Neue O|N-Serie: Unsere Rhön unter der Lupe

Biologe Jenrich kennt die Wasserkuppe bis ins Detail: "Verschenktes Potenzial"

Biologe Joachim Jenrich hat mehrere Bücher über die Geschichte der Rhön geschrieben.
Fotos: Carina Jirsch

22.11.2021 / GERSFELD (RHÖN) - Er ist ein wandelndes Lexikon: Biologe Joachim Jenrich. Der 54-Jährige hat sich mit der Rhön-Geschichte intensiv auseinandergesetzt und sein Wissen in mehreren Büchern veröffentlicht. Auch in Hinblick auf die Historie der Wasserkuppe ist er Experte – und sieht dort unglaublich viel Potenzial. "Die Wasserkuppe ist zunächst einmal der höchste Berg Hessens und der höchste Punkt im Biosphärenreservat Rhön. Sie ist ein Ort mit einer frühen geschichtlichen Entwicklung und trägt somit eine gewisse Bedeutung für die gesamte Region. Die Wiege des Segelflugs in Deutschland hat bis heute nicht an Faszination bei den Flugsportlern eingebüßt. Im Vergleich zu den Anfängen hat sich die Vielfalt der ausgeübten Luftsportarten deutlich vergrößert."



Vor 30 Jahren ernannte die UNESCO die Rhön zum Biosphärenreservat. Ihr besonderer Stellenwert ist nicht nur hier in der Umgebung bekannt, sondern über die Grenzen hinaus. Ein beliebtes Ausflugsziel und der Tourismusmagnet schlechthin ist die 950 Meter hohe Wasserkuppe. Doch das derzeitige Erscheinungsbild entspricht nicht ihrer historischen und aktuellen Bedeutung, gibt Jenrich zu bedenken: "Die Verantwortlichen erkennen nicht das Potenzial, was sich im zunehmenden Verfall der denkmalgeschützten Gebäude, in der teilweise maroden Infrastruktur und im Massentourismus zeigt." Besonders bedauerlich sei es, dass die Hessische Verwaltungsstelle vom Biosphärenreservat nach Hilders umgezogen ist.

Dabei könne man gerade hier viele Menschen erreichen. "Jährlich kommen Tausende aus nah und fern auf die Wasserkuppe, und das bei jedem Wetter. Qualitätstourismus mit gesunder Infrastruktur, guten Angeboten von fachkundigen Natur- und Landschaftsführern und einer ansehnlichen Gebäudesubstanz wären ein Aushängeschild für den Tourismus und das Biosphärenreservat in der Rhön."  

Die Wasserkuppe: "Wiege des Segelflugs"

Dieser Eindruck spiegelt sich besonders in den Gebäuden der ehemaligen Reichssegelflugschule mit dem Groenhoff-Haus wider. "Es handelt sich um einen denkmalgeschützten Gebäudekomplex, der - wie schon seit vielen Jahren von zahlreichen Institutionen und Parteien angemahnt – dringend sanierungsbedürftig ist." Der heutige Eigentümer des Areals ist das Land Hessen. Das Groenhoff-Haus war das Verwaltungsgebäude der ehemaligen Reichssegelflugschule. Seit seiner Fertigstellung im Jahr 1936 diente es auch als Unterrichtsgebäude und Organisationsbüro der Rhönsegelflugwettbewerbe. Später befand sich im Kasernenkomplex 20 Jahre lang die hessische Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön. Daraufhin folgte der Einzug der Jugendbildungsstätte Wasserkuppe in den Rundbau, in das Ring- und Lilienthalhaus. "Nach dessen Insolvenz stehen auch diese Gebäude leer." 

Ein Bestandteil des ehemaligen Gebäudekomplexes der Reichssegelflugschule war das Otto-Lilienthal-Haus, benannt nach dem Flugpionier Otto Lilienthal (1848-1896). "Er war einer der ersten, der in Deutschland die Hangsegelflüge durchführte. 1896 stürzte er in den Rhinower Bergen der Mark Brandenburg ab und starb einen Tag später im Krankenhaus. An seinem Sterbebett soll er gesagt haben: ‚Opfer müssen gebracht werden‘." Dieser Spruch findet sich wieder auf dem Sarkophag des Segelfliegers, der sich inmitten der Ehrenhalle im Lilienthalhaus befindet. "Durch die Nutzung der Räume oberhalb der Ehrenhalle als Sporthalle in der Zeit, als die Gebäude als Flüchtlingsunterkunft genutzt wurden, ist die Decke der Ehrenhalle inzwischen einsturzgefährdet."

Es sei ein Jammer, dass sich die Dokumente der Geschichte auf dem Gipfel durch Verfall langsam verabschiedeten. Jenrich konstatiert: "Gerade solche Gebäude bilden eine Chance, daraus etwas Großes zu machen. Wir nehmen aber sehenden Auges diese Verwahrlosung einfach hin." (Maria Franco) +++

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