Erwarten den regionalen Höhepunkt im Mai
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel zum Coronavirus: Wir nutzen Zeit!
Symbolbild: Pixabay
06.04.2020 / REGION -
Seit Mitte März beherrscht Corona die Tagesordnung: Immer mehr Menschen infizieren sich mit SARS-CoV-2. Bis heute werden weltweit mehr als 1.2 Millionen bestätigte Infektionen gemeldet, wahrscheinlich ist die tatsächliche Anzahl zehnmal so hoch. In Deutschland wurden bis heute Morgen 96.092 Fälle (Sonntag, 05.04.2020, d. Red.) gemeldet, 1.444 Menschen sind verstorben, drei davon im Klinikum Fulda.
Der Anteil der Todesfälle an den bestätigten Fällen beträgt in Deutschland derzeit 1,5 Prozent. Das ist einer der niedrigsten Werte weltweit, in Italien liegt er bei 12,3 Prozent und in den USA bei 2,7 Prozent. Während Italien gleichsam überrumpelt worden war, gab es in den USA schon recht früh –wie auch in Deutschland - deutliche Hinweise. Darum ist der Vergleich mit den USA sinnvoll und es wird deutlich, wie gut es war, dass wir in Deutschland schnell reagiert haben und von Beginn viel getestet haben.
In den Vereinigten Staaten wurde die Entwicklung lange heruntergespielt, die ersten Fälle traten dort am 21. Januar auf. Das war etwa zur gleichen Zeit wie in Südkorea, dessen Umgang mit der Pandemie als beispielhaft gilt. In den USA wurden im Februar weniger als 400 Tests durchgeführt, - auch weil dort auf Anweisung der Regierung ein eigener Test entwickelt wurde, der sehr fehleranfällig war und schließlich verworfen wurde. Dadurch konnte sich COVID-19 in den USA nahezu unbemerkt ausbreiten. Bei vielen Menschen, die mit schweren Lungenentzündungen in die Krankenhäuser kamen, konnte die Ursache SARS-CoV-2 nicht erkannt werden. In der Folge hat sich COVID-19 unbemerkt und rasch verbreitet – auch unter den Pflegekräften und Ärzten. Viel Zeit ging dort verloren, die für eine gute Vorbereitung nützlich gewesen wäre. Dieses Versäumnis rächt sich jetzt.
Im Gegenteil: Wir brauchen jetzt weitere Maßnahmen, insbesondere für die, die der Krankheit am wenigsten entgegenzusetzen haben, die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Der Ausbruch von COVID in Alters- und Pflegeheimen in Würzburg und Wolfsburg zeigt, wie schnell sich die Situation ändern kann. Auch bei uns in Osthessen gibt es erste Fälle in den Heimen, in denen Mitarbeiter und Bewohner infiziert wurden. Gemeinsam mit den Behörden, den Hausärztinnen und Hausärzten sowie den Krankenhäusern wollen wir die Einrichtungen besser unterstützen, sowohl in der Durchführung von Hygienemaßnahmen, als auch in der palliativ-medizinischen Versorgung.
Die Koordination der Maßnahmen in der Region Osthessen mit den Landkreisen Vogelsberg, Hersfeld-Rotenburg und Fulda hat die Landesregierung an das Klinikum Fulda übertragen. Diese Kooperation ist gut angelaufen und geprägt von einer intensiven kollegialen Zusammenarbeit über alle Bereiche hinweg, wofür ich mich herzlich bei allen Beteiligten bedanke!
Um die Entwicklung der nächsten Wochen zumindest etwas besser vorher sagen zu können, haben wir für unsere Region ein Vorhersage-Werkzeug übernommen, das täglich mit den Daten aus der Region gefüttert wird. Nach derzeitigen Stand erwarten wir den Höhepunkt der Entwicklung im Laufe des Mai.
In den Krankenhäusern der Region ist die Lage nach wie vor kontrolliert. Auf den Intensivstationen werden immer noch mehr Patientinnen und Patienten ohne COVID behandelt als mit. Dennoch: die Pandemie ist auch bei uns angekommen. Wir sollten weder mit Angst, noch mit Hochmut, sondern mit Respekt und warum nicht auch in Demut in sie eintreten.
Respekt und Demut heißt aber nicht Fatalismus und der Verzicht auf abgestimmtes, planvolles Handel.
Darum sind wir gemeinsam dabei, die Anzahl der Beatmungsplätze weiter zu erhöhen. Im Klinikum Fulda richten wir derzeit eine weitere Station mit Beatmungsplätzen ein. Damit kommen wir dem Ziel, die Anzahl der Plätze im Klinikum zu verdoppeln, entscheidend näher.
Neben der technischen Ausstattung mit Beatmungsgeräten und weiterer Medizintechnik benötigen wir dafür vor allem qualifiziertes Personal, Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Techniker und viele weitere. Dafür werden Mitarbeiter aus der Pflege und dem Ärztlichen Dienst aus anderen Bereichen derzeit auf die neuen Aufgaben vorbereitet. Jetzt zeigt sich, dass die Entwicklungen der vergangenen Jahre, die auf eine Reduzierung der Krankenhausbetten und einen Abbau des Personals ausgerichtet waren, Lücken gerissen haben. In der Krise werden wir die Mängel, die wir im vermeintlichen Überfluss geschaffen haben, womöglich schmerzlich spüren.
Wir tragen Verantwortung für unsere Patienten, aber auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darum brauchen wir geeignete Schutzausrüstung in ausreichendem Umfang. Die Landesregierung hat zugesagt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass wir ausreichend mit Material versorgt werden. Eine erste Lieferung ist in der vergangenen Woche bereits im Klinik eingetroffen und wird in der Region verteilt.
Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung haben sich in Deutschland bereits 2.300 Ärzte und Pflegekräfte angesteckt. Das Risiko für einen schweren Verlauf in dieser Gruppe ist zwar grundsätzlich auch nicht größer als in der allgemeinen Bevölkerung. Aber nichtsdestotrotz bedeutet ein COVID-bedingter Ausfall von medizinischem Personal sogleich eine schlechtere Versorgung mitten in der Pandemie.
Wie es weitergehen wird, bleibt bald vier Wochen mit nachdem wir das öffentliche Leben zurückgefahren haben, ungewiss - allen Prognosen und Berechnungen zum Trotz.
Mit dem Spiel auf Zeit, auf das wir mit der Suppression der Seuche setzen, strecken wir die Anzahl der Erkrankten über einen längeren Zeitraum. Das bedeutet auch, dass uns die Pandemie noch lange - und zunächst immer länger - beschäftigten wird.
Dennoch ist die Verzögerung der Ausbreitung derzeit das wirksamste Mittel, das wir haben, um unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern und Zeit für den Erkenntniszuwachs zu gewinnen. Jeden Tag vervollständigt sich unser Bild von der Ausbreitung, den Folgen und den Risiken der Erkrankung. Und jeder Tag sollte uns einem Impfstoff und einer Therapie näher bringen.
Derzeit sind weltweit mehr als 50 Ansätze für einen Impfstoff in der Entwicklung. Eine Impfung wird – trotz aller vorhandener Technologie –nicht kurzfristig zur Verfügung stehen. Der Bedarf an Impfungen wird in die Milliarden gehen. Wer den ersehnten Impfstoff zuerst bekommt, wird schließlich eine Frage sein, die nicht allein vom Geld abhängen darf.
Wer die Erkrankung bereits durchgemacht hat, wird nach heutigen Stand der Wissenschaft den Impfstoff nicht brauchen, da der Körper eigene Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet hat und deshalb eine Immunität besteht: ein erneuter Kontakt mit dem Virus löst keine Erkrankung mehr aus.
Medikamente, die vor allem die schweren Verläufe lindern können, werden intensiv gesucht. Sie werden tatsächlich "gesucht", da derzeit überwiegend solche Substanzen getestet werden, die schon bei anderen Erkrankungen zum Einsatz gekommen sind. Bis heute ist allerdings noch kein Medikament gefunden worden, dass eine entscheidende Wirkung gezeigt hat.
Wir brauchen für die Entwicklung wirksamer Medikamente und Impfstoffe einfach mehr Zeit, - Zeit, die wir uns durch die eingeleiteten Maßnahmen "erkaufen". Ob wir diese Zeit haben werden, ob wir sie uns erkaufen können, oder ob sie uns geschenkt werden wird, wissen wir alle nicht.
Wir wissen nur, dass die Pandemie bei uns in Deutschland erst am Anfang steht, und wir wissen zugleich, dass wir die ersten Wochen seit dem Auftreten des neuen Virus die Gefahr nicht geleugnet und Vorsorge getroffen haben. Ob wir alles richtig gemacht haben werden, und ob wir hier überhaupt und immer nach richtig und falsch fragen können und sollten, wird uns die Zeit zeigen. (Thomas P. Menzel) +++
Foto: Hendrik Urbin
Dr. Thomas Menzel - weitere Artikel
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Die Corona-Herbstwelle rollt: Es ist noch nicht vorbei…
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Die Omikron-Wette: Wer zu früh lockert, den bestraft das Virus
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Corona und kein Ende: Sollen doch die anderen zu Hause bleiben…
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Keine Überraschung: Die Corona-Lage ist dramatisch
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Die vierte Corona-Welle rollt: Eine Pflicht zur Impfung!
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Im Herbst 2021: Bye, bye Corona?
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Corona: Kommt die 4. Welle?
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Unser Leben in der Pandemie: Wie wird der 2. Corona-Sommer?
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Die Corona-Pandemie: Lockdown oder Lockerung?
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Der Corona-Marathon: Kilometer 32 an Ostern erreicht
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Auf der 3. Welle in den 2. Corona-Frühling!
Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Corona in Deutschland: Den Rückstand aufholen!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona ist nicht planbar: Impfungen für alle!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Impfen gegen Corona: Jetzt erst recht!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Der Corona-Mutanten-Stadl: besorgniserregend?
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Bewertung der aktuellen Corona-Lage: Keine Überraschungen!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona-Impfung: Es geht voran!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona in Fulda: Harte Zeiten voraus!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Warum wir uns jetzt über steigende Zahlen freuen!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Die "Große Impfung" beginnt: Corona bleibt dennoch auf dem Vormarsch!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Wird die Corona-Krise zur Katastrophe? Wann beginnt endlich die Impfung?
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona unterm Tannenbaum: die Gebrauchsanweisung für Weihnachten
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona am 2. Advent: Impfen, oder lieber doch nicht?
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Am 1. Advent 2020: Licht am Ende des Corona-Tunnels!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona-Lockdown: Zwischenstand – Impfung kommt!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Zeit für Ehrlichkeit: Corona am Scheidepunkt!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Corona-Krise: Helfen Sie uns in den Kliniken, damit wir für Sie da sein können!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Intensivbetten allein retten keinen Patienten: Entscheidend sind die Menschen!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Lockdown oder Eigenverantwortung – Wir haben es (noch) in der Hand!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Wie wir in diesem Jahr Weihnachten feiern werden, entscheiden wir heute!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Covid-19-Situation zu Beginn des Herbstes: Es ist noch nicht vorbei
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Eine realistische Perspektive für den Herbst: "Mehr Optimismus wagen!"
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
"Vernünftige vor Unvernünftigen schützen": Kein unbeschwerter Sommer!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Zur Coronavirus-Lage: Der schwere Weg in die neue Normalität
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Zur aktuellen Corona-Lage: Deutschland feiert sich (ein wenig)
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Die Woche nach dem Corona-Shutdown: Zurück zur Normalität?
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Die Angst vor Ansteckung kann tödlich sein!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Allen ist der Ernst der Lage bewusst: Ostern im Corona-Licht
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Wir haben schon viel geleistet, doch die Ungewissheit bleibt!
Trendwende wäre ein Erfolg!
Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel: "Wir haben Zeit gewonnen"
Gastkommentar zur Corona-Lage
Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel: Wir schützen uns, um helfen zu können
Das Coronavirus beschäftigt die Menschen
Gastkommentar von Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel: Vorsicht ja – Panik nein!