Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel
Allen ist der Ernst der Lage bewusst: Ostern im Corona-Licht
Foto: Adobe Stock / EwaStudio
12.04.2020 / REGION -
Bestes Feiertagswetter in Deutschland. Beinahe schon sommerlich strahlt die Sonne an einem blauen Himmel. Osterferien, durchatmen. Wir schließen die Augen und genießen. Eigentlich alles wie immer. Aber wenn wir die Augen wieder öffnen: Corona. Wir feiern Ostern in einem anderen Licht. Die Pandemie ist überall, und jeden Tag erfahren wir immer mehr darüber. Aber werden wir dadurch auch schlauer?
Wer kann sich die Zahlen der Neu-Infizierten, der Todesopfer und der Genesenen, die die Berichterstattung in allen Medien beherrschen, nicht nur merken, sondern wer kann sie deuten? Und welchen Zahlen können wir vertrauen? Was geschieht in den Ländern, in denen wenig getestet wird, weil dafür ebenso wenig Geld da ist wie für die Behandlung der Erkrankten? Und was bedeutet das für uns in Europa, in Deutschland, in Fulda?
Fest steht, dass die Pandemie auch in Deutschland ihren Lauf nimmt. Scheinbar langsamer als in ebenfalls hoch entwickelten Ländern wie Italien, Spanien, Frankreich und den USA sowie mit geringeren Opferzahlen. Fest steht derzeit auch, dass bis zu 10 Prozent der Infizierten ein Krankenhaus brauchen und etwas mehr als jeder 100. der Infizierten einen Platz auf der Intensivstation. Fest steht, dass es Risikofaktoren gibt, die die COVID-19-Erkrankung verschlimmern und tödlich machen können. Die Wirtschaft im Shutdown, die Bevölkerung im Home-Office, unser Wohlstand gefährdet.
Alles, was wir bis jetzt getan haben, ist darauf ausgerichtet, den Verlauf abzubremsen, damit wir alle Schwer-Erkrankten in den Krankenhäusern auch wirklich behandeln können. Auch wenn einige das anders sehen: Aus Sicht der Krankenhäuser und aus Sicht der Risikopatienten ist es unser aller Erfolg, dass sich die Kurve der Neuinfektionen stark abgeflacht hat. Erst mit einem Impfstoff oder einem gut wirksamen Medikament können wir zurück zur Normalität, die dann wahrscheinlich auch anders sein wird als die vor der Krise.
Dafür brauchen wir Antworten zur wirklichen Zahl der Infizierten und auch zur Zahl derer, die die Krankheit - vielleicht unbemerkt - schon durchgemacht haben und jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit immun sind gegen das Virus und es auch nicht mehr weitergeben.
Doch mit jeder Antwort, die wir finden, stellen sich neue Fragen. Das ist in der Wissenschaft ganz normal, und es bringt uns voran.
Der Bonner Virologe Prof. Hendrik Streeck hat am Donnerstag erste Zwischenergebnisse seiner Studie aus dem Ort Gangelt vorgestellt, die bei aller Vorsicht ein wenig Optimismus aufkommen ließen. Kaum aber hatte er seine Ergebnisse präsentiert, hinterfragte sie ein anderer, in diesem Fall sein Kollege aus der Berliner Charité, Prof. Christian Drosten.
Das ist ganz selbstverständlich: Forschungsergebnisse werden hinterfragt. So funktioniert Wissenschaft. Denn um ganz einfach dargestellt zu werden, ist die Wirklichkeit viel zu komplex.
In der Öffentlichkeit und in den Medien werden solche - absolut notwendigen - Diskussionen oft zu persönlichen Auseinandersetzungen umgedeutet. Der "gute" Virologe gegen den "bösen" Virologen, wobei die Rollen je nach dem eigenen Standpunkt vergeben werden.
Das mag menschlich sein, bringt uns aber nicht weiter.
Es gibt weder eine einzige Wahrheit, noch kennt sie ein einziger Wissenschaftler. Die Wissenschaftler tasten sich an die Wahrheit heran, indem sie Erkenntnisse gegenüberstellen, die sich widersprechen, oder indem sie Erkenntnisse in Zweifel ziehen. Und sie, die Wissenschaftler, regieren auch nicht Deutschland. Das tun die Politiker. Dabei stützen sie sich zugegeben auf die Erkenntnisse der Wissenschaftler. Und das ist gut so.
Ungeachtet dessen ist der überwiegende Konsens, indem wir derzeit in Deutschland, in Hessen und Fulda handeln, unsere Stärke.
Bei uns in Fulda und in Osthessen befördert dieser Konsens die Zusammenarbeit zwischen allen, die im Gesundheitswesen engagiert sind, auf das Beste. Die Abstimmung zwischen denen, die Verantwortung im Gesundheitssystem tragen, funktioniert. Für die Schnittstelle zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung haben sich die Krankenhäuser mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten abgestimmt, mit den Rettungsdiensten ist festgelegt, welches Krankenhaus für welchen Patienten, das am besten geeignete ist.
Was uns derzeit am besonders am Herzen liegt, ist der besondere Schutz, den wir den besonders Schutzbedürftigen schulden. Gemeinsam sind wir dabei, ein umfassendes Konzept für die Alten- und Pflegeeinrichtungen der Region zu erstellen, das alle Aspekte der Versorgung - von der Hygiene über die Testung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen bis hin zu Frage der Versorgungswünsche der Bewohner im Eventualfall -umfassen soll.
Derweil ist die Lage in den osthessischen Krankenhäusern weiterhin unter Kontrolle. Auch wenn die Intensivstationen gut ausgelastet sind, werden dort noch immer mehr Patienten ohne COVID behandelt als mit.
Ich denke, uns allen ist der Ernst der Lage bewusst. Das ist gut, auch weil wir uns noch auf lange Zeit mit dem Virus werden befassen müssen. (Thomas P. Menzel) +++
Fotos: Hendrik Urbin
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