Zur Gesundheit der Zukunft

Spannendes Sommerinterview mit Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis

Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis ist eine Koryphäe
Fotos: Hendrik Urbin

13.07.2025 / REGION - Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis ist ein führender deutscher Intensivmediziner mit beeindruckender Karriere. Während der Corona-Pandemie wurde Karagiannidis bundesweit bekannt: Als wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters sorgte er dafür, dass die Belegung der Intensivstationen in Echtzeit nachvollziehbar wurde. Er war ein zentraler medizinischer Berater für politische Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene – pragmatisch, sachlich und stets faktenbasiert. Besonders sein Ruf nach Vernetzung, Strukturreformen und Ethik in der Medizin verschafften ihm ein großes Gehör, nicht nur in Fachkreisen.


Karagiannidis studierte Humanmedizin an der Universität Düsseldorf, promovierte in der Inneren Medizin und spezialisierte sich früh auf Pneumologie und Intensivmedizin. Heute ist er an der Universität Witten/Herdecke als Hochschullehrer tätig und hat hier eine Professur für Extrakorporale Lungenersatzverfahren.

Klinisch arbeitet er als leitender Oberarzt des Zentrums für Pneumologie und Beatmungsmedizin an den Kliniken Köln-Merheim. Darüber hinaus war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin. Wissenschaftlich beschäftigt sich Karagiannidis hauptsächlich mit Lungenersatzverfahren inklusive der Therapie mittels ECMO. Er war aufgrund seiner Forschungstätigkeit im wissenschaftlichen Komitee der ELSO. Zudem war er im Corona-Expertenrat und ist ein Mitglied im Sachverständigenrat Resilienz der Bundesregierung.

Gemeinsam mit Prof. Boris Augurzky und Prof. Mark Alscher hat Prof. Karagiannidis das Buch "Die Gesundheit der Zukunft” verfasst, in dem er und seine Kollegen sich mit der Reformierung des deutschen Gesundheitssystems auseinandersetzten. Das Buch erschien 2025 im Hirzel Verlag.

OSTHESSEN|NEWS hatte die Gelegenheit mit Prof. Dr. med. Karagiannidis über den Reformbedarf des deutschen Gesundheitssystems und die möglichen Lösungsansätze zu sprechen. Besonders in einer ländlichen Region wie Osthessen werden die Auswirkungen eines Systems, das den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt, immer spürbarer.

Ein System am Limit – und ohne Kompass

Das deutsche Gesundheitssystem zählt zu den teuersten der Welt. Rund 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen in die medizinische Versorgung. Das sind mehr als 460 Milliarden Euro jährlich. Für Prof. Karagiannidis ist diese enorme Zahl Ausdruck eines grundlegend strukturellen Problems: "Wir haben es mit einer massiven Überinanspruchnahme des Systems zu tun", erklärt er. Mehr als eine Milliarde Arztkontakte jährlich bedeutet statistisch: Jeder Mensch in Deutschland geht mindestens einmal im Monat zum Arzt. Und das umfasst alle Menschen, vom Säugling bis zum Greis. Zusätzlich dazu kommen noch die Arztkontakte bei Krankenhausaufenthalten und für Krankschreibungen.

Dieses Verhalten hat sich über Jahrzehnte eingebrannt, gefördert durch ein offen zugängliches, wenig gesteuertes System. "In Deutschland war der Patient stets willkommen, nicht nur aus humanitären oder medizinischen Gründen, sondern teilweise auch aus wirtschaftlichen", so Karagiannidis. Für viele Akteure war und ist jeder zusätzliche Fall auch ein möglicher finanzieller Gewinn. Die Folge: Ein Überangebot an Leistungen, das längst nicht immer medizinisch notwendig und zudem noch geographisch fehlverteilt ist.

Zentral für die Zukunft sei daher ein intelligentes Steuerungssystem. "Wir brauchen endlich eine Navigation durch das System", fordert er. "Ein gut strukturiertes Gesundheitssystem muss mit möglichst wenigen, aber zielgerichteten Arztkontakten auskommen, nicht mit möglichst vielen." Eine Schlüsselrolle spielt dabei die elektronische Patientenakte (EPA). Sie existiert zwar bereits, doch Karagiannidis sieht erheblichen Nachholbedarf. "In ihrer jetzigen Form ist die EPA noch zu wenig brauchbar. Sie muss maschinenlesbar sein, Radiologiebefunde, Laborwerte, Medikamentenpläne – alles muss integriert, abrufbar und nutzbar sein." Zurzeit scheint die ePA eher eine Sammlung an PDF-Dateien. "Was in der EPA schon wirklich gut läuft, ist der bundeseinheitliche Medikamentenplan. Besonders in der Intensiv- und Notfallmedizin hat die EPA ein großes Potenzial, denn im Notfall kann der Patient nicht immer Auskunft über seine medizinische Vorgeschichte geben. Diese Informationen können mitunter allerdings lebensrettend sein.”

Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland bei der Digitalisierung hinterher. In Dänemark zum Beispiel ist die elektronische Patientenakte seit über 20 Jahren Alltag. Die Daten aller Patienten sind dort zentral verfügbar, unabhängig davon, wo sie behandelt wurden. Für Karagiannidis ist besonders die digitale Erfassung der Vormedikation entscheidend: "Es darf nicht sein, dass Ärzte Diagnosen stellen oder Medikamente verschreiben, ohne den bisherigen Verlauf zu kennen.

Lesen Sie auch die weiteren Teile des Interviews mit Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis. (Adrian Böhm)+++

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