O|N-Serie über Jüdische Feiertage (7)

Chanukka - das Fest des Lichts

Roman Melamed hat die fünfte Kerze entzündet
Fotos: privat

01.01.2025 / FULDA - Im Jahr 2024 fallen das jüdische Lichterfest Chanukka und das christliche Weihnachten zusammen. Das geschieht nicht sehr oft, in den letzten 100 Jahren kam es nur 1910, 1921, 1959 und 2005 vor. Und wir müssen bis 2035 warten, bis es wieder so weit sein wird. Chanukka 2024 beginnt nach dem jüdischen Kalender am Vorabend des 25. Kislev, in diesem Jahr also am Abend des 25. Dezember, und endet am 02. Januar.



Das Fest der jüdischen Selbstbehauptung

Acht Tage lang wird jeden Abend eine Kerze an der Chanukkia entzündet. Die Ursprünge von Chanukka sind historisch. Unter der Führung von Judas Makkabäus war es den Juden 167 v. Chr. gelungen, die hellenistische Fremdherrschaft abzuschütteln, Jerusalem zurückzuerobern, einen unabhängigen jüdischen Staat zu errichten und den Tempel wieder einzuweihen. Und genau das heißt Chanukka: Fest der Tempelweihe. Chanukka ist ein Fest der Hoffnung, ein durch und durch fröhliches Fest. Juden in aller Welt hoffen auf den Sieg des Lichts über die Dunkelheit – und das darf man getrost auch übersetzen mit "endlich ein Ende des Kriegs und wieder Frieden im Land".

Zentrales Symbol des Lichterfests ist die Chanukkia, der neunarmige Chanukka-Leuchter. An acht Tagen werden abends die Kerzen entzündet, jeden Tag eine mehr, das ähnelt dem Adventskranz, der in vielen Familien eine beliebte Tradition der Weihnachtszeit ist. Entzündet werden die Kerzen mit dem sogenannten "Schamasch" (= Diener), der Extra-Kerze in der Mitte. Die Kerzen werden von rechts nach links entzündet – also so, wie auch die hebräische Schrift verläuft.

Dass in Israel und in jüdischen Gemeinden außerhalb Israels Chanukkiot aufgestellt werden, versteht sich von selbst, sie stehen aber auch in vielen deutschen Städten. Berlin rühmt sich, die größte Chanukkia Europas aufgestellt zu haben, er ist zehn Meter hoch und ist – so sagt es die Jüdische Berliner Chabad-Gemeinde – ein Zeichen für das Wunder von Chanukka genauso wie für ein lebendiges Judentum in Deutschland.

In genau diesem Sinn muss man auch die beiden Gedichte verstehen, die Isaak Dubinsky für diese Chanukka-Feier geschrieben hat. Das eine rezitiert er am Ende des festlichen Essens. Isaak stellt in seinem Gedicht "Chanukka" die Bezüge zu Israel, der Hamas und der Hisbollah her und erinnert an diesem so fröhlichen Tag daran, dass auch Chanukka ein Krieg voranging.

Горят ханукальные свечи! Chanukka – Kerzen brennen!

Чтоб также горели враги. Damit sollen auch die Feinde brennen

Отметим мы праздник весёлый. Wir werden einen freudigen Feiertag feiern.

От нас, враг, пощады не жди. Von uns Feind, erwarte keine Gnade.

Залили водой мы тоннели. Wir haben die Tunnel mit Wasser geflutet,

ХАМАС мы сметем навсегда. Wir werden die Hamas für immer zerstören,

Своё государство упрочим. Wir werden unseren Staat stärken.

Теперь трепещи Хезболла. Jetzt zittert die Hisbollah.

И снова мы праздник встречаем Und wieder feiern wir den Feiertag,

Своею общиной семьёй . Mit meiner Gemeinde und meiner Familie,

Друг друга мы с ним поздравляем. Wir gratulieren einander,

И льётся веселье рекой. Und die Freude fließt wie ein Fluss.

Das zweite Gedicht las Isaak nicht vor. Es bezieht sich auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er war in Sorge, dass es einige in der Gemeinde nicht verstehen würden. Dazu muss man wissen, es gibt ex-russische und ex-ukrainische Gemeindemitglieder, und in ihrer Bewertung dieses Kriegs sind sie sich nicht einig. Auch nach zwei Jahren blutigen Kriegs gegen die Ukraine glauben viele noch immer Putins Worten. Ich versuche, diese Haltung zu verstehen. Wie ginge es mir, wenn man mein Herkunftsland der Kriegstreiberei beschuldigen würde? Würde ich nicht auch leiden und es zu verteidigen versuchen? Vielleicht sogar wider besseres Wissen? Und das mit dem Wissen ist auch so eine Sache: Wer nur russische Medien konsumiert, hört und liest nur Putins Sicht der Dinge und kann sich mit anderen Bewertungen nicht auseinandersetzen. Das ist ein Konflikt, den man aushalten muss, auch wenn das nicht einfach ist. Genau deshalb nehme ich Isaaks zärtlich-wehmütiges Gedicht "Warten auf ein Wunder" in diesen Text mit auf. Denn auch das ist Chanukka: Das Fest erinnert uns daran, was wir trotz aller Unterschiede teilen – die Hoffnung auf das Licht und vielleicht ein Chanukka-Wunder.

Так что за чудо к нам придёт? Was für ein Wunder kommt zu uns,

Сейчас чудес никто не ждёт. Jetzt erwartet niemand Wunder,

Все та'к измучены войной, Alle sind so erschöpft vom Krieg,

И чудом кажется покой. und Frieden scheint ein Wunder zu sein.

Покой нам может принести Kann uns Frieden bringen

Конец войны. Затем мечты. Ende des Kriegs, dann Träume.

У каждого они свои. Jeder hat seinen eigenen Traum.

И каждый ждёт приход весны Und alle warten auf die Ankunft des Frühlings

весна -начало жизни Frühling – der Beginn des Lebens

после войны. Nach dem Krieg.

Gebet zu Chanukka

Wenn die Kerzen der Chanukkia brennen und die Segenssprüche gesagt sind, beten alle gemeinsam: "Diese Lichter zünden wir an in Erinnerung der wundersamen und unsichtbaren Taten, der Errettung und Siege, die Du für unsere Väter vollbracht hast, in jenen Tagen zu genau dieser Zeit durch Deine heiligen Priester. An allen acht Tagen von Chanukka sind diese Kerzen heilig und es ist nicht erlaubt, sie für irgendetwas anderes zu benutzen, als sie anzuschauen, so Dir zu danken und deinen großen Namen zu loben, dank deiner wundersamen und unsichtbaren Taten und Deiner Errettung."

Das Gebet führt uns in die Tiefe der Botschaft des Festes. Natürlich war der Sieg gegen den übermächtigen Gegner großartig. Aber es geht vor allem darum, die eigenen geistigen und religiösen Grundlagen zu bewahren und zu verteidigen. Die Griechen wollten die Juden seinerzeit weder vertreiben noch töten, aber sie wollten ihnen ihre jüdische Lebensweise austreiben. Sie hatten nichts gegen die Tora, sahen die aber eher als Werk der Literatur und nicht als Wort Gottes. Die größte Gefahr ist deshalb der Abfall von einer jüdischen Lebensweise, oder die Hinwendung zu falschen Göttern (ähnliches kennen wir aus der Geschichte von Moses und dem Goldenen Kalb). Entweihung ist innere Verunreinigung – wie Materialismus, Gleichgültigkeit oder der Ausschluss Gottes aus dem eigenen Leben. Die Tora und ihre Gebote sind nicht nur für den Schabbat da, sie sollen tief ins ganze Leben hineinreichen. Das Licht der Chanukkia erhellt jede einzelne Seele, und die ganze Welt.

Während die Kerzen der Chanukkia brennen – mindestens eine halbe Stunde – soll man nicht arbeiten. Die Kerzen sind nicht als Lichtquelle gedacht, dafür hat man schließlich Lampen. Man sitzt davor und erzählt Geschichten, die mit dem Fest zu tun haben, singt oder spielt gemeinsam.

Und beim Spielen kommt der Dreidel ins Spiel – nur: wie genau kam der denn zu Chanukka? Der Legende nach gaben die jüdischen Schriftgelehrten unter der hellenischen Besatzung das Studium der heiligen Schriften nie auf, auch wenn es streng verboten war. Kam ein Staatsbeamter vorbei, versteckten sie die Schriften und holten Spiele hervor – als Vorwand, warum sie zusammensaßen.

Kein jüdisches Fest ohne gutes Essen

Öl spielt in der Chanukka-Geschichte eine große Rolle. Zur Einweihung des Tempels sollte die Menora entzündet werden, aber es fand sich nur noch ein Krug mit koscherem Öl, die Menge reichte gerade für einen Tag. Das Wunder von Chanukka war, dass das Öl für acht Tage reichte, so lange, bis wieder reines, koscheres Öl hatte hergestellt werden können. Viele Chanukkiot werden deshalb mit Öl statt Kerzen erleuchtet.

Bei den typischen Chanukka-Speisen wird deshalb vor allem in Öl Gebackenes gegessen – also fett, ungesund, aber soooo lecker! Die beiden bekanntesten sind Latkes (= jiddisch für Kartoffelpuffer) und Sufganiot – auf fuldisch Kräppel. Wären wir in diesen Tagen in Israel, würden wir in Bäckereien eine ungeheure Vielfalt von Sufganiot bestaunen können, ganz ähnlich wie wir in der Foaset Kräppel in allen Variationen kaufen können. Gaby hat eigens für diesen Text Fotos in der Konditorei Roladin in Tel Aviv gemacht und mir geschrieben, wegen des Kriegs sei die Auswahl kleiner als sonst. Verführerisch sieht’s trotzdem aus!

Chanukka und Weihnachten

Gerade wenn wie in diesem Jahr Chanukka und Weihnachten zusammenfallen, spricht man gern von "Weihnukka". Und nein, das ist keine Erfindung der letzten Jahre, tatsächlich geht dieses sogennate Kofferwort auf säkulare, gutbürgerliche deutsche Juden Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Sie vermischten die Traditionen beider Feste, und manches ist ja auch sehr naheliegend: Beide Feste sind Feste der Hoffnung. Beide Feste feiern das eigentlich Unmögliche: Gott wird in einem ärmlichen Stall als Kind geboren – ein weit unterlegenes jüdisches Heer besiegt seine Feinde. Beide Feste sind vom Licht geprägt und der Hoffnung, dass die Dunkelheit durch das Licht besiegt wird. Beide Feste sind Familienfeste, es geht um die Zeit miteinander. Beide Feste sind von Ritualen und Brauchtum geprägt: Der geschmückte Weihnachtsbaum, festliche Weihnachtsgottesdienste und herzerwärmende Weihnachtslieder – das Entzünden der Kerzen an der Chanukkia, fröhliche Chanukka-Lieder und das Dreidel-Spiel. Um beide Feste ist eine regelrechte Industrie entstanden, die alle möglichen und unmöglichen Produkte rund ums Fest anbietet. Vielleicht der größte Unterschied zwischen beiden Festen ist, dass Weihnachten eines der wichtigste Feste im christlichen Jahreskreis ist. Chanukka hingegen ist deutlich weniger spirituell als die jüdischen Hochfeste Pessach oder Jom Kippur.

Ich wünsche Ihnen "Chanukka sameach" – ein frohes Lichterfest – rutschen Sie gut ins Neue Jahr! Mögen wir alle in diesem neuen Jahr mehr Licht als Dunkelheit verbreiten.
(Jutta Hamberger)+++

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