belegbaren Hintergrund. Es war weder Schwarzmalerei noch Kaffeesatzleserei. Jetzt, wo es besser zu werden scheint, sind alle, die auf den Intensivstationen arbeiten, allen jenen dankbar, die sich einsichtig gezeigt und sich vorsichtig verhalten haben.
Das hat mit dazu beigetragen, dass der Anstieg in Deutschland bei 5.000 Intensivpatienten gestoppt wurde. Dennoch: Die schweren Verläufe, die durch die B.1.1.7 Variante ausgelöst werden können, treffen weiterhin vermehrt Menschen in der Mitte des Lebens, die zwischen 30 und 60 Jahren alt sind. Die maximale Therapie bei diesen schweren Verläufen, die nicht selten auch die künstliche Lunge (ECMO) einbezieht, die beste Intensivmedizin, die derzeit verfügbar ist, ist nur bei etwas mehr als der Hälfte der Patienten erfolgreich, die anderen sterben.
Ist die 3. Welle vorbei?
Die 3. Welle ebbt gegenwärtig ab, aber sie ist noch nicht überwunden, und auch die aktuelle Phase der Pandemie hat ihre Tücken. Blicken wir zurück in den März dieses Jahres: Auch da hat die Freude über die von Tag zu Tag sinkenden Corona-Zahlen verbunden mit der Aussicht auf Impfung und die Rückkehr in die seit mehr als einem Jahr entbehrte Freiheit zu Übermut geführt. Das darf uns nicht noch einmal passieren. Auch wenn die Situation aktuell besser ist als vor zwei Monaten, weil schon viel mehr Menschen geimpft sind.
Wem hilft die Impfung?
Kinder und Jugendliche impfen?
Gibt es Medikamente gegen eine COVID-Erkrankung?
Es gibt also keinen Grund zur Entwarnung, sondern es gilt die Mahnung zur Vorsicht. Für die Gesellschaft als ganzes. Und für jede einzelne, für jeden einzelnen von uns. Nicht zuletzt auch, weil – im Gegensatz zu der sehr erfolgreichen Entwicklung der Impfstoffe - die Suche nach wirksamen Medikamenten bisher weniger erfolgversprechend verläuft. Die meisten -initial hochgelobten - Kandidaten, haben die Erwartungen nicht erfüllt und sind aus der Therapie von COVID-Erkrankten wieder verschwunden. Lediglich die monoklonalen Antikörper und das Dexamethason kommen auch weiterhin zu Einsatz. Neue Kandidaten sind zwar in der Pipeline - derzeit werden etwa 600 verschiedene Medikamente auf ihre Wirksamkeit gegen COVID-19 untersucht - ein Einsatz außerhalb von Studien ist derzeit aber nicht angezeigt.
Wie häufig ist Long-COVID?
Wie lange dauert es, bis die Impfung wirkt?
Unabhängig vom Impfstoff baut sich schon nach der ersten Impfung eine Immunität auf, die mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent vor einem schweren Verlauf der Erkrankung schützt. Dieser Schutz ist etwa vier Wochen nach der ersten Impfung vorhanden. Dennoch sollte, da wo sie vorgesehen ist, unbedingt auch die zweite Impfung erfolgen. Die Immunität hält länger an und schützt besser – auch gegen die jetzt schon bekannten Varianten, von denen einige ja bekanntlich der Immunantwort "entwischen".
Und nicht zuletzt auch deshalb, weil nur vollständige Geimpfte 14 Tage nach der letzten Impfung wieder gewisse Freiheiten zurückerhalten.
Wann sollte die 2. Impfung erfolgen?
Auch wenn der Wunsch insbesondere jener Menschen verständlich ist, die sich mit dem Impfstoff von AstraZeneca haben immunisieren lassen, sich früher als vorgesehen zweitimpfen zu lassen: Wir sollten ihm nicht nachgeben. Die Geduld wird mit dem Aufbau der bestmöglichen Schutzwirkung belohnt, und es wird kein Impfstoff durch die zu frühe Gabe verschwendet.
Kann die Impfung guten Gewissens verweigert werden?
Und mehr noch, mittelfristig stellen die Nicht-Geimpften durchaus die gesamte Gesellschaft vor ein Problem: Nachdem wir die Gefährlichkeit der Erkrankung Ende Februar erkannt hatten, haben wir sehr schnell das öffentliche und wirtschaftliche Leben heruntergefahren sowie Ressourcen im Gesundheitssystem gebündelt, um sie auf die Behandlung von Covid-Patienten zu konzentrieren. Nun aber werden wir uns bald alle vor Corona schützen können, wenn wir das Impftempo durchhalten und die Hygieneregeln weiterhin beachten.
Welcher Aufwand wird dann nötig, möglich und vor allem ethisch gerechtfertigt sein, um jene zu schützen und zu behandeln, die den künftig für fast alle verfügbaren Impfschutz nicht annehmen möchten, selbst wenn im Individualfall keine medizinischen Gründe gegen eine Impfung sprechen?
Welche Diagnosen und welche Eingriffe stellen wir zurück, wenn wir im Herbst wieder die Covid-Stationen ausbauen müssen, weil Menschen ohne Impfung schwer erkranken werden? Werden Menschen ohne Impfung noch in Berufen arbeiten können, die körperliche Nähe erfordern, sei es als Arzt oder Krankenschwester, als Friseur, Erzieher oder Grundschullehrerin?
Solange es noch keinen Schutz vor Covid-19 gab, konnten wir das Ringen um die Antworten auf diese Fragen zurückstellen. Mit dem Impfschutz aber entfällt der Diskussionsschutz: Allein schon, weil die Mittel im Gesundheitssystem immer knapp und im Zweifel lebensrettend sind, müssen wir begründen, wie wir damit umgehen.
Wann können die Krankenhäuser wieder Besuche zulassen?
Der Nachweis der Impfung muss glaubhaft sein. Die Fälschung von Impfpässen, ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch strafbar. Wenn sich die Inzidenzen wieder zuverlässig bei Werten im niedrigen zweistelligen Bereich liegen, werden wir auch in den Krankenhäusern wieder mehr Besucher empfangen können. (Thomas P. Menzel) +++
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