Nur eine Episode aus Frustration?
Psychologisches Gutachten im Prozess gegen ehemaligen Kalbacher Pfarrer
Fotos: ci
09.10.2024 / FULDA -
Am Mittwoch wurde die Verhandlung gegen den ehemaligen Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde in Kalbach (Kreis Fulda) am Landgericht Fulda fortgesetzt. Weil den Prozessbeteiligten weitere Videomitschnitte gezeigt werden sollten, die bei dem Angeklagten sichergestellt worden waren, wurde die Öffentlichkeit erneut ausgeschlossen.
Der 43-Jährige hatte sich im Zeitraum von zwei Jahren im Darknet kinder- und jugendpornografische Fotos und Videodateien heruntergeladen und diese gespeichert. Dieses illegale Material hatte er dann seinen kindlichen und jugendlichen Chatpartnern auf einer mittlerweile verbotenen Internetplattform gezeigt und sie zu sexuellen Handlungen an sich aufgefordert, die er auch selbst an sich vornahm. Von den Aufnahmen seiner Webcam fertigte er Mitschnitte an und stellte diese auch Dritten zur Verfügung. Zusätzlich zum Vorwurf des sexuellen Missbrauchs ohne Körperkontakt muss er sich auch wegen Herstellens und des Besitzes von Material mit sexueller Gewalt gegen Kinder- und Jugendliche verantworten.
Der Angeklagte hatte zum Prozessauftakt seinen Anwalt eine Erklärung verlesen lassen, in denen er die ihm vorgeworfenen Taten weitgehend einräumte. Den Ausschlag für seine erste Internetrecherche nach einschlägigen kinderpornografischen Inhalten habe ein Beichtgespräch gegeben, bei dem der später aufgesuchte Chatroom erwähnt worden sei. Vor allem während der Corona-Pandemie sei er in seiner Pfarrei mit Verwaltungsaufgaben überlastet gewesen und habe sich von seinen Vorgesetzten nicht wertgeschätzt, isoliert und gelangweilt gefühlt. "Ich war müde und ausgebrannt und habe versucht, mich auf diese Weise abzulenken", gestand er vor Gericht. Zu seiner Schande müsse er sagen, dass er wenig über die Konsequenzen seines Tuns nachgedacht habe. Es tue ihm aufrichtig leid, dass er Leid über die betroffenen Kinder und Jugendlichen gebracht habe.
Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit und des Rückfallrisikos
Die psychiatrische Gutachterin Eva Janzen aus Gießen attestierte dem Angeklagten am Mittwoch volle Schuldfähigkeit, gab aber zu bedenken, dass der 43-Jährige mit ihr nicht über seine sexuellen Neigungen habe sprechen wollen, weshalb sie keine gesicherte Diagnose über eine pädophile Störung treffen könne. Sie hatte sein Verhalten in den diversen Chats analysiert. Dort habe er schon seine Vorliebe für vorpubertäre Partnerinnen geäußert, "er möge sie jung", habe er entsprechendes Material angefordert. Das Internet biete ja für jede sexuelle Präferenz ein entsprechendes Angebot. Online-Grooming-Täter unterlägen der Illusion, dass sie keine Gewalt gegen ihre Opfer ausübten, weil diese sich vermeintlich jederzeit entziehen könnten. Auch der Angeklagte habe betont, er habe niemandem wehgetan und könne das in der Realität auch niemals tun. Das leugne aber, dass er Bilder und Videos von tatsächlichem Missbrauch gezielt gesucht und weiterverbreitet habe. "Es hatte ja schließlich gute Gründe, dass diese Online-Plattform geschlossen wurde", erklärte die Gutachterin.
Die von ihm angeführten Gründe für sein strafbares Verhalten wie Stress, Frustration über seine verhasste Verwaltungstätigkeit und seine Überlastung seien kein Argument, denn das träfe auf die meisten Menschen zu. Er müsse sich der Frage, warum er zum Täter wurde, auch in einer qualifizierten Psychotherapie stellen, das könne sein Heilpraktiker mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung nicht leisten. Die Gefahr, dass der 43-Jährige vom virtuellen zum realen Sexualstraftäter werde, schätzte die Sachverständige ebenso gering ein wie sein Rückfallrisiko. Es sei in den letzten zwei Jahren nichts Ähnliches mehr vorgefallen. Die Konsequenzen für sein Leben seien gravierend und das hätte ihn auch entsprechend beeindruckt, führte Janzen aus.
Die Verhandlung wird am 21. Oktober 2024 um 10:00 Uhr voraussichtlich mit den Plädoyers fortgesetzt. (ci)+++
Anklage gegen Ex-Pfarrer aus Kalbach - weitere Artikel
"Ich habe nicht richtig nachgedacht!"
Angeklagter Priester: "Habe immer Schwierigkeiten mit dem Zölibat gehabt!"
Großes Medieninteresse
Prozess gegen katholischen Pfarrer startet: Missbrauch ohne Körperkontakt
Hauptverfahren eröffnet
Ex-Pfarrer soll Kinder ohne Körperkontakt sexuell missbraucht haben
Stellungnahme des Bistums
"Anschuldigungen gegen den Pfarrer schockieren uns"
Ehemaliger katholischer Pfarrer angeklagt
Missbrauchsverdacht! Kinder sollten sich vor der Webcam ausziehen
Neues von der Staatsanwaltschaft
Pfarrgemeinde St. Kilian bekommt Kaplan als Übergangslösung
Durchsuchung im Mittelkalbacher Pfarrhaus
Ermittlungen der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft dauern an
Ermittlungen laufen
Durchsuchung des Mittelkalbacher Pfarrhauses: Bürgermeister äußert sich
Kommentar von Bertram Lenz zu Mittelkalbach
Kommunikation rund um St. Kilian: Ohne Dialog geht es nicht
"Inhalte des Verfahrens liegen uns nicht vor"
Aktualisierte und präzisierte Stellungnahme des Bistums Fulda im Wortlaut
Noch zu viele unbeantwortete Fragen
Jetzt meldet sich das Bistum Fulda zu Wort - Wieso musste der Pfarrer gehen?
Pfarrer Viertelhausen ist weg
Betroffenheit in der Pfarrgemeinde St. Kilian: "Es sind auch Tränen geflossen"
Laufendes Ermittlungsverfahren
Mit sofortiger Wirkung: Pfarrer André Viertelhausen vom Dienst freigestellt
Nach Durchsuchungen in Mittelkalbach
Jetzt überschlagen sich die Ereignisse - Bistum: "Kein Pfarrfest am Sonntag"
Ermittlungen laufen auf Hochtouren
Polizei beschlagnahmt Speichermedien: Durchsuchungen im Pfarrhaus