Teil 3 des Interviews mit Prof. Karagiannidis

Stationärer Bereich: Strukturreform als Überlebensfrage

Eine Strukturreform des Gesundheitswesens ist eine Frage des Überlebens, sagt nicht nur Prof. Karagiannidis
Archivbilder: O|N

27.07.2025 / REGION - Im Landkreis Fulda gibt es fünf Krankenhäuser. Mit dem Klinikum Fulda steht ein Maximalversorger in kommunaler Trägerschaft vor Ort zur Verfügung, der die Versorgung aller Disziplinen in der Region ermöglicht, allerdings im städtischen Haushalt mit einem jährlichen Defizit in Millionenhöhe zu Buche schlägt. Das Herz-Jesu-Krankenhaus ist ein Grund- und Regelversorger in kirchlicher Trägerschaft und verfügt über 320 Betten. Zudem betreibt der private Träger Helios ein Krankenhaus in Hünfeld. Es war im letzten Jahr in den Schlagzeilen, weil die Geschäftsführung die stationäre Geburtshilfe aufgrund von Personalmangel schließen musste. Weiterhin gibt es zwei Fachkliniken, die allerdings nicht an der Notfallversorgung teilnehmen.



Ein besonders sensibles Thema ist die stationäre Versorgung. Deutschland hat im internationalen Vergleich sehr viele Krankenhäuser. Diese sind aber nicht zwangsläufig besonders gut. "Viele Häuser sind historisch gewachsen, teils seit dem 19. Jahrhundert. Eine echte Planung hat es nie gegeben", so Karagiannidis. Kommunale Interessen, lokale Politik und Arbeitsplatzsicherung hätten über Jahrzehnte verhindert, dass Qualität Vorrang vor Quantität hat.

In der Pandemie zeigte sich deutlich: Viele Krankenhäuser waren personell und strukturell überfordert. Trotzdem wurde massiv Geld ausgegeben, um sie künstlich am Leben zu halten. Energiehilfen, Bettenpauschalen, Investitionshilfen. All diese Gelder wurden ohne echte Strukturveränderung gebilligt. "Das war falsch verstandene Fürsorge", kritisiert Karagiannidis. Stattdessen müsse man sich trauen, auch Standorte zu schließen und dafür andere gezielt zu stärken. "Wir können mit dem wenigen Personal, das wir haben, nicht die Exzellenz in die Breite tragen. Vielmehr brauche es Zentren, die eine hervorragende Versorgung anbieten und eine entsprechende Erfahrung haben. Kliniken müssen in Verbünden zusammen arbeiten und Patienten bereit sein, für eine speziellere Therapie auch gewisse Fahrtstrecken zu akzeptieren.

In Dänemark und Finnland klappt es besser

Ein Blick nach Dänemark zeigt, wie es besser geht: Wenige, dafür hoch ausgestattete Standorte, sind rund um die Uhr mit erfahrenem Personal besetzt. In Deutschland hingegen arbeite in vielen Notaufnahmen nachts, am Wochenende und an Feiertagen der unerfahrenste ärztliche Mitarbeiter, obwohl hier wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Dies sei ein bedenklicher Zustand. Karagiannidis plädiert dafür, Notaufnahmen zu zentralisieren und personell besser aufzustellen. "Man braucht einen gesellschaftlichen Konsens, dass Qualität wichtiger ist als Nähe. Zudem muss die Leistung der Notaufnahme mit ihrer Schlüsselfunktion für die Abläufe eines Krankenhauses besser vergütet werden."

Auch bei der Geburtshilfe sieht er großen Handlungsbedarf. Viele kleine Kliniken ohne ausreichende Fallzahlen können nicht die notwendige Routine bieten. "Jede Geburt kann kritisch werden und dann entscheidet die Erfahrung." In Finnland reisen Schwangere im Zweifel 300 Kilometer zur Geburt. Die Folge: die niedrigste Frühchensterblichkeit Europas. In Deutschland hingegen sei das Denken immer noch lokalpolitisch getrieben. Dies sei auf den ersten Blick durchaus verständlich. "Es ist immer besonders emotional, wenn eine Geburtshilfe schließt. Das kommt bei den Menschen nicht gut an. Daher wird es Aufgabe der Politik sein, solche Veränderungen in der Bevölkerung auch entsprechen zu moderieren.”

Ein weiteres Beispiel: die Digitalisierung. In vielen Kliniken sind IT-Systeme veraltet, Daten nicht interoperabel, Patienteninformationen unvollständig. "Ein modernes Klinikum muss digital vernetzt sein, auch mit dem ambulanten Sektor." Noch immer ist es in deutschen Krankenhäusern Standard, dass Befunde gefaxt werden, eine Röntgen-CD mittels Taxi zur nächsten Klinik fährt und in der Klinik eine IT läuft, die selbst innerhalb des Krankenhauses keine Schnittstellen bietet. Zudem müsse man die Pflege akademisieren und den Personalschlüssel anpassen. In vielen Ländern ist ein Verhältnis von 1:4 auf spezialisierten Normalstationen Standard. Das heißt, eine Pflegekraft betreut vier Patienten. In Deutschland sind es in vielen Krankenhäusern nachts oft bis zu zwanzig Patienten, die es zu betreuen gilt. (Adrian Böhm)+++

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