O|N-Serie über jüdische Feiertage (6)

Sukkot – das Fest der Freude: Feiern in der Diaspora

Bella Gusman und Roman Melamed in der Sukka der Jüdischen Gemeinde. Die Sukka ist eine provisorisch gebaute Hütte, die mit Weidematten oder Palmwedeln bedeckt ist. Während des Laubhüttenfests wird sie zur Wohnung.
Fotos: Martin Engel

03.10.2023 / REGION - An Pessach feierten gläubige Juden die Erlösung aus der Sklaverei und die wiedergewonnene Freiheit, an Schawuot den Erhalt der Tora, an Rosch Haschana die Verbundenheit zwischen Gott und Menschen, an Jom Kippur Gottes Verzeihung. An Sukkot (ab dem 29. September 2023) wird die Einheit aller Menschen im Glauben an den einen Gott gefeiert.

Sieben Tage der Freude

"Alle anderen jüdischen Feiertage beziehen sich auf Ereignisse, die geschehen sind, aber an Sukkot feiern wir etwas, das noch nicht passiert ist", eröffnet Roman Melamed die Schabbat-Feier. Denn die Einheit aller Menschen im Glauben an den einen Gott sei ein Ziel, das man erst noch erreichen müsse. Und doch gibt es natürlich auch an Sukkot Elemente, die eng mit der Geschichte des Judentums und bestimmten Geschehnissen verbunden sind. Die Sukka (= Laubhütte), die dem Fest seinen Namen gibt, erinnert an die Flucht aus Ägypten und die 40 Jahre der Wanderung durch die Wüste, als das Volk Israel in provisorischen Behausungen lebte und auf Gottes Fürsorge angewiesen war.


In Israel bestimmt Sukkot das Straßenbild und die Atmosphäre. Sogar an den Häuserfassaden kann man erkennen, für wen das Haus gebaut ist. Leben dort Juden, sind die Balkone versetzt angebracht. Denn an Sukkot werden sie zu einer Sukka umfunktioniert, und dann soll man in jeder der Himmel sehen, nicht der Balkon der darüberliegenden Wohnung. Auch in Gärten oder auf Dächern werden Laubhütten errichtet. In den Tagen vor dem Fest kann man auf eigenen Sukkot-Märkten alles einkaufen, was man für das Fest braucht. Die Sukka der Fuldaer Jüdischen Gemeinde wurde vor einigen Jahren auch mit Unterstützung der Stadt Fulda und des Jüdischen Landesverbands Hessen gebaut und ist ein einfaches Holzhaus. Das Dach ist teilweise offen und mit Weidenmatten und Pflanzwedeln abgedeckt.

Kabbalat Schabbat

Das Fest beginnt mit dem "Kabbalat Schabbat", dem Willkommensgruß für den Schabbat. Nach dem Entzünden der Kerzen beten wir das "Jedid Nefesch – Innigster Freund". Dann singen wir das Lied "Lecha dodi, likrat kalla – Komm mein Freund, der Braut entgegen". Es stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde von Rabbi Shlomo Al-Kabez geschrieben. Dann folgt das "Mismor. Schir le Jom ha Schabbat. Tow lehodot la’ A-donaj – Schön ist es, dem Ewigen zu danken, und Deinen Namen zu preisen" (Psalm 92). Das Mismor markiert den liturgischen Beginn des Ruhetags.

Beim Mitfeiern in der Gemeinde kann man erleben, welch hohen Stellenwert das Gebet im Judentum hat. Natürlich beten gläubige Juden auch individuell, aber am wertvollsten ist das gemeinsame Gebet in der Synagoge. Dafür muss das Minjan erreicht sein, ein Quorum von zehn oder mehr mündigen Männern. Mündig bedeutet in diesem Zusammenhang religionsmündig, man muss also seine Bar Mitzva gefeiert haben. Warum braucht man für das Minjan Männer und keine Frauen? In der Orthodoxie waren Frauen von allen zeitgebundenen Gebeten befreit. Das hatte harte, biologische Gründe, waren sie doch fast durchgängig schwanger, brachten Kinder auf die Welt, stillten diese und kümmerten sich um sie. Aber die Zeiten ändern sich, seit den 1970er Jahren sind viele Gemeinden zur Gleichberechtigung beim Gebet übergegangen.

Das Maariv (= Abendgebet) beginnt mit dem "Schma Israel – Höre Israel". Wie kein anderes Gebet drückt es das jüdische Selbstverständnis aus, es hat eine genauso zentrale liturgische Bedeutung wie das christliche Glaubensbekenntnis. Dann folgt die Amida (= Achtzehnbitten-Gebet), das man im Stehen betet. Es beginnt mit drei Segenssprüchen, dann kommt die Bitte für einen guten Ruhetag und für Sukkot, den Schluss bilden drei Segenssprüche, der letzte ist das Birkat Schalom (= Friedensbitte). Das Schlussgebet "Alejnu" ist eine Lobpreisung Gottes: "An uns ist es zu preisen den Herrn des Alls, Huldigung darzubringen dem Schöpfer des Anbeginns…". Mit "Schabbat Schalom" (= ein friedvoller Schabbat) und "Chag sameach (= erfreulicher Feiertag) grüßen sich die Gemeindemitglieder am Ende der Feier.

Kiddusch für den Wein und Segnung des Brots

Fürs Kiddusch gehen wir hinüber in die Sukka. Ganz schön eng wird es da, denn am Feiertag sind mehr Gemeindemitglieder gekommen als sonst. Die Kinder haben alles mit bunten Girlanden geschmückt, die frisch geernteten Äpfel aus Alina Sardlischvilis Garten – "alles bio!", wie sie mir erklärt – sehen verführerisch aus.

Roman Melamed spricht den Kiddusch-Segen über den Wein. Das Kiddusch markiert die Trennung zwischen dem hektischen Alltag und dem Ruhetag. Danach wird das Brot gesegnet, Roman Melamed bestreut es mit Salz und bricht es, dann wird es an alle verteilt. Darauf folgt die rituelle Handwaschung. Für das gemeinsame Mahl gehen wir zurück ins Gemeindehaus – aus Platzgründen, sonst würde man in der Sukka essen. Die Stimmung ist fröhlich, zwischen den Gängen stimmt Jana Tegel immer wieder ein Lied an. Auch das hat eine tiefe, symbolische Bedeutung. Der Schabbat ist ein Tag, den man feiern soll, dazu gehören das gemeinsame Beten und Singen sowie die gemeinsame Mahlzeit.

Feiern in der Diaspora

"Ich kann mir die Feiertage nur schwer im Ausland vorstellen, wo der Rhythmus völlig anders ist", hatte meine in Bet Shemesh lebende Freundin mir in den Tagen vor Sukkot geschrieben. Wie machst Du das, wenn um Dich herum alles einem anderen Rhythmus folgt und es ziemlich schwierig sein kann, die Gebote einzuhalten? Eine berechtigte Frage. Und klar, auch die Atmosphäre ist natürlich ganz anders, wenn ein ganzes Land gemeinsam einen Feiertag begeht, oder wie hier nur eine kleine Gruppe ihn feiert.

Was sicher richtig ist: Das Leben in der Diaspora erfordert mehr Planung von langer Hand. Man muss wissen, wo man kaufen kann, was man benötigt, weil es eben nicht in jedem Supermarkt um die Ecke zu haben ist. Aber ist dies wirklich ein beklagenswerter Mangel? Natürlich kann man jammern über alles, was man nicht hat – mir scheint aber, dem Schabbat und den Feiertagen wird man gerechter, wenn man feiert, was man hat. Vielleicht noch ein wichtiger Punkt: Gerade in der Diaspora wächst das Wir-Gefühl – das kann man hier bei jeder Zusammenkunft erleben.

Die Arba Minim – der Feststrauß zu Sukkot

Eine Mitzwa (= Gebot) an Sukkot ist das Nehmen der Arba Minim (= die vier Arten). Dafür braucht man eine Etrog (Zitrusfrucht), einen Lulaw (Palmwedel), drei Hadassim (Myrthenzweige) und zwei Arawot (Weidenzweige). Die Zweige werden zu einem Bündel zusammengebunden, man hält sie in der rechten Hand, die Etrog in der linken. In der Sukka wird das Bündel dann drei Mal in alle Richtungen geschüttelt. Das Schütteln wird allerdings nie am Schabbat gemacht, aber an allen anderen Tagen von Sukkot.

Alle vier Pflanzen wachsen in Israel und im Nahen Osten, sie brauchen viel Wasser oder gedeihen am besten am Wasser. So symbolisieren sie auch unser Bitten um Wasser und unsere Abhängigkeit davon. Das Laubhüttenfest thematisiert die Einheit der Juden, die vier Arten symbolisieren deshalb auch die vier Arten von Jüdinnen und Juden mit ihren unterschiedlichen Kenntnisständen zur Tora und deren Einhaltung. Mit den Arba Minim werden sie alle zusammengeführt.

Unmittelbar auf das Laubhüttenfest folgen zwei weitere Feste, das Schlussfest Schmini Azeret (= Achter Tag der Versammlung) und tags darauf das Fest Simchat Tora (= Das Freudenfest der Tora). Alle Tora-Rollen der Gemeinde werden siebenmal um das Lesepult getragen, dazu singt und tanzt man. Der alte Zyklus der Tora-Lesungen endet, und beginnt dann von Neuem. (Jutta Hamberger) +++

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