Zwischen Bühnenzauber und Heimatgefühl
Magie zwischen Traumwelt und Gegenwart: Graenzer verzaubert die Festspiele
Fotos: Moritz Rös
07.07.2025 / BAD HERSFELD -
Wenn Anna Graenzer über Bad Hersfeld spricht, klingt das wie eine Liebeserklärung an einen vertrauten Ort voller Erinnerungen – und voller Möglichkeiten. Seit vielen Jahren ist die Schauspielerin Teil der Festspiele, in diesem Sommer steht sie gleich in zwei Produktionen auf der Bühne: in Shakespeares "Die Sommernachtsträume und in "Wie im Himmel". Zwei sehr unterschiedliche Stücke, die für Graenzer dennoch eine besondere Gemeinsamkeit haben: Sie berühren die Menschen.
"Ich kenne Bad Hersfeld gut und komme immer wieder gerne", sagt Anna Graenzer. Die Stadt sei für sie nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern ein Ort der Erinnerung und Inspiration. "Auch meine Kinder sind gerne hier." Besonders während der Festspielzeit spüre man eine besondere Stimmung: "Man hört überall Gesprächsfetzen über die Festspiele – das färbt auf die Stadt ab."
Die ersten prägenden Momente in Bad Hersfeld
2015 stand sie erstmals vor der Stiftsruine – ein prägender Moment: "Ich habe sofort über uns als Menschheit nachgedacht. Welche Geschichten haben sich hier abgespielt?" Durch die Festspiele werde dieser Ort wieder lebendig.Dabei hebt sie auch die besondere Atmosphäre hervor, die sich von anderen Theaterhäusern deutlich unterscheidet. "Es ist eine andere Nähe zum Publikum. Ich finde es sehr schön, wie man über die kleineren Rollen, über die vielen lokalen Darstellerinnen und Darsteller einen direkten Anschluss an die Region bekommt. Man lernt hier viel besser die Leute kennen, als das sonst der Fall ist." Es sei, als würde die berühmte "vierte Wand", die Zuschauerraum und Bühne normalerweise trennt, gar nicht existieren. "Es fühlt sich fast wie ein Familientreffen an", beschreibt sie: "Viele von uns sehen sich jedes Jahr wieder. Jeder verändert sich ein bisschen – aber das Gefühl der Gemeinschaft, das bleibt."
Ein Leben für die Bühne
Dass Theater für Anna Graenzer mehr ist als ein Beruf, wurde schon früh deutlich. "Meine Eltern erzählen, dass ‚Clown‘ mein erstes Wort war", sagt sie schmunzelnd. Schon als Kind war sie fasziniert von der Welt der Bühne, spielte in Kindertheaterstücken mit, später im Schultheater und auf Laienbühnen. Der Wunsch, Schauspielerin zu werden, war tief verankert – doch der Weg dorthin war keineswegs geradlinig. "Das Selbstbewusstsein musste ich mir Stück für Stück aufbauen. Es war für mich nie eine Option, aufzuhören, aber der Weg war lang." Mit dem Ende des Schauspielstudiums war es für sie längst nicht getan: "Das eigentliche Lernen beginnt danach. Erst dann versteht man, wie man wirklich an einer Rolle arbeitet." Der neue Puk
Besonders deutlich wird das in ihrer Rolle als Puk in "Die Sommernachtsträume". Schon vor zehn Jahren verkörperte Anna Graenzer diese Figur – ebenfalls unter der Regie von Joern Hinkel, allerdings noch nicht auf der großen Bühne vor der Stiftsruine. Die Inszenierung war damals kleiner, intimer, ein früher Höhepunkt in ihrer künstlerischen Laufbahn. Doch in der aktuellen Fassung hat sich alles verändert. "Ich musste den alten Puk erstmal komplett vergessen. Gemeinsam mit dem Ensemble haben wir ihn neu erschaffen. Mein Puk ist nicht mehr naiv, sondern viel erwachsener. Er ist kein Mensch, sondern ein Kobold – neugierig, verspielt, mit viel Freiheit im Spiel. Es gibt Momente, in denen ich an der Grenze zwischen menschlich und tierisch agieren darf." Diese Freiheit spürt man auch im Zusammenspiel mit dem Orchester. "Als das Orchester dazukam, wurde alles lebendiger. Es ist ein wahnsinniges Geschenk, mit echten Instrumenten auf der Bühne zu sein. Wenn die Sommernachtsträume enden, fließt bei mir bestimmt auch ein Tränchen."Die Faszination der Stimme
Neben der darstellenden Kunst auf der Bühne hat Anna Graenzer eine zweite große Leidenschaft entdeckt – eine, bei der nicht der Körper, sondern allein die Stimme die Bühne betritt: das Hörspiel. "Es ist ein wunderbares Arbeitsfeld. Es schaut einem niemand wirklich zu, alles ist reduziert – und trotzdem kann man ganze Welten entstehen lassen." Diese Reduktion empfindet Graenzer nicht als Einschränkung, sondern als kreative Herausforderung: Mit feinen Nuancen, einem klar gesetzten Tonfall oder dem gezielten Spiel mit Atempausen erschafft sie Charaktere, Spannungsbögen und Atmosphäre – oft gleich mehrere in einem Stück. "Ich spiele richtig vor dem Mikrofon", betont sie – und meint damit: auch ohne Bühnenlicht und Publikum entstehen in ihrem Inneren Bilder, Bewegungen, Haltungen, die das Spiel im Studio genauso lebendig machen wie auf der Bühne. Dabei ist Anna Graenzer nicht nur leidenschaftliche Sprecherin, sondern auch begeisterte Hörerin. "Das hat eine eigene Magie", sagt sie – und spricht damit aus, was viele empfinden, die sich beim Hören voll und ganz in andere Welten ziehen lassen. Eine himmlische Neuauflage in der Stiftsruine
Im Stück Wie im Himmel, das wie eine sanfte Umarmung auf der Bühne wirkt, spielt Anna Graenzer ebenfalls eine Rolle, die ihr besonders ans Herz gewachsen ist. Als ehemalige Chorleiterin Siv gehört sie zu den gebrochenen, verletzlichen Figuren dieser bewegenden Erzählung, die im Kirchenchor eines schwedischen Dorfes spielt – und in der Musik ihre heilende Kraft entfaltet. "Es war für mich ganz klar, dass ich das nochmal machen möchte. Die Rollen hier in Bad Hersfeld wachsen mir besonders ans Herz", sagt Graenzer, die sich mit der Figur tief verbunden fühlt.Spiel mit dem Moment
Das Spiel mit dem Publikum ist für Anna Graenzer ein ständiger Dialog. "Ein Theaterstück ist etwas Lebendiges. Es entsteht im Moment. Wenn sich an einer Stelle etwas ändert, kann das ganze Stück reagieren. Es ist eine Unterhaltung mit dem Publikum." Gerade in den "Sommernachtsträumen" sei das besonders spürbar: "Man hört die Menschen lachen, man bekommt ein direktes Feedback. Das ist ein großes Geschenk."Trotz der vielen Jahre auf der Bühne wird die Aufregung nicht weniger – im Gegenteil. "Früher hatte ich als Kind keine Aufregung. Heute wird es jedes Jahr schlimmer", sagt sie mit einem Schmunzeln. "Deshalb müssen die Routinen noch genauer werden. Ich glaube nicht so richtig an Rituale – aber trotzdem halte ich mich an sie."
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