Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel

Die Corona-Herbstwelle rollt: Es ist noch nicht vorbei…

Die Corona-Herbstwelle rollt auf den Winter zu.
Collage: O|N - Adobe Stock / 1to3 / MB.Photostock

17.10.2022 / FULDA - Nach einem kurzen Rückgang der Zahlen geht’s nun wieder los. Die Corona-Herbstwelle rollt. Die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen in Deutschland liegt laut RKI, dem Robert-Koch-Institut, mit etwa 7,6 Millionen deutlich über den Vorjahreswerten zur gleichen Zeit. Die Kontaktbeschränkungen und die weitgehende Maskenpflicht während der vergangenen Jahre haben uns eben nicht nur vor Corona geschützt. Aktuell sind neben SARS-CoV-2 vor allem Rhinoviren und Influenza-(Grippe-)Viren die häufigsten viralen Erreger.

Die Anzahl SARS-CoV-2-Infizierter mit Symptomen einer akuten Atemwegsinfektion in der ersten Oktoberwoche wird auf 1,1 bis 2,6 Millionen geschätzt. Die bundesweite 7-Tage-COVID-Inzidenz ist in allen Bundesländern und fast allen Altersgruppen weiter gestiegen. Den stärksten Anstieg weist die Gruppe der 85- bis über 90-Jährigen auf, die nach wie vor – ob geimpft oder nicht – das höchste Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkankung aufweisen.

Die Zahl der Ausbrüche von COVID-19 in Krankenhäusern und Pflegeheimen ist im Vergleich zur Vorwoche ebenso weiter gestiegen wie die Zahl der Todesfälle, die mit einer Corona-Infektion in Zusammenhang stehen. Diese Entwicklungen sind laut RKI am ehesten auf die starke Ausbreitung des Virus in den vergangenen Wochen zurückzuführen.

Was ist passiert?


Der Sommer war sonnig und trocken. Das Leben spielte sich überwiegend draußen ab. Die meisten Menschen in Deutschland waren entweder zwei oder dreimal gegen Corona geimpft, manche sogar vier Mal. Trotzdem waren die Inzidenzen nach dem Frühjahr nicht rückläufig, sondern lagen zeitweise bei mehr als 1.000 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, wobei wir von einer immer größer werdenden Dunkelziffer ausgehen müssen.  Dennoch blieb es in den Krankenhäuser relativ ruhig.

Omikron-Varianten wie BA.1 hatten Ende 2021 das Infektionsgeschehen übernommen. Sie sind ansteckender als die vorigen Varianten, die sie rasch verdrängt hatten. Doch die von ihr verursachten Erkrankungen wirkten sich in einer immer weiter immunisierten Bevölkerung nicht mehr so tödlich aus, wie wir es aus den ersten Corona-Jahren kannten.

Alle Omikron-Varianten, zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Schutz unterlaufen, den wir durch Impfung und natürliche Immunisierung aufgebaut hatten. Diese Eigenschaft des Virus wird als "Immune-Escape" bezeichnet. Anfang Oktober 2022 waren etwa 96 Prozent der Infektionen in Deutschland auf die aktuelle Omikron-Variante BA.5 zurückzuführen.

Das Virus mutiert weiter


Neue Eigenschaften wie einen effektiven Immune-Escape erlangt das Virus durch Mutationen, zufälligen Veränderungen des viruseigenen Erbgutes, das anschließend zu Veränderungen der Eiweiß-Struktur des Virus führt. Anhand dieser Strukturen "erkennen" die menschlichen Antikörper das Virus und neutralisieren es. Ändert sich die Struktur binden die Antikörper nicht oder schlechter an das Virus. 

Bei jeder neuen Corona-Infektion werden die Sars-CoV-2-Viren millionen- bis milliardenfach in den Zellen eines infizierten Menschen kopiert. Diese Kopiervorgänge laufen nicht perfekt ab, immer wieder passieren "kleine Fehler", von denen die meisten für das Virus schädlich sind. Aber manche dieser Fehler bringen dem Virus Vorteile, sei es durch eine bessere Immune-Escape oder eine bessere "Fitness" - womit die Fähigkeit eines Virus, sich schneller und effizienter zu vermehren, bezeichnet wird. Im Laufe der Pandemie entwickelt sich das Virus weiter. Das gilt in unterschiedlicher Ausprägung für alle bekannten Viren und ist deshalb auch bei SARS-CoV-2 nicht überraschend. Allerdings sind die Corona-Experten unter den Wissenschaftlern doch erstaunt, wie rasch sich das Corona-Virus verändert hat und weiter verändert. Und sie gehen von vielen weiteren Mutationen und Varianten in der Zukunft aus.

Dennoch blieb es im Sommer in den Krankenhäusern bei einer handhabbaren Anzahl von COVID-19-Patientinnen und Patienten, vermutlich weil sich trotz allem nicht so viele Menschen angesteckt haben wie derzeit. Auch verursachen die Omikron-Varianten weniger schwere Verläufe, die im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Immunisierung schützt vor schweren Verläufen


Hinzukommt, dass viele Menschen in Deutschland geimpft oder genesen sind und damit einen eigenen Schutz vor schweren Verläufen aufgebaut hatten. Der Schutz vor der Infektion selbst verliert sich allerdings mit der Zeit wieder.

Denn die Immunisierung durch die Impfung wirkt vor allem systemisch, nicht zuletzt durch die so genannte T-Zell-Antwort auf SARS-CoV2. Damit schützt die Impfung die Lunge. Schwere Verläufe, die meist mit einer Lungenentzündung einhergehen, werden verhindert. Der Schutz vor einer Infektion an sich, der vor allem über Antikörper in den Schleimhäuten von Nase und Rachen vermittelt wird, schwächt sich sowohl nach einer Impfung als auch nach einer Infektion relativ schnell wieder ab. Spätestens nach drei Monaten sind Nase und Rachen wieder weitgehend ungeschützt. Das gilt übrigens für alle Coronaviren, die den Menschen befallen können. Alle ein bis zwei Jahre infizieren wir uns wieder mit einem der vier Coronaviren, erkranken an einer Erkältung oder auch nicht. "Dadurch wird unsere Immunität immer wieder upgedatet. Bei diesem Coronavirus (SARS-CoV-2) müssen wir auch in diesen Modus kommen." sagt Prof. Christian Drosten, einer der renommiertesten Coronaforscher weltweit.

Konkret bedeutet das, dass wir "auf dem Fundament einer Impfimmunität, die uns vor der Intensivstation schützt, irgendwann unsere erste Halsentzündung mit dem neuen Coronavirus (durchmachen). Manche kriegen auch Fieber. Und dann erleben wir später wahrscheinlich noch eine zweite oder dritte natürliche Infektion. Irgendwann ist auch unser Schleimhautschutz so belastbar, dass wir als Gesellschaft ganz gut immunisiert sind", so Drosten in der Wochenzeitung "Die Zeit" weiter.

Soweit sind wir allerdings noch nicht….

Die Bundespolitik macht sich einen schlanken Fuß


Zum 1. Oktober wurde nach langem hin und her das COVID-19-Schutzgesetz verabschiedet. Es setzt auf "Eigenverantwortung", weist aber bei genauer Betrachtung einige Inkonsistenzen auf und überlässt es den Ländern, unpopuläre Maßnahmen anzuordnen. Es droht die Gefahr, dass Deutschland bald wieder von einem bunten Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen überzogen sein dürfte. Ein Bürger, der täglich zwischen zwei Bundesländern mit unterschiedlichen Regelungen zur Arbeit pendelt, wird sich dann fragen, welches Sicherheitskonzept seine Berechtigung hat: Ist Corona nun doch sehr schlimm oder nur halb so schlimm? Wenn an einem Ort eine Maskenpflicht gilt, an einem anderen aber unter denselben Bedingungen nicht, ist das ein falsches Signal, das die Bürger in die Ratlosigkeit führt. Der Bund macht sich einen schlanken Fuß. Ob dies verantwortungslos ist, wird die Zukunft zeigen. Wenige, leicht verständliche und einheitliche Regeln für alle wären einfacher zu befolgen und nährten keine Spekulationen über die Gefährlichkeit oder vermeintliche Ungefährlichkeit der Krankheit.  

Wieder mehr schwere Erkrankungen


Die Zahl der schwer verlaufenden Erkrankungen –Patienten mit schweren akuten Atemwegsinfektionen und der COVID-19-Diagnose, die im Krankenhaus behandelt werden müssen - ist in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) berichtet von 1.668 Personen, die am 12. Oktober 2022 auf einer Intensivstation behandelt wurden. In der Vorwoche waren es noch 1.309 Personen. Und weiterhin sind Personen ab 80 Jahren am stärksten von schweren Krankheitsverläufen betroffen.

Die Belastung steigt

Auch wenn Infektionen mit der Omikron-Variante BA.5 weniger schwere Verläufe mit Krankenhaus- oder gar Intensiv-Behandlung verursachen: Bei der großen Anzahl der Infizierten summiert sich die Anzahl der wenigen anteilig schwer Erkrankten auf eine nennenswerte Größe.

Die Krankenhäuser füllen sich also wieder mit COVID-Patienten. Dabei ist es zunächst mal nebensächlich, ob die Patientinnen und Patienten wegen COVID in die Klinik kommen, COVID also die Hauptdiagnose ist, oder ob sie wegen einer anderen Erkrankung aufgenommen werden, und dabei die (Neben-)Diagnose COVID gestellt wird. Der Aufwand für die Isolierung der Patienten in den Krankenhäusern ist erstmal derselbe.

Damit steigt auch wieder der Druck auf die Krankenhäuser, auch bei uns im Klinikum Fulda. Unsere Zentrale Notaufnahme ist seit Wochen an der Belastungsgrenze. Hinzukommen zahlreiche Ausfälle beim Personal, sei es durch COVID-Erkrankungen, Isolationsmaßnahmen oder durch die zahlreichen derzeit zirkulierenden Viren, die mehr oder weniger heftige Erkältungen verursachen. Mit einer Krankheitsquote über 9 Prozent haben wir aktuell die höchste Ausfallrate seit 2012 zu verzeichnen. Dennoch ist die Versorgung der Patientinnen und Patienten im Klinikum Fulda durchgängig sichergestellt, was an der hohen Einsatzbereitschaft und der Flexibilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt, für die wir sehr dankbar sind.

Was wir jetzt tun sollten


Die Pandemie läuft weiter.

Das lässt sich grundsätzlich weder durch Masken noch Impfungen verhindern.

Worauf es jetzt aber ankommt:

Wir sollten gemeinsam alles dafür tun, dass sich weniger Menschen infizieren!

Damit kann die Herbstwelle abgeflacht und Belastung des Gesundheitswesens abgemildert werden.

Dazu leisten Masken und Impfungen einen wichtigen Beitrag.


Die bekannten Masken bieten keinen vollständigen, aber einen effektiven Schutz vor einer Infektion. Wichtig ist es vor allem, dass wir die "guten Masken" mit der Bezeichnung FFP2 oder KN95 mit einer besseren Schutzwirkung tragen, nicht nur den einfachen medizinischen Mund-Nasen-Schutz. Die Masken müssen gut anliegen, und wenn sie in geschlossenen Räumen, in denen sich viele Menschen aufhalten, getragen werden, verringern sie das Risiko, sich selbst oder andere zu infizieren drastisch.

Masken schützen uns und andere. Durch diesen Schutz werden wir das Virus zwar nicht aus der Welt vertreiben, aber wir können diese Infektionswelle deutlich abflachen, uns und andere schützen, wie uns die Erfahrung der vergangenen Jahre gelehrt hat. Und damit verhindern wir, dass die Krankenhäuser überlastet werden. Und je mehr Menschen in geschlossen Räumen wieder eine Maske aufsetzen umso selbstverständlicher wird das Maskentragen wieder.

Händewaschen und Desinfektion haben ebenso wenig von ihrer Bedeutung verloren, wie das Einhalten der Nießetikette. Auch kräftiges Lüften hilft, die Erreger aus den Räumen zu vertreiben.

Aktualisieren wir unseren Impfschutz. Drei Impfungen sind besser als zwei, und vier Impfungen sind besser als drei. Nutzen wir die aktuellen Impfstoffe, die an die Omikron-Variante angepasst und nun verfügbar sind. Und vergessen wir nicht, dass auch die Grippewelle in jedem Herbst mit neuen Varianten anrollt und uns bis in die Faschingszeit hinein niederwerfen kann. Deshalb ist in diesem Herbst auch die Grippe-Impfung eine gute Idee.

Seien wir vorsichtig und beherzigen diese Hinweise. Denn auch wenn wir Corona im dritten Winter in Folge leid sind, und wenn obendrein mit dem Krieg in Europa, der Energieknappheit, der auflebenden Inflation und der gewiss drohenden Rezession uns noch ganz andere Sorgen plagen in diesem Jahr, ist und bleibt Corona eine Erkrankung, die wir ernst nehmen müssen.

Auch viele an COVID erkrankte Menschen, die keinen schweren Verlauf hatten, berichten später, dass sie ziemlich lahmgelegt waren für eine längere Zeit. Und noch ist nicht ganz klar, wie und mit welcher Häufigkeit weitere (Langzeit-)Folgen einer COVID-19-Erkrankung - auch nach einem milden oder sogar symptomfreien Verlauf - auftreten.

Und schließlich sterben noch immer Menschen an Corona. In Deutschland waren es in den vergangenen Wochen mehr als vierhundert. Woche für Woche. (Thomas P. Menzel) +++

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