Wusste die Mutter, was sie tat?

Plädoyer im Fall des toten Säuglings: 12 Jahre Haft versus Freispruch

Die wegen Totschlags an ihrem Neugeborenen angeklagte Frau
Fotos: ci

22.10.2025 / FULDA/HERINGEN (W.) - Seit Ende August dieses Jahres steht eine zur Tatzeit 34-jährige Frau vor dem Landgericht Fulda, weil sie laut Anklage ihr neugeborenes Kind unmittelbar nach der Geburt getötet haben soll. Der Fund der Kinderleiche, das neben Spinat in einer Tiefkühltruhe lag, hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Im Verlauf der Verhandlung hatte die Mutter zweier Töchter verschiedene Versionen sowohl des Tatgeschehens als auch des Tatzeitpunkts genannt. Am Dienstag hielten die Staatsanwältin und der Verteidiger ihre Plädoyers.


Für Oberstaatsanwältin Dr. Christine Seban hat sich der Tatvorwurf des Totschlags durch die umfangreiche Beweisaufnahme erwiesen. Die Frau, die 2015 mit ihrem Lebensgefährten und zwei Töchtern aus Polen nach Deutschland gekommen war, spreche fast kein Deutsch und sei sozial isoliert gewesen. Zeugen hatten bestätigt, dass sich die Beziehung zu ihrem Lebensgefährten kontinuierlich verschlechtert habe, sie sich allein um Haushalt und Kinder kümmern musste, in Nachtschichten arbeitete und von ihrem Freund äußerst schlecht - quasi wie eine Sklavin - behandelt wurde. Dieser habe auch unmissverständlich klargemacht, dass er kein drittes Kind wollte.

Obwohl die Frau 2022 merkte, dass sie schwanger war, trank sie weiter Alkohol und sprach mit niemandem darüber. Im darauffolgenden Juli bekam sie schließlich Wehen. Sie verließ das Haus zu Fuß, angeblich um zur Nachtschicht zu gehen, ließ sich aber von einem Taxi in die Bad Hersfelder Innenstadt bringen. In einer öffentlichen Toilette brachte sie das Kind zur Welt, es war ein Mädchen, das mit 51 cm Größe und 2.800 Gramm voll ausgereift und lebensfähig war. Entgegen der Behauptung der Frau, das Kind habe nicht geatmet und sei tot gewesen, starb es nachweislich durch einen massiven Schlag gegen den Kopf. Die Anklage geht davon aus, dass die Frau den Säugling an die Wand geschlagen hat. Das Baby starb wenige Minuten danach an schwerem Schädel-Hirn-Trauma, verursacht durch stumpfe Gewalt.

Zwölf Jahre Haft wegen Totschlags gefordert

Gefunden wurde das tote Kind erst zweieinhalb Jahre später bei einem bevorstehenden Umzug. Die Mutter hatte es mit der Nachgeburt, einer Decke und einem Handtuch in eine Plastiktüte verpackt und in der Tiefkühltruhe versteckt. Als Gründe für den Totschlag nahm die Staatsanwältin an, dass sich die Frau in einer subjektiv empfundenen Ausweglosigkeit befunden habe. Sie fürchtete den Verlust ihrer Beziehung und der beiden Töchter, weil der Freund gedroht habe, sie ihr wegzunehmen. Obwohl sich die Mutter in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden habe, sei die Tat absolut verwerflich. "Ich kann mir nichts Grausameres vorstellen, als ein hilfloses Neugeborenes an die Wand zu schlagen", sagte Dr. Seban. Sie wies darauf hin, dass es trotz der schwierigen Lage der Frau genügend Alternativen wie die Babyklappe oder die anonyme Geburt gegeben habe.

Verteidiger: Wir liegen weit auseinander!"

Obwohl der Verteidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt Jochen Kreißl die vom Gericht ermittelten Fakten als gegeben anerkannte, beschied er der Staatsanwältin eingangs, sie und er lägen in der Beurteilung der Tat "weit auseinander". "Denn was tatsächlich geschehen ist, wissen wir nicht", konstatierte er. Bei seiner Mandantin handele es sich um eine ängstliche, verstörte Frau, die trotz aller Bemühungen, ihr zu helfen, kein Vertrauen zu ihm aufgebaut habe. Sie habe ihre Schwangerschaft offensichtlich verdrängt und verheimlicht, obwohl sie durchaus gewusst habe, dass sie auch hätte abtreiben können. Kreißl stellte die Vermutung in den Raum, die stumpfe Gewalt gegen den Kopf des Kindes sei eventuell vom "beschuhten Fuß" der Frau ausgegangen, als sie während der Nachgeburt das Kind auf den Boden der Toilette gelegt hatte. "Wir wissen nicht, ob es eine Ohnmacht gab, wir wissen nichts von ihrem damaligen Zustand". Totschlag käme schon deshalb nicht in Frage, weil es keinen Vorsatz, keinen "Tatplan" gegeben habe. Höchstens könne man noch von einer fahrlässigen Tötung ausgehen.

Neonatizid?

Kreißl führte den Begriff Neonatizid in seinem Plädoyer ein, was die Tötung eines neugeborenen Kindes, in der Regel unmittelbar nach der Geburt, bedeutet. In diesen Fällen werde die Schwangerschaft negiert und verleugnet, es gebe währenddessen keinen Kontakt zu Medizinern, die Geburt finde allein und unassistiert statt. "Alles wie in unserem Fall", so der Anwalt, der auch wegen der vielen Unklarheiten Freispruch forderte. Man könne es dramatisch finden, dass der Tod eines Kindes nicht bestraft werde, aber die Frau trage bis an ihr Lebensende an dieser Hypothek.

Die Angeklagte weinte, als sie die Gelegenheit für ein Schlusswort bekam. "Ich habe mein Kind nicht getötet", sagte sie unter Tränen. Sie habe viele Jahre Probleme mit ihrem Partner gehabt. Sie vermisse vor allem ihre Töchter. "Und auch das kleine Engelchen, das ich geboren habe".

Die Urteilsverkündung ist für Freitag, den 31. Oktober 2025 terminiert. (Carla Ihle-Becker)+++








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