Bad Hersfelder Festspiele

Ist das Freundschaft, oder kann das weg? - Premiere von "Kunst" im Eichhof

Das Hin und Her im Streit der Freunde ist unterhaltsam, aufwühlend, zum Nachdenken anregend
Fotos: Laura Struppe

21.07.2025 / BAD HERSFELD - "Weißes Bild mit weißen Streifen" oder vielleicht doch "Ist das Kunst oder kann das weg?" Mit der Frage, was Kunst ist, was Geschmack und ob sich über diesen - unter Freunden - wirklich so trefflich streiten lässt, beschäftigt sich seit Samstagabend das Stück "Kunst" der französischen Erfolgsautorin Yasmina Reza unter der Regie von Antoine Uitdehaag im Schloss Eichhof ind Bad Hersfeld.



Bei den Bad Hersfelder Festspielen ist "Kunst" in diesem Sommer die zweite Komödie aus der Feder Rezas, die Intendant Joern Hinkel in der charmanten zweiten Spielstätte des Theaterfestivals zeigt. Die Schauspieler Christian Nickel (spielt in diesem Jahr auch in Joern Hinkels "Sommernachtsträume" in der Ruine), Götz Schulte und Bijan Zamani (beide waren im vergangenen Jahr in der "Dreigroschenoper" in Bad Hersfeld zu sehen) spielen drei Freunde, die über die Freude des einen über ein Kunstwerk in einen handfesten Disput über unterschiedliche Geschmäcker, Weltbilder, Selbstbilder und schließlich ihre Freundschaft geraten.

Das Publikum lacht (mit)

Gerade einmal 200 Zuschauer finden in dem kleinen Innenhof von Schloss Eichhof Platz, wodurch sich die Produktionen dort oftmals durch eine besondere Nähe und Intimität auszeichnen. So ist es kein Wunder, dass auch die Zuschauer am Samstagabend nicht lange stille Beobachter bleiben. Schon nach wenigen Sekunden hallt das erste Lachen durch die Reihen und Gelächter, mal lauter, mal vorsichtiger, soll die Gäste durch die folgenden zwei Stunden begleiten.

Weiß? Grau? Bunt?

Dermatologe Serge (Christian Nickel) hat einen neuen Stolz. Erst kürzlich hat er ein Werk des hochdotierten Künstlers Antrios erworben. Lange hatte er damit geliebäugelt und schließlich zugeschlagen. Zu einem Preis von 75.000 Euro. Gerade einmal, wie er findet. Unglaublich teuer, wie sein Freund Marc (Götz Schulte) entsetzt feststellt. Der nämlich, glaubt zunächst an einen Scherz, als Serge ihm das Werk voller Erwartung und mit schier ununterdrückbarer Freude präsentiert. Denn dieses Kunstwerk ist schlichtweg - der Titel verrät es - weiß. Also für Marc. Für Serge ist da, so beschreibt er bildhaft, so viel mehr. Grautöne, sogar rot. Er ist gefesselt.

Marc hingegen ist zunächst irritiert, dann entsetzt, schließlich sogar erzürnt über den Kauf des Freundes und das, was er darin sieht: Eine Wandlung dessen Charakters, eine tiefe Uneinigkeit der Weltsichten und schließlich sogar ein Stück weit Verrat. Unter vier Augen berichtet er dem Dritten im Bunde, Freund Yvan (Bijan Zamani) von seinem Erlebnis. Doch der sieht die Dinge gelassener. Zwar macht auch er bei der Summe Augen, doch will er den Freund nicht belehren, ihm nicht die Freunde an seinem Kunstwerk nehmen. Es tut ja keinem weh.

Zwischen Irritation, Amusement und handfestem Streit bewegt sich die Auseinandersetzung der drei Männer mit dem Kunstwerk und ihrer Freundschaft ab dem Zeitpunkt, an dem schließlich alle drei erstmals in Serges Wohnung zusammenkommen, dann stetig hin und her. Während Yvan bemitleidenswert meist zwischen den Stühlen steht, geraten Serge und Yvan schließlich in einen Konflikt, der droht nicht nur ihre, sondern auch die Freundschaft aller drei Männer für immer zu zerstören.

Nickel, Schulte und Zamani brillieren in der Komödie

Mit der herunterlaufenden Uhr werden Marc und Serge immer hitziger. Nickel spielt den Kunstliebhaber mit einer so schrulligen Überzeugung, dass das Publikum - ganz im Gegensatz zu ihm - schon nach wenigen Sekunden nicht mehr ernst bleiben kann. In einem rosafarbenen Anzug mit Blumenhemd und ausgestelltem Kragen kommt er daher wie einer, dem man vielleicht so etwas wie die krisenhafte Sinnsuche in der Mitte des Lebens - auch Midlife Crisis - unterstellen mag. Er zückt immer wieder höchst affektiert das weiße Tuch, mit dem er vorsichtigst seinen Schatz über die kleine Bühne bewegt, akzentuiert seine Aussprache in besonderem Maße, sodass es Marc schier in den Wahnsinn treibt und spricht mit einer dermaßen bildhaften Herablassung über dessen Frau, dass man sich in den Zuschauerreihen schon auf eine handfeste Prügelei einstellt.

Schulte als Marc bewegt sich in diesen zwei Stunden immer wieder zwischen äußerst nachvollziehbar kritisch und vollkommen abgehoben. Er spielt den skeptischen Freund sympathisch, dann, wenn man ausrufen möchte: "Ja, ist das denn der einzige, der hier noch vernünftig ist?" Aber er wirkt dann auch wieder so herrisch, überheblich, herablassend, dass man ihn einfach stehen lassen möchte. Doch immer wieder schafft es Schulte, das Blatt für seine Figur zu wenden.

Zamani als der bedauernswerte Yvan zwischen den Stühlen gibt den durch und durch guten Kerl. Etwas tollpatschig, zuweilen ziemlich weinerlich, aber am Ende einer, der einfach nur der Freund sein möchte. Man möchte ihn drücken und herzen und ihm seine Sorgen nehmen, hat doch gerade er mit seiner anstehenden Heirat und innerfamiliären Krisen bei deren Vorbereitung weiß Gott andere Sorgen als Kunst. Doch selbst wenn er sich bemüht, unparteiisch zu bleiben, muss er sich viel gefallen lassen. Dem selbsterklärten Prügelknaben kann das Publikum voller Mitleid nur zustimmen.

Eine wahre Geschichte? - Zum Glück nur fast

Und all das wegen eines Bildes, das vielleicht weiß, vielleicht bunt, aber in jedem Fall für jeden etwas anders zu sein scheint. Autorin Reza hat das Stück übrigens inspiriert von einer ähnlichen Situation geschrieben. Auch ihr Freund, Dermatologe, kaufte ein weißes Bild für eine, objektiv betrachtet, hohe Summe. Mit dem Unterschied, dass bei den beiden daraus kein Streit wurde, sondern sie gemeinsam darüber lachten. Wohingegen im Stück des Öfteren der fehlende Humor eines Freundes bemängelt wird. Zum Glück ist ihr das erspart geblieben, was dem auf der Bühne folgt.

Vermutlich ist das gerade die Gefahr dieses großen Interpretationsraumes: Dass wir uns darin verlieren, uns verrennen. Dinge sehen, die wir sehen wollen und plötzlich nichts mehr erkennen. So wie die drei Freunde. Die erst auf das Kunstwerk und schließlich auf die jeweils anderen beiden wie auf eine weiße Leinwand blicken und im Geiste ihre eigenen Erwartungen und Wünsche an das Gegenüber malen und wenn diese nicht erfüllt sind, plötzlich enttäuscht werden.

Das Publikum jedenfalls fühlt sich am Samstag köstlich unterhalten und vielleicht dennoch oder auch gerade deshalb zum Nachdenken angeregt. Es dankt den Darstellern dieses rasend schnelle, aufregende, mitreißende Theatererlebnis mit langem Schlussapplaus. (Sabrina Ilona Teufel-Hesse) +++

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