Zwischen Traum und Theater

Zwei Rollen, ein Herz für die Bühne: Christian Nickel prägt den Festspielsommer

Christian Nickel begeistert das Publikum 2025 gleich doppelt – in der Stiftsruine und im Schloss Eichhof.
Fotos: Carina Jirsch

08.07.2025 / BAD HERSFELD - Für Christian Nickel ist Theater kein Beruf. Es ist eine Haltung. Eine Lebensweise. Vielleicht sogar ein innerer Kompass. In diesem Sommer prägt der erfahrene Schauspieler gleich zwei völlig unterschiedliche Produktionen bei den Bad Hersfelder Festspielen – und zeigt damit eindrucksvoll die Bandbreite seiner Kunst. In "Die Sommernachtsträume" in der Stiftsruine übernimmt er eine zentrale Rolle im poetischen Verwirrspiel zwischen Traum und Realität. Im Kammerspiel "Kunst" im Schloss Eichhof hingegen brilliert er im Dialog über Freundschaft, Eitelkeit und die Bedeutung moderner Kunst.



Zwei Stücke, zwei Bühnen, zwei Perspektiven – und doch ein gemeinsamer Nenner: die Liebe zur echten, tiefgründigen Begegnung mit dem Publikum.

Zwischen Sinnlichkeit und Intimität

"Ich habe Bad Hersfeld vermisst", schmunzelt Nickel im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS. Dass er diesen Sommer gleich zwei Rollen übernimmt, ist für ihn kein Stress, sondern Herausforderung und Geschenk zugleich. "Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich beides machen darf. Es ist ein schöner Wechsel zwischen großem, sinnlichem Spiel in der Ruine und intimer Auseinandersetzung im Schloss."

Zwischen Ordnung und Magie in doppelter Hauptrolle

Im Zentrum der abendlichen Inszenierung "Die Sommernachtsträume" unter der Regie von Joern Hinkel steht ein menschliches, emotionales Ringen um Identität, Nähe und Freiheit. Christian Nickel schlüpft dabei in zwei ganz unterschiedliche Rollen: Er spielt sowohl Theseus, den Herzog von Athen, als auch Oberon, den geheimnisvollen Herrscher der Elfen.

Theseus ist ein Mann der Ordnung und des Rechts. Er bereitet sich darauf vor, die Amazonenkönigin Hippolyta zu heiraten. Zu den Hochzeitsfeierlichkeiten lädt er die gesamte Verwandtschaft ein. Ein Orchester soll die Stimmung heben, und die Palast-Handwerker erhalten den Auftrag, auf einer improvisierten Bühne ein Theaterstück aufzuführen – als Unterhaltung für die Gäste. Theseus steht dabei für die feste Ordnung, die Kontrolle und die gesellschaftlichen Konventionen.

Doch in der Nacht vor der Hochzeit löst sich die Welt der Figuren auf. Die Bewohner des Palastes tauchen in eine fantastische Traumwelt ein, verwandeln sich in Fabelwesen und begegnen sich in ihren Träumen neu. In diesem magischen Raum wandelt Oberon, der Herr der Elfen, durch die Wälder auf der Suche nach seiner Geliebten Titania. Als Oberon verkörpert Nickel den Zauber, das Geheimnisvolle und die Kraft des Loslassens.

Shakespeare als Spiegel der Zeit

"Es geht um Grenzüberschreitungen und den Versuch, Kontrolle zu behalten, wo es eigentlich um Loslassen geht", beschreibt Nickel seine beiden Figuren. Der Shakespeare-Klassiker ist für ihn kein bloßes Lustspiel, sondern ein tiefgründiges Spiegelbild moderner Beziehungswelten. "Die Figuren geben sich zu erkennen – was ein großes Geschenk ist", sagt er. Für ihn ist das Stück wie ein Traum, durch den man gemeinsam mit dem Publikum wandert.

Intime Bühne, große Wirkung: Nickel im Schloss Eichhof

Ganz anders ist die Atmosphäre bei "Kunst". Drei Männer, ein Bild – mehr braucht Yasmina Reza nicht, um eine rasante, pointierte Auseinandersetzung über Geschmack, Werte und Lebensentwürfe zu entfalten. Nickel spielt darin einen kultivierten, leicht arroganten Mann, der ein sündhaft teures, weißes Gemälde kauft – und damit eine Diskussion entfacht, die weit über Kunst hinausgeht. "Es geht um tiefe Verletzungen in langjährigen Freundschaften. Um die Frage: Was verbindet uns wirklich?", erklärt Nickel. Gerade im kleinen Raum des Schlosses Eichhof bekommt jedes Wort, jede Geste Gewicht. "Da bist du ganz nah dran. Du kannst nichts verstecken – du musst dich zeigen."

"Ich lebe hier"

Diese Nähe ist es, die ihn an Bad Hersfeld so fasziniert. Der Eichhof, die Stiftsruine, das Ensemble, die Stadt – für Nickel ist es mehr als ein Engagement. Es ist ein Ort der Begegnung. Während der Probenzeit lebt er in der Stadt, fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. "Ich bin nicht nur beruflich hier – ich lebe hier", betont er. Das sei nicht selbstverständlich in einem Beruf, der oft von Ortswechseln und Entwurzelung geprägt ist. "Aber hier hat man das Gefühl, da kommt was zusammen."

Die Magie des Moments

Christian Nickels Vater legte Wert auf Musik – schon in jungen Jahren erlernte er viele Instrumente. Doch früh war klar: Der Junge will auf die Bühne. Mit 13 schrieb er in ein Buch, dass er Schauspieler werden möchte. Die Theater-AG bestärkte ihn. Heute, viele Jahre später, blickt er auf eine facettenreiche Karriere zurück – als Schauspieler und Regisseur. Doch der Kern ist geblieben: die Suche nach dem echten Moment. "Ich liebe es, wenn etwas auf der Bühne passiert, das größer ist als der Text", sagt er. "Wenn sich etwas ereignet, zwischen uns und dem Publikum."

Zwei Stücke, eine Frage

Diese Haltung prägt auch seine Arbeit in Bad Hersfeld. Ob großes Ensemble-Stück oder Kammerspiel zu dritt – für Nickel ist jedes Projekt eine Einladung zum Dialog. "Das Theater ist ein Ort der Wahrheit", sagt er. "Man kann sich dort nicht verstecken – man muss sich zeigen, mit allem."

Trotz der inhaltlichen und stilistischen Unterschiede verbindet die beiden Stücke eine übergreifende Frage: Wie halten wir Beziehungen aus – in Liebe, in Freundschaft, in Gesellschaft? Für Christian Nickel ist das keine theoretische Frage. Er lebt sie – Abend für Abend, Szene für Szene. Und gibt dem Publikum das, was er selbst sucht: Wahrhaftigkeit, Tiefe, Berührung.

Kommentar: Christian Nickel zeigt eindrucksvoll, wie viel Tiefe und Menschlichkeit hinter den Kulissen eines Schauspielers stecken. Seine Offenheit, auch von den Herausforderungen und den besonderen Momenten im Leben abseits der Bühne zu erzählen, macht ihn nahbar und authentisch. Besonders beeindruckend ist, wie er die doppelte Rolle in "Die Sommernachtsträume" nutzt, um die Gegensätze zwischen Kontrolle und Freiheit, Realität und Traum zu erkunden. Dabei wird deutlich: Theater ist für ihn nicht nur Beruf, sondern gelebte Leidenschaft und ein Raum, in dem Menschen zusammenkommen und sich auf besondere Weise begegnen. Sein Blick auf die Festspiele in Bad Hersfeld als eine Zeit intensiver gemeinsamer Erlebnisse lässt spüren, wie sehr ihm diese Region und die Menschen dort am Herzen liegen. (Constantin von Butler) +++

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