Kritik zur letzten Festspiel-Premiere

"Die Rache der Fledermaus": Wenn wir morgen noch dran denken

Lustig und bunt geht es zu bei "Die Rache der Fledermaus" bei den Bad Hersfelder Festspielen.
Fotos: Christopher Göbel

13.08.2023 / BAD HERSFELD - Als Johann Strauß seine "Fledermaus" schrieb, war die Operette ein noch sehr junges Genre, eroberte aber die Herzen des Publikums im Sturm. Die Kombination aus französischer Gesellschaftssatire, gewürzt mit Wiener Lokalkolorit und eingängiger Musik erwies sich als unwiderstehlich.



Zur beschwingten Strauß'schen Musik wird dem Großbürgertum der k.u.k.-Zeit der Spiegel vorgehalten. Sein nicht gerade sympathischer Repräsentant ist Gabriel von Eisenstein, der eine Haftstrafe antreten muss, es davor aber nochmal so richtig krachen lässt. Krachen lassen heißt immer: hübsche jungen Frauen, Essen und Alkohol im Überfluss. Man gönnt sich ja sonst nichts. Die Operette leuchtet diese Attitüde, alles stünde einem zu, solange man bezahle, aus. Ihr Höhepunkt ist deshalb der rauschende Maskenball bei Prinz Orlofsky. Hier ist die aufgeräumte gutbürgerliche Welt weit weg, hier können sich alle ungestraft gehen lassen, hier spielen sie alle eine Rolle, und keiner beherrscht seine wirklich. Das ist die zweite Ebene dieser Operette – dass all ihre Hauptfiguren nicht sich selbst, sondern jemand anders spielen – was noch mehr Enthemmung ermöglicht. "S’ist mal bei mir so Sitte, chacun à son goût!", wiegelt der russische Prinz jede mögliche Kritik ab.

Auf dem Maskenball sind auch deshalb alle verkleidet, weil ein Maskenball immer "demimonde" war, irgendwo zwischen anrüchig und revolutionär. Wenn genug Alkohol geflossen ist, verbrüdern sich alle, zumindest für den Moment: "Brüderlein und Schwesterlein, lass das traute ‚Du‘ uns schenken, für die Ewigkeit, immer so wie heut, wenn wir morgen noch dran denken!" Der Katzenjammer ist vorprogrammiert. Dass der Maskenball hier ein Spiel im Spiel ist, bei dem es um Rache geht, überdreht das Geschehen ein weiteres Mal.

Zwischen Klamauk und Kabarett

Stefan Huber und Kai Tietje haben sich in ihrer Inszenierung für einen quietschbunten Klamauk entschieden, der mal bei Mario Barth, mal bei Zarah Leander, mal in Travestieshows und mal im Kabarett Anleihen nimmt. Ich fand interessant, dass die chauvinistischen und misogynen Züge der männlichen Charaktere in dieser Inszenierung besonders deutlich zutage treten. Aber darin erschöpft sich die Gesellschaftskritik dann auch. Der Maskenball ist zur Party verkommen.

Es gibt hinreißende musikalische Ideen – etwa, die Ouvertüre A-Cappella singen zu lassen oder die hervorragenden Musiker immer wieder auch zum Teil des Ensembles zu machen. Die Spielfreude aller auf der Bühne ist ansteckend, und sie nutzen mit Lust und Geschick alle Möglichkeiten zur Improvisation aus. Herausragend Stefanie Dietrich als Prinz Orlofsky (auch im Strauß’schen Original ist diese Rolle als Hosenrolle für einen Mezzosopran angelegt), deren wodkaselige Interpretation des

Prinzen offensichtlich von Hella von Sinnen inspiriert ist. Was für eine Stimme, was für eine Bühnenpräsenz! Ihr ebenbürtig ist Christoph Marti als Rosalinde, dem es als einzigem gelingt, zwischen allen übersteigerten Posen, Grimassen und Allüren auch die zarten Töne anklingen zu lassen. Tobias Bonn als Eisenstein, Frank Frickel als Gefängnisdirektor, Alen Hodzovic als liebeskranker Tenor Alfred und Gabriela Ryffel als Stubenmädchen Adele machen ihre Sache gut. Das gilt natürlich auch für Publikumsliebling Stefan Kurt, der gleich drei Rollen spielt – in jedem Akt eine andere. Ich mochte seinen f(ast) schweigsamen Ali Bey besonders, auch als stotternder Advokat Dr. Blind war er hinreißend. Das Hersfelder Publikum feierte ihn frenetisch als sturzbesoffenen Gefängniswärter Frosch im Ottmar-Zittlau-Trainingsanzug.

Entplüscht, aber nicht modernisiert

Zugegeben, die meisten Inszenierungen der "Fledermaus" sind arg plüschig und wohlig-biedermeierlich, paradigmatisch steht dafür die auch verfilmte Inszenierung Otto Schenks. Optisch kann man das heute kaum noch ertragen – stimmlich aber ist es ein Hochgenuss, denn da versammeln sich Lucia Popp, Brigitte Fassbaender, Walter Berry, Editha Gruberova und Helmut Lohner. Auch wenn’s altmodisch aussieht, die Musik perlt wie Champagner. Und es ist doch genau dieser Gegensatz zwischen der Leichtigkeit der Musik und den Untiefen der Geschichte, der diese Operette so faszinierend macht.

In der "Rache der Fledermaus" wird man nicht mit Biedermeier traktiert, das ist sehr wohltuend. Leider aber fehlen auch die Untiefen. Eine Modernisierung ist es eher nicht geworden, denn außer laut, bunt und schräg hat man dem Stoff keine neuen Aspekte abgewonnen. Da hilft es auch nicht, fremde Melodien von "Kalinka" bis "Leute, bin ich denn ein Kiosk" einzubauen. Wer sich auf das unterhaltsame und bunte Spektakel einlässt, kommt voll auf seine Kosten. Das Publikum beim leider nicht ausverkauften Premierenabend war begeistert und spendete minutenlang Applaus. (Jutta Hamberger) +++

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