Mit Herz, Haltung und Hingabe

Broadway-Moment: Melissa King über Mut, Magie und Musical

Melissa King inszeniert die Wiederaufnahme von "A Chorus Line".
Fotos: Philipp Apel

15.07.2025 / BAD HERSFELD - Wenn die Choreografin und Regisseurin Melissa King von Bad Hersfeld spricht, dann gerät sie ins Schwärmen. Für sie ist es mehr als nur ein weiterer Arbeitsort: "Es ist ein bisschen wie Nachhausekommen", sagt sie. In diesem Sommer bringt sie das gefeierte Musical "A Chorus Line" erneut in die Stiftsruine – und das mit neuer Energie, neuen Darstellern und einer ganz besonderen Verbindung zum Publikum. Vom 11. bis 27. Juli wird das Stück bei den Bad Hersfelder Festspielen gezeigt.


King hat längst ihren Platz in der Festspielstadt gefunden. "Ich liebe alle Leute, die hier arbeiten", sagt sie. "Die Bad Hersfelder sind offen und angenehm. Weil es hier so klein ist, spürt man diesen Unterschied – ein echtes Nachbarschaftsgefühl." Was sie besonders schätzt: "Jede Abteilung hier ist super, die Menschen sind menschlich und respektvoll. Trotz des vielen Betriebs herrscht hier ein echtes Miteinander." Die Atmosphäre, so King, sei in Bad Hersfeld einzigartig – und das spiele eine große Rolle für den kreativen Prozess.

Die Wiederaufnahme verspricht Gänsehaut

Auch die Arbeit an der Wiederaufnahme von "A Chorus Line" profitiert davon. Zwar war die Probenzeit in diesem Jahr kürzer, doch der Weg zum Ergebnis war umso fokussierter. Fünf Rollen wurden neu besetzt – und statt großer Auditions wie im Vorjahr hat King gezielt recherchiert und Talente direkt angesprochen. "Ich wollte unbedingt, dass die Energie erhalten bleibt und die Besetzung stimmig ist", erklärt sie. "Letztes Jahr war der Druck groß, ich hatte das Gefühl, jedes Wort und jede Szene perfekt kontrollieren zu müssen. Dieses Jahr ist es direkter, vielleicht auch etwas weniger sentimental – aber mit mehr Drive."

Der Prozess ist der eigentliche Erfolg

Für King steht nicht das Ergebnis, sondern der Weg dorthin im Vordergrund. "Ganz ehrlich: Ich bin viel mehr an dem Prozess interessiert als am Erfolg. Es geht darum, Raum für Dialog zu schaffen, eine Atmosphäre von gegenseitigem Respekt", sagt sie. "Die Darsteller sollen sich sicher fühlen, sich ausprobieren können – ohne Angst vor falschen Fragen oder Antworten."

Ein durchdachtes Bühnenbild

"A Chorus Line" ist für sie ein sehr intimes Stück – das nun auf der imposanten Bühne der Stiftsruine eine ganz eigene Dynamik entfaltet. "Es war nicht leicht, hier ein Bühnenbild zu schaffen, denn das Stück lebt stark von Lichtwechseln, die den Fokus auf einzelne Figuren lenken", erklärt King. Zwei große LED-Wände helfen dabei, die Nähe zwischen Darstellern und Publikum herzustellen. Auch bei Regen sei das Konzept durchdacht: "Wir haben eine Regenvariante – und manchmal kann Regen sogar eine ganz besondere Atmosphäre schaffen."

Der ungewöhnliche Weg auf die großen Bühnen

King kennt die Welt des Musicals von Grund auf – und hat einen ungewöhnlichen Weg dorthin genommen. Ursprünglich wollte sie Juristin werden und gegen Ungerechtigkeit kämpfen. Sie war Leichtathletin, studierte an der Yale University, tanzte zunächst nur zur Entspannung. Doch dann wurde sie entdeckt. "Jemand sah mich tanzen und fragte, ob ich meine Choreografie selbst gemacht hätte. Plötzlich stand der Gedanke im Raum, dass ich Choreografin werden könnte." Mit 22 nahm sie sich eine Auszeit, ging nach New York – und fand dort ihre Leidenschaft.

Was folgte, war eine europäische Karriere, die sie schließlich nach Deutschland brachte. "Ich habe auf Tour jeden Tag oder jeden zweiten Tag in einer anderen Stadt verbracht und dort versucht, Tanzunterricht zu geben", erinnert sie sich. Eine Einladung nach München für drei Monate wurde zum Startpunkt für über 20 Jahre Arbeit im deutschsprachigen Raum. Heute sagt sie: "Musical ist längst Teil der deutschsprachigen Kultur geworden."

Obwohl sie tief in jede Produktion eintaucht – inklusive Recherche, Musik, Brainstorming mit dem Team – hält sie sich selbst zurück, wenn es darum geht, das Stück als Darstellerin zu betreten. Die Figuren auf der Bühne, ihre Leidenschaft, das sei natürlich auch ein Teil von ihr. "Ich bin bei jedem Projekt mit 100 Prozent dabei."

King schätzt das kreative Gesamtpaket

Ein Intendant brachte King einst auf die Idee, auch als Regisseurin zu arbeiten – und seither verbindet sie beides: Choreografie und Regie. Ganz entscheiden möchte sie sich nicht. "Ich arbeite wahnsinnig gerne nur als Choreografin mit tollen Regisseuren zusammen, aber ich bin auch offen dafür, mal nur Regie zu führen."

Kritiken liest sie inzwischen kaum noch. "Am Anfang hatte ich das Gefühl, etwas beweisen zu müssen. Aber man kann es nie allen recht machen. Für mich ist es ein Erfolg, wenn sich alle auf der Bühne wohlfühlen." Diesen Sommer scheint genau das wieder gelungen zu sein – mit einem Stück, das durch Licht, Bewegung und Ehrlichkeit das Publikum mitten ins Herz trifft.

Kommentar: Melissa King ist keine Regisseurin, die von oben herab dirigiert – sie ist eine kreative Gastgeberin, die Räume öffnet, statt sie zu füllen. Ihre Arbeit lebt von Vertrauen, Teamgeist und einem tiefen Respekt für jede einzelne Person auf und hinter der Bühne. Was sie sagt, meint sie. Und was sie tut, ist spürbar von Herzblut geprägt. Sie spricht viel vom "Prozess" – und man merkt schnell: Für sie ist Theater nicht die Suche nach dem perfekten Moment, sondern die gemeinsame Reise dorthin.

Dass "A Chorus Line" in diesem Sommer erneut in der Stiftsruine zu sehen ist, ist deshalb weit mehr als eine Wiederaufnahme. Es ist die Fortsetzung eines lebendigen Dialogs zwischen Bühne und Publikum – mit neuen Gesichtern, neuen Perspektiven und vielleicht auch neuen Emotionen. Und es ist das Verdienst einer Künstlerin, die keine Repliken abliefert, sondern mit jedem Projekt aufs Neue in den Kosmos ihrer Figuren und des Ensembles eintaucht. (Constantin von Butler) +++

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