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Sommerinterview mit Jens Mischak (1): Kein "Weiter so" beim Thema Wasser

Der Nidda-Stausee in Schotten im Vogelsbergkreis.
Foto: picture-alliance / Friedel Gierth | Friedel Gierth

15.08.2021 / REGION VB - Die Bilder der Flutkatastrophe vom vergangenen Monat aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz machen noch immer fassungslos. Dort sorgte ein heftiges Unwetter dafür, dass Orte komplett überflutet wurden, über 180 Menschen kamen zu Tode. Ist der Klimawandel nun endgültig in Deutschland angekommen?



Ein Thema, welches auch im Vogelsberg aktuell ist und über das wir mit Vize-Landrat Dr. Jens Mischak in unserem Sommerinterview sprechen. Dafür treffen wir ihn an einem seiner liebsten Plätze im Vogelsbergkreis: auf dem Hohmichelstein, eine Erhebung mitten im Wald mit wunderbarer Aussicht, zwischen Rudlos und Schloss Eisenbach (Lauterbach). "Der Platz hier ist nicht stark frequentiert, kann in Ruhe nachdenken, ohne dass man tausend Leute trifft", schwärmt er. Idylle pur - es scheint, als sei man hier vom Klimawandel weit entfernt.

Vorreiter in Sachen Klimaschutz

"Es ist bezeichnend und schlimm, dass es immer erst solche Naturkatastrophen braucht, um die Wahrnehmung und den Fokus auf Natur und Klimawandel zu richten. Dass es den Klimawandel gibt und wir ein Stück weit etwas in unserem Verhalten ändern müssen, war auch schon vor der Flutkatastrophe im Juli bekannt. Doch viele Menschen realisieren es leider erst durch solche Ereignisse", so Mischak im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS.

In Sachen Klimaschutz nimmt der Vogelsberg bereits eine Art Vorreiterrolle in Hessen ein - und das aus ganz unterschiedlichen Gründen: Die Verwaltung ist beispielsweise aktuell dabei, den kompletten Fuhrpark auf Hybridfahrzeuge umzustellen und das Thema nachhaltiges Arbeiten wird in der Region immer wichtiger. Auch im Bereich privater Nutzung von erneuerbaren Energien ist der Kreis schon gut dabei. "Berechnungen, wie viel Strom durch erneuerbare Energien erzeugt werden kann, zeigen, dass wir im Vogelsbergkreis bei weit über 200 Prozent liegen." Allerdings sind die Meinungen beim Thema Windkraft gespalten: Während die Windkrafträder Energie ins Stromnetz einspeisen, braucht man auf der anderen Seite allerdings große Flächen "die Landwirte beschweren sich deshalb zu Recht", gibt Mischak zu. "Und man belastet die Natur durch die Eingriffe natürlich auch wieder."

"Der Vogelsberger hat Natur in die Wiege gelegt bekommen"

Um dem Klimawandel ein Stück weit entgegenzuwirken, muss sich laut Vize-Landrat auch das Konsum- und Verbraucherverhalten ändern - weg von Billigfleisch, hin zu regionalen Produkten. Auch hier glänzt der Vogelsbergkreis mit seiner Dachmarke "Vogelsberger Originale", die für Lebensmittelqualität aus der Region steht. Das Konsumverhalten habe sich bereits durch Corona stark verändert - auch wenn das "Umdenken" bei den Vogelsbergern schon lange angekommen sei: "Hier mehr, als bei anderen. Der Vogelsberger hat die Nähe zur Natur in die Wiege gelegt bekommen. Wir kennen und leben mit der Natur, deswegen gibt es hier ein höheres Bewusstsein dafür als vielleicht für jemanden, der die Natur nur aus dem Park einer Großstadt kennt."

40 Millionen Kubikmeter Wasser gehen ins Rhein-Main-Gebiet

Man sieht: Vieles läuft gut im Vogelsberg. Doch ein Problem ist den Bürgern schon jahrzehntelang ein Dorn im Auge - das Thema Wasser. Denn jährlich werden etwa 40 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Vogelsberg ins Rhein-Main-Gebiet exportiert. Die Sorge, dass durch den Klimawandel und trockene Sommer das Wasser dann für die Vogelsberger nicht mehr reicht, ist groß. 

Deshalb wurde bereits im Jahr 2001 ein Gutachten vom hessischen Umwelt-Ministerium erstellt, was genau die Wasserlieferungen von der Vulkanregion ins Rhein-Main-Gebiet für den Grundwasserspiegel bedeuten. "Die Wasserampel der OVAG zeigt, dass nicht beliebig viel Wasser entnommen werden kann - wir müssen immer schauen, wie sich die Wasserstände entwickeln, um dann die Ampel im Notfall auch auf Rot zu schalten", sagt Mischak. So weit sei die Region zwar noch nicht, dennoch will der Kreis nun genau wissen, welche Konsequenzen die letzten Jahre gehabt haben. "Was bedeuten die letzten Dürre-Sommer und wie wirkt sich das auf die Grundwasserbildung aus?" Ein unabhängiges Gutachten von Geologen soll dies jetzt klären und Antworten auf die dringlichen Fragen bringen. 

Kein stetiges "Weiter so"

Dennoch sieht Vize-Landrat Mischak die Aufgabe vor allem bei Politik und Bürgern aus dem Rhein-Main-Gebiet: "Wir können weniger tun als die Menschen, die unser Wasser geliefert bekommen. Es braucht politische und gesellschaftliche Akzeptanz für all das." Mischak nennt in diesem Zusammenhang das Thema des Zwei-Leitungs-Systems: "Es kann nicht sein, dass die Toilettenspülungen mit Trinkwasser laufen - da muss man von Anfang an so planen, dass es zwei Leitungen dafür gibt." Außerdem solle das Rhein-Main-Gebiet die Selbstversorgung mitplanen und sich nicht langfristig darauf verlassen, dass es ein stetiges "Weiter so" gibt. "Die müssen etwas verändern", bringt er es auf den Punkt. 

Doch am Ende ist es für den 42-Jährigen auch eine Frage, wie man in Zukunft zu einer anderen Verteilung der Bevölkerung innerhalb des Bundeslandes kommt: "Ein unbegrenztes Wachstum des Rhein-Main-Gebietes kann es letztlich in meinen Augen nicht mehr geben." (Luisa Diegel)

Nächsten Sonntag folgt der zweite Teil des Sommerinterviews mit Dr. Jens Mischak. Dann steht das Thema Gesundheit und die Versorgung im ländlichen Raum im Fokus. +++

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