Wusste die Mutter, was sie tat?
Plädoyer im Fall des toten Säuglings: 12 Jahre Haft versus Freispruch
Fotos: ci
22.10.2025 / FULDA/HERINGEN (W.) -
Seit Ende August dieses Jahres steht eine zur Tatzeit 34-jährige Frau vor dem Landgericht Fulda, weil sie laut Anklage ihr neugeborenes Kind unmittelbar nach der Geburt getötet haben soll. Der Fund der Kinderleiche, das neben Spinat in einer Tiefkühltruhe lag, hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Im Verlauf der Verhandlung hatte die Mutter zweier Töchter verschiedene Versionen sowohl des Tatgeschehens als auch des Tatzeitpunkts genannt. Am Dienstag hielten die Staatsanwältin und der Verteidiger ihre Plädoyers.
Obwohl der Verteidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt Jochen Kreißl die vom Gericht ermittelten Fakten als gegeben anerkannte, beschied er der Staatsanwältin eingangs, sie und er lägen in der Beurteilung der Tat "weit auseinander". "Denn was tatsächlich geschehen ist, wissen wir nicht", konstatierte er. Bei seiner Mandantin handele es sich um eine ängstliche, verstörte Frau, die trotz aller Bemühungen, ihr zu helfen, kein Vertrauen zu ihm aufgebaut habe. Sie habe ihre Schwangerschaft offensichtlich verdrängt und verheimlicht, obwohl sie durchaus gewusst habe, dass sie auch hätte abtreiben können. Kreißl stellte die Vermutung in den Raum, die stumpfe Gewalt gegen den Kopf des Kindes sei eventuell vom "beschuhten Fuß" der Frau ausgegangen, als sie während der Nachgeburt das Kind auf den Boden der Toilette gelegt hatte. "Wir wissen nicht, ob es eine Ohnmacht gab, wir wissen nichts von ihrem damaligen Zustand". Totschlag käme schon deshalb nicht in Frage, weil es keinen Vorsatz, keinen "Tatplan" gegeben habe. Höchstens könne man noch von einer fahrlässigen Tötung ausgehen.
Kreißl führte den Begriff Neonatizid in seinem Plädoyer ein, was die Tötung eines neugeborenen Kindes, in der Regel unmittelbar nach der Geburt, bedeutet. In diesen Fällen werde die Schwangerschaft negiert und verleugnet, es gebe währenddessen keinen Kontakt zu Medizinern, die Geburt finde allein und unassistiert statt. "Alles wie in unserem Fall", so der Anwalt, der auch wegen der vielen Unklarheiten Freispruch forderte. Man könne es dramatisch finden, dass der Tod eines Kindes nicht bestraft werde, aber die Frau trage bis an ihr Lebensende an dieser Hypothek.
Die Angeklagte weinte, als sie die Gelegenheit für ein Schlusswort bekam. "Ich habe mein Kind nicht getötet", sagte sie unter Tränen. Sie habe viele Jahre Probleme mit ihrem Partner gehabt. Sie vermisse vor allem ihre Töchter. "Und auch das kleine Engelchen, das ich geboren habe".
Die Urteilsverkündung ist für Freitag, den 31. Oktober 2025 terminiert. (Carla Ihle-Becker)+++
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