Psychiatrisches Gutachten und Plädoyers

Verteidiger fordert mehr Sozialstunden für seinen Mandanten als Staatsanwältin

Der angeklagte 33-Jährige
O|N-Archivbilder

19.09.2024 / FULDA - Rechtsanwalt Jochen Kreißl machte am Donnerstag im Landgericht Fulda seine Ankündigung wahr: Bei seinem Plädoyer im Revisionsprozess wegen räuberischer Erpressung übertraf er die Forderung der Staatsanwältin. Nicht nur hundert, sondern zweihundert Sozialstunden gemeinnütziger Arbeit sollte sein Mandant, der 33-jährige Angeklagte ableisten müssen. Zur Begründung sagte der Verteidiger: "Während andere arbeiten, liegt er nur im Bett und kifft. Das finde ich nicht in Ordnung."



Anders als am 30. August war der Angeklagte diesmal zwar erschienen, doch wegen erneuter Zwischenrufe und fortgesetzten Beleidigungen von Zeuginnen drohte ihm Richterin Dr. Bettina Stade wieder eine Ordnungsmaßnahme an: Er könne die Zeit auch in der Gewahrsamszelle im Gericht zubringen, warnte sie ihn. Seine zu Protokoll genommenen Beleidigungen werden strafrechtlich gesondert verfolgt.

Zunächst hatte noch ein Polizist als Zeuge ausgesagt, der den 33-Jährigen mit Kollegen aus dem Haus seiner Eltern bringen sollte, zu dem er sich während deren Abwesenheit widerrechtlich Zugang verschafft hatte. Dem Zugriff der Beamten habe er sich gewaltsam entzogen und herumgeschrien, so dass er schließlich fixiert werden musste. Die Aussage des Beamten unterbrach der Angeklagte und erklärte, er habe nur seine Tasche holen wollen und sei grundlos von vier Polizisten zusammengeschlagen worden.

"Ich ramm ihr ein Messer in den Muschischlitz"

Eine Justizfachangestellte, die am 19. August während der Verhandlung Protokoll geführt hatte, sagte am Donnerstag ebenfalls aus. Sie hatte in einer Verhandlungspause gehört, wie der 33-Jährige neben anderen Bedrohungen sagte, er wolle seiner Mutter "ein Messer in den Muschischlitz rammen". Diese Zeugin bedachte er daraufhin mit den Worten: "Bitch, fick dich, Alte". Auch hier kündigte die Richterin ihm eine Strafverfolgung der Drohungen und Beleidigungen an. "Das ist doch alles Kinderkacke - ich habe keine Bock auf die Verhandlung", kommentierte der Angeklagte und konnte von seinem Verteidiger nur mit Mühe zur Ruhe gebracht werden.

Auch die nächste Zeugin, eine Bad Hersfelder Sozialarbeiterin, beschimpfte der 33-Jährige im Zeugenstand. Sie hatte ihn bei einer Maßnahme der Eingliederungshilfe betreut. "Aber er war nicht bereit, etwas zu ändern", erklärte sie. Er sei der Meinung gewesen, sie werde dafür bezahlt, ihn sexuell zu befriedigen. Als er sie drangsaliert habe, hatte sie die Polizei gerufen und ihn angezeigt. Das habe er mit "Ich stech dich ab, du Votze!" kommentiert.

Gutachter: "Gegen seine dissoziale Persönlichkeit nützt kein Entzug"

Obwohl er keinen Kontakt mit dem 33-Jährigen hatte, weil dieser das verweigert hatte, führte der psychiatrische Sachverständige Dr. Helge Laubinger aus Kassel am Donnerstag aus, dass eine Entzugsmaßnahme bei dem Angeklagten nicht sinnvoll oder erfolgversprechend sei, weil dieser jede Behandlung strikt ablehne. Bei der Bedrohung seiner Mutter mit einem Messer im Zustand der Intoxikation sei er vermindert steuerungsfähig gewesen. "Seine Gefährlichkeit geht aus seiner Cannabis-Abhängigkeit hervor", konstatierte der Gutachter. Er zeige antisoziale Verhalten, dissoziale Charakterzüge mit Unreife, Egoismus und mangelnder Empathie einhergehend mit psychotischen Störungen aus dem "wahnhaften Spektrum". Dagegen helfe aber keine Entziehungskur. Andererseits relativierte Dr. Laubinger die Prognose, wie wahrscheinlich es sei, dass der Angeklagte seine verbalen Drohungen wahr mache. Man müsse sehen, dass er seit dem Vorfall vor drei Jahren nicht erneut straffällig geworden sei.

Die Staatsanwältin forderte schließlich, den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung im Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung zu verurteilen und ihn zu hundert Sozialstunden zu verpflichten. Verteidiger Jochen Kreißl sah im zugrundeliegenden Fall lediglich eine Nötigung, weil das von den Eltern geforderte Geld seinem Mandanten ja tatsächlich zugestanden habe. Der Anwalt nannte kein konkretes Strafmaß, forderte aber das Doppelte an Sozialstunden.

Das Urteil soll am 26. September um 14:00 Uhr verkündet werden. (ci)+++

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