Im Wortlaut: Lollsrede der Bürgermeisterin

Pläne für die Stadt, Integration und ein Blick auf die Schieflage in der Welt

Bürgermeisterin Anke Hofmann, Feuermeister Klaus Otto und Krümel Kastanienmeisterin Isabell.
Fotos: Christopher Göbel

17.10.2023 / BAD HERSFELD - Mit Spannung wird jedes Jahr die Lollsrede des Stadtoberhauptes erwartet, die vor dem Anzünden des Lollsfeuers gehalten wird. Manche Mürgermeister der Vergangenheit nutzten diese Gelegenheit, um einen Rückblick auf die Stadtpolitik zu halten. Manche nutzten die Rede auch, um mit politischen Kontrahenten abzurechnen oder um auf Missstände innerhalb der Stadt aufmerksam zu machen.



Anke Hofmann, seit Jahresbeginn Bürgermeisterin der rund 30.000 Einwohner zählenden Kreisstadt, warf einen Blick auf das Stadtgeschehen und die zahlreichen Angebote, die Bad Hersfeld interessant und lebenswert gemacht haben. Zudem ging sie auf die Frage ein, ob man in Zeiten von Krisen und Krieg ausgelassen Lolls feiern dürfe. "Ja, man darf", rief sie den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern zu. "Ich wäre stolz auf uns, wenn es uns zusätzlich gelingt, in den nächsten acht Tagen zugleich ein Zeichen setzen, in dem wir ein friedliches und gewaltfreies Lullusfest feiern", so die Bürgermeisterin.

Mit den Worten: "Wir zünden an uralten Brand, Was soll er künden dem deutschen Land? Am guten Alten woll’n fest wir halten! Und warum hüten in treuer Hut Wir Tag und Nacht des Feuers Glut? Wie die Väter in Ehren Woll’n wir uns bewähren! Das Feuer brennt mit hellem Schein, Was soll der Bürger Losung sein? Hersfeld, die Stadt, sie trägt im Schild, Ein Kreuz und einen Löwen wild. In Kreuz und Leid hab’ Löwenmut Und trau auf Gott, es wird wohl gut", entzündeten Bürgermeisterin Anke Hofmann und Feuermeister Klaus Otto das Lullusfeuer an. Es wird bis Sonntagabend brennen.

Die Lollsrede der Bürgermeisterin im Wortlaut

"Wenn wir gleich das Fierche entzünden, spendet es uns Licht und Wärme und verleiht dem Marktplatz, auf dem sonst Autos parken, eine andere Atmosphäre. Hier treffen sich Jung und Alt aus nah und fern. Viele Kinder haben fleißig Kastanien gesammelt, um sie ins Feuer zu werfen. Und egal, wie alt man ist, verliert der Moment, wenn die Kastanien mit einem leisen Knall dem Feuer entspringen, nicht seine Magie und wird von Generation zu Generation als liebgewonnene Tradition weitergegeben. Leuchtende Kinderaugen, schrille Fahrgeschäfte, der unverkennbare Duft von Zuckerwatte und Popcorn, das hektische Treiben – all das macht das Lullusfest aus.

Werter Herr Feuermeister,
sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrte Gäste aus unseren Partnerstädten
Šumperk und L'Haÿ-les-Roses,
liebe Gäste aus Malmesbury,
liebe Bürgerinnen und Bürger,
liebe Krümel Kastanienmeisterin Isabell,
liebe Kinder,
verehrte Gäste aus nah und fern!

Es ist eine außergewöhnliche Freude und Ehre für mich, heute erstmalig vor Ihnen zu stehen und das Lullusfest 2023 zu eröffnen! Dieses Fest ist weit mehr als nur eine Tradition, es ist immer wieder ein wahres Fest der Gemeinschaft und der Verbundenheit mit unserer wunderbaren Stadt Bad Hersfeld.

Schauen wir zurück auf die Wurzeln des Lullusfestes. Es erinnert uns an unseren Namensgeber, den heiligen Lullus, der im 8. Jahrhundert als Missionar und Erzbischof unsere Region prägte. In seinem Andenken und als ein Symbol unserer langen Geschichte und unserer starken Identität feiern wir unser Lullusfest.

Es erfüllt mich mit großer Freude zu sehen, wie viele Hersfelderinnen und Hersfelder anlässlich des Festes aus der Ferne zurückkehren, um sich in unserer Stadt wiederzusehen. Die zahlreichen Klassentreffen, die hier stattfinden, sind ein bewegender Beweis dafür, wie tief und wie lang die Bindungen zu unserer Heimatstadt sind. Hier in Bad Hersfeld, wo die Vergangenheit auf die Zukunft trifft, schaffen wir gemeinsam Erinnerungen, die ein Leben lang halten.

Mein besonderer Dank gebührt heute unseren politischen Gremien. Ihre gute Zusammenarbeit und ihr faires Miteinander sind das Rückgrat unserer Stadtentwicklung. Ohne ihre Hingabe und ihren Einsatz wäre es nicht möglich, all die Projekte zu realisieren, die unsere Stadt voranbringen.

Und ich möchte mich auch besonders bei den städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die sich täglich um Ihre Anliegen kümmern – auch heute, wenn wir feiern, sorgen viele für unsere Sicherheit! Ich bin stolz, Teil eures Teams sein zu dürfen!

Lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen. Das Aktions-Wochenende  mit "Museumsnacht" und "Tourist in der eigenen Stadt" im Frühjahr hat uns gezeigt, wie viel unsere Stadt zu bieten hat und dass man selbst als Einheimischer viel Neues entdecken kann. Toll ist auch das neue Format "Mit Tanz und Bewegung durch den Sommer", welches seit Juni Alt und Jung zusammenbringt. Die großartige Saison der Bad Hersfelder Festspiele 2023, mit eindrucksvollen Produktionen, welche das Publikum mitgerissen haben, haben Bad Hersfeld leuchten lassen. Zahlreiche Ausstellungen, die Interkulturelle Woche und das mit großer Begeisterung ausgetragene 3x3-Basketballturnier auf dem Linggplatz waren nur einige weitere Highlights, die bewiesen haben, wie lebendig und vielfältig unsere Stadt ist.

Doch auch wenn wir heute fröhlich feiern, sollten wir die Realität nicht aus den Augen verlieren. Das Thema Verkehr wird Bad Hersfeld noch lange beschäftigen. Die politische Entscheidung bezüglich der Hochbrücke war alles andere als einfach, aber sie war notwendig! Und lassen Sie uns klarstellen: Es geht zukünftig nicht nur um ein einzelnes Bauwerk, sondern uns muss es insgesamt gelingen, den Verkehr zu minimieren und die Lebensqualität unserer Stadt zu erhalten oder gar zu verbessern.

Ich freue mich, dass endlich auch Bewegung in lange ruhende Projekte der Stadtentwicklung kommt. Der Startschuss für das gemeinsame Stadt- und Kreisarchiv ist gefallen, eine Lösung für das Funktionsgebäude der Festspiele ist in Sicht und auch der erste Bauabschnitt im Wevergelände steht mit Vergabe der Infrastrukturplanungen in den Startlöchern. Dieses Projekt ist von großer Bedeutung für die Entwicklung von Innenstadt-nahem Wohnraum, besonders im Hinblick auf den nachfolgenden Ausbau des ICE-Haltes. Die Zukunft unserer Stadt wird hier gestaltet.

Auch im Bereich Nachhaltigkeit sind wir aktiv. Im vergangenen Jahr haben wir fünf neue Photovoltaik-Anlagen auf städtischen Gebäuden installiert. Im April haben wir unser städtisches Förderprogramm zur Photovoltaik gestartet. Es erfreut sich bereits großer Beliebtheit und ist ein weiterer Schritt in Richtung einer umweltfreundlichen Zukunft.

Im letzten Jahr haben wir, unter anderem auch mithilfe unseres Energie-Monitorings, mit dem wir in Echtzeit insgesamt 55 Liegenschaften überwachen und steuern, zweistellige Prozentbeträge an Gas- und Stromkosten in den städtischen Gebäuden eingespart. Da ist auch in der Zukunft noch "einiges zu holen".

Schließlich liegt mir das Thema Innenstadt am Herzen. Einen City-Manager, Mann oder Frau, stellen wir zeitnah ein, um die Attraktivität unserer Innenstadt zu steigern. Zudem verstärken zwei Streetworker das Team der Stadtverwaltung, um die sozialen Herausforderungen unserer Zeit besser anzugehen.

Sie sehen: Einige Themen, an den wir heute schon arbeiten, werden uns noch einige Jahre beschäftigen und dann aber am Ende auch Meilensteine für unsere Stadt werden.

Und genauso sicher ist es, dass darüber in Bad Hersfeld zukünftig noch politisch hart gerungen und verhandelt wird. Auch wenn uns einzelne Ergebnisse dieses Prozesses vielleicht nicht immer gefallen werden, eines möchte ich Ihnen aus meiner Sicht versichern: Die freiheitliche Grundwerte und demokratische Spielregeln sind in der politischen Landschaft unserer Stadt intakt! Wenn die Entscheidung gefallen ist, wird gemeinsam weitergearbeitet.

Warum betone ich das so? Weil wohl nicht nur ich den Eindruck habe, dass uns Freiheit und Demokratie in anderen Teilen des Landes und der Welt allmählich abhanden zu kommen drohen.

Dass wir heute ab heute feiern wollen, heißt ja nicht, dass wir die Augen verschließen vor dem, was um uns herum in der Welt passiert. Die Kriege im Gaza-Streifen, in der Ukraine und an vielen anderen Orten zeigen uns, wohin es führt, wenn man den eigenen Standpunkt buchstäblich mit aller Gewalt verbreiten will – zur Unfreiheit der anderen, zu Diskriminierung und Vertreibung, zu Leid und Tod.

Von den Auswirkungen dieser schrecklichen Ereignisse sind in einer globalen Weltgemeinschaft auch wir ganz konkret betroffen. Durch Flüchtlingsbewegungen, in unserem eigenen Lebensalltag durch manchmal nur noch schwer zu bewältigende Preissteigerungen und, vor allem, auch durch die Erschütterung unserer persönlichen moralischen Verfassung.

Kein Wunder, dass auch das Demokratieverständnis in unserem Land Anfechtungen und Spaltungen ausgesetzt ist. Dabei müssen wir achtgeben, dass politische Strömungen, die meines Erachtens auf Unfreiheit Andersdenkender und Andersgläubiger abzielen, die auf Ausgrenzung und Intoleranz gegründet sind, nicht unser Leben bestimmen!

Vor diesem Hintergrund stellt sich einem dann schon mal nachdenklich die Frage: Darf man in einer solchen Zeit denn überhaupt Lullusfest feiern?

Meine Antwort auf diese Frage lautet: Ja, man darf!

Das Lullusfest hat zu allen Jahrhunderten einen Ausnahmezustand, eine Auszeit dargestellt. Das Feuer war Symbol für die zwischenzeitliche Markt- und Steuerfreiheit in der Stadt und die Kirchenglocken läuteten den vielgepriesenen Lollsfrieden ein. Wie immer es also sonst in der Welt zuging, die Botschaft des Lullusfestes aus über 1.000 Jahren lautet – auch oder gerade in Krisenzeiten darf man die Gemeinschaft und den Zusammenhalt in unserer Stadt feiern.
Unser Lollsfrieden wird diese Welt nicht retten, natürlich nicht. Aber vielleicht wird er uns helfen, in diesen verwirrenden Zeiten ein wenig menschlichen Zusammenhalt zu finden, "durchzuschnaufen", die Seele baumeln zu lassen, fröhlich zu sein, alte Bekannte zu treffen und neue Menschen kennenzulernen.

Und ich wäre stolz auf uns, wenn es uns zusätzlich gelingt, in den nächsten acht Tagen zugleich ein Zeichen setzen, in dem wir ein friedliches und gewaltfreies Lullusfest feiern.

Vielleicht können wir es im Kleinen besser machen als andere und ein Fest der Gemeinschaft feiern, in dem Menschen, die anders denken oder anders glauben, Herschfeller oder Hergeloffene, ihren Platz haben. Integration und Inklusion wird nämlich erst beim Feiern richtig gut. So etwas stände unserer Stadt, in der Menschen fast 100 unterschiedlicher Nationalitäten zuhause sind, sicher gut zu Gesicht!

In diesem Sinne also, meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, können wir in der kommenden Woche miteinander feiern! Ich wünsche uns allen ein friedvolles und freudiges, ein unvergessliches Lullusfest 2023!" (cdg) +++

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