Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel

Die Woche nach dem Corona-Shutdown: Zurück zur Normalität?

Zurück zur Normalität?
Fotos: O|N-Archiv

26.04.2020 / REGION - Es ist, als sei eine neue Zeitrechnung angebrochen. Die Zeit mit dem Corona-Virus. Eine weitere Woche ist vergangen. Es war schon die fünfte seit Mitte März. Der lange Shutdown zeigt Wirkung, sowohl bei der Zahl der Neuinfektionen, als auch in der Intensität der Diskussion, wie es weitergehen soll. Die Reproduktionsrate (R) ist unter 1 gesunken. Das bedeutet, dass jeder Infizierte weniger als einen weiteren Menschen ansteckt. Die Welle scheint langsam auszulaufen. Dieser Eindruck allerdings kann trügerisch sein - nicht nur, weil das Vorkommen des Virus, die so genannte Prävalenz, in Deutschland regional noch sehr uneinheitlich ist.

Die Infektionsraten dürften sich mit der Zeit angleichen. Nicht nur in ganz Deutschland. Wir leben schließlich nicht auf einer abgeschiedenen Insel. Sondern über regionale und nationale Grenzen hinweg. Unser Land lebt mehr als viele andere vom internationalen Austausch. Die Internationalisierung ist die Stütze des Wohlstands für den Exportweltmeister Deutschland. Unsere Unternehmen und ihre Beschäftigten erwirtschaften jenen Wohlstand, von dem wir einen erheblichen Teil über Steuern, Sozialbeiträge und öffentlich regulierte Preise umverteilen, damit wir preiswerte Lebensmittel, Bildung für alle, sauberes Wasser und jede Menge Energie, sichere Renten, Sozialleistungen für die Armen und eines der besten Gesundheitssysteme der Welt für alle haben. Wohlstand ist insofern kein Selbstzweck, sondern die Basis für sozialen Frieden, gerecht verteilte Chancen und eine exzellente Krankenversorgung in unserem Land. Auch das dürfen wir in der Corona-Zeit nicht vergessen.

Nicht zuletzt deshalb dürfte in der Politik "die Zeit der Einmütigkeit" beendet sein, wie FDP-Vorsitzender Linder diese Woche im Bundestag erklärte. Die Forderungen nach weiteren Lockerungen werden mit Verweis auf die erzielten Erfolge, die darbende Wirtschaft und die leeren Krankenhäuser immer lauter.



Doch ebenso wie die Wirtschaft ihre berechtigten Interessen hat, haben wir als Krankenhäuser die unseren. Aus Sicht der Krankenhäuser und der dort Beschäftigten waren und sind nach wie vor alle Maßnahmen sinnvoll, die dazu beitragen, dass die Lage in den Kliniken beherrschbar bleibt. Das muss auch der Maßstab sein für die vorgesehenen Lockerungen der Beschränkungen, die am morgigen Montag schon umgesetzt werden. Deshalb werden wir in den nächsten Tagen und Wochen sehr, sehr aufmerksam verfolgen, wie sich die Zahlen entwickeln.

Die neuesten Daten weisen darauf hin, dass etwa drei Prozent der Menschen, die sich mit COVID-19 infizieren, im Krankenhaus intensiv behandelt werden müssen. Die Infektionssterblichkeit, die die Sterblichkeit insgesamt wiedergibt - also auch die Dunkelziffer berücksichtigt - liegt bei etwa 0,6 Prozent. Für Menschen, die älter als achtzig Jahre sind, liegt sie bei fast neun Prozent. Bei diesen Menschen liegt sowohl die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung, als auch die Sterblichkeit deutlich höher. Schließlich wissen wir, dass zwischen der Infektion und der Aufnahme ins Krankenhaus etwa zehn bis zwölf Tage vergehen. Wir wissen aber nicht, wie viele Menschen sich just in dem Moment, in dem Sie diese Zeilen lesen, in Fulda oder anderswo infizieren.

Einerseits müssen wir auch weiterhin genügend Reserven in den Krankenhäusern vorhalten für die kommenden COVID-Patienten, deren Zahl wir nicht zuverlässig abschätzen können.

Andererseits wollen wir im Klinikum Fulda wieder mehr Patienten behandeln, die an anderen Krankheiten leiden. Diese Krankheiten machen schließlich nicht Pause, nur weil wir jetzt schon seit einigen Wochen viele Betten für mögliche COVID-Patienten freigehalten haben. Viele notwendige Operationen sind verschoben worden. Das kann negative gesundheitliche Folgen haben. Andere Patienten kommen aus Angst vor Ansteckung nicht mehr in die Krankenhäuser, auch das sollte sich rasch wieder ändern.

Im Klinikum Fulda bereiten wir uns auf eine flexible Rückkehr zum Normalbetrieb mit Optionen für den Fall einer wieder steigenden Zahl an COVID-Patienten vor.

Darum werden wir alle Patientinnen und Patienten, die in den nächsten Tagen aufgenommen werden, vorab mit einem Abstrich auf das Corona-Virus testen, um sicherzustellen, dass wir keine Infektionen übersehen.

COVID-Patienten können damit getrennt von den anderen Patienten behandelt werden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in Fulda und Umgebung viele Infizierte finden werden, ist allerdings sehr gering. Das zeigen nicht zuletzt die Zahlen des Kreisgesundheitsamtes, die knapp 300 Infizierte in einer Bevölkerung von 230.000 im Kreis Fulda ausweisen. Und auch unter den Mitarbeitern des Klinikums finden sich fast keine Infizierten.

In einer Gruppe von 1.800 freiwilligen Teilnehmern wurden nur in sehr wenigen Fällen (1 Prozent) IgG-Antikörper gegen das SARS-CoV2 gefunden. Das zeigte eine breit angelegte Studie des Klinikums Fulda an 1.500 Mitarbeiten des Klinikums und einer externen Kontrollgruppe mit 300 Teilnehmer. Für Mitarbeiter und Patienten hat das Klinikum Fulda somit Sicherheit geschaffen: Es ist nicht davon auszugehen, dass bisher eine nennenswerte Anzahl - vielleicht unbemerkter - Infektionen oder unwissentlicher Weitergaben des Virus stattgefunden hat.

Das mag auch an den Sicherheitsmaßnahmen gelegen haben, die wir im Klinikum sehr früh eingeführt haben. Diese werden wir ab Montag noch mal verschärfen. Dann gilt auch bei uns eine generelle Maskenpflicht für fast alle Bereiche. Nur dort, wo der Mindestabstand zwischen den Personen verlässlich größer als 1,5 Meter sein kann, etwa in der Verwaltung, sind keine Masken vorgeschrieben. Alle, die von außen ins Klinikum Fulda kommen, müssen mit Betreten des Gebäudes eine Maske tragen, das kann auch eine selbstgenähte Community-Maske sein.  

Damit gehen wir in die nächste Corona-Woche. Viele weitere dieser Wochen werden folgen. Denn welche Folgen die aktuellen Lockerungen zeitigen werden, werden wir erst in zwei Wochen gemessen haben und beurteilen können. Diese Geduld nötigen uns die Gesetzmäßigkeiten der Natur sowie die Vernunft, einschließlich der Rücksicht auf unsere Wirtschaft ab. Ein Emporschnellen der Infektionswelle und ein zweiter Shutdown richteten menschlich und ökonomisch wohl größere Schäden an, als eine moderierte Rücknahme der Restriktionen. Zurück zur Normalität wird es nur in kleinen Schritten gehen. (Thomas P. Menzel) +++

Unser Gastkommentator Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel.
Foto: Hendrik Urbin
Im Klinikum Fulda bereiten wir uns auf eine flexible Rückkehr zum Normalbetrieb vor, sagt Menzel.

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