"Bewohner vier Wochen lang nicht gewaschen"

Ist die Pflege-Mafia in Osthessen angekommen? Insider packen aus

Ist die Pflege-Mafia in Osthessen angekommen? Insider packen aus.
Foto: picture alliance / Zoonar | DAVID HERRAEZ CALZADA

11.12.2024 / KALBACH - Die Nachricht aus Kalbach verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In einem Pflegeheim wurde der Notstand ausgerufen. Immer mehr Betroffene haben Mut gefasst und wenden sich jetzt mit ihren Erfahrungen an OSTHESSENlNEWS. Darunter (ehemalige) Mitarbeiter. Sie sind sich einig: "Die Bevölkerung muss aufwachen!"



Weil die Betreuung von 44 Bewohnern in einem Seniorenheim in Mittelkalbach nicht mehr sichergestellt werden konnte, wählte ein Pfleger am Montagabend den Notruf. Seitdem glühen in unserer OlN-Redaktion die Leitungen. Nach etlichen Telefonaten und Zuschriften wird schnell klar: Das ist kein Einzelfall. "In einem Heim in der Region ist seit Wochen die Krätze ausgebrochen. 'Gefühlt' passiert da nichts!!!"

Ein Fass ohne Boden.

Doch zurück in die Gemeinde Kalbach im südlichen Landkreis Fulda. "Bewohner zählen hier nicht, nur noch das Finanzielle", bringt es eine Betroffene auf den Punkt. Eine ehemalige Mitarbeiterin berichtet weiter: "Die Zustände dort sind unterirdisch." Ein Auszug:

Weinende Mitarbeiter

"Unser Stammpersonal wurde nach und nach durch Leiharbeiter ausgetauscht. Wahllos wurden Mitarbeiter gekündigt, die Bewohner waren unbeaufsichtigt. Die Kräfte sind mit den Nerven am Ende und drehen durch, andere weinen, weil sie sich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen können. Wir (unsere Informantin und fünf weitere Pflegekräfte möchten anonym bleiben) sind seit Jahrzehnten in diesem Beruf und mit Herzblut dabei. Wir sind teilweise das Einzige, was die Bewohner noch haben und es tut weh, dass man absolut keine Zeit für diese Menschen hat."

Laut deren Aussagen gab es in Mittelkalbach keine Servicekräfte, keine Putzkraft, kein Wäscheservice - diese Arbeiten mussten vom Pflegepersonal mit übernommen werden. Die Bestellung an Inkontinenzmaterial sei viel zu gering gewesen, nachts sollte nur eine Pflegekraft arbeiten. "Wie soll das funktionieren? In diesem Heim leben viele Schwerstpflegefälle."

Dass Bewohner sich bislang nicht öffentlich zu den Missständen geäußert haben, begründen die ehemaligen Mitarbeiter wie folgt: "Sie haben Angst, auf der Straße zu landen. Alle Pflegeheime sind voll, man bekommt keinen neuen Platz."

"Ich konnte letztes Jahr als private Assistenzkraft eines Kurzzeitpatienten einen Einblick von den Zuständen im Heim nehmen. Ich kann nur sagen, diese vier Wochen haben mir gereicht!" Der Mann sei die ersten Tage nicht mal aus dem Bett geholt worden. "Eigentlich sollte er nach einer Halswirbel-OP dort etwas mobilisiert werden. Des Weiteren wurde er in den vier Wochen weder geduscht noch rasiert, was zur Grundpflege gehört. Dies haben wir Assistenten übernommen, was eigentlich gar nicht in unseren Aufgabenbereich fällt."

Bislang ducken sich Heimleitung und auch Geschäftsführung weg. Alle OlN-Anfragen liefen bislang ins Leere. "Die machen sich alle die Taschen voll, das sind mafiaähnliche Zustände!", packt eine Insiderin aus. (Nina Seikel) +++

Anmerkung der Redaktion: die Namen der Informanten liegen uns vor.

Im Artecare-Pflegeheim in Mittelkalbach sollen miserable Zustände herrschen.
Foto: OlN/Moritz Bindewald
Laut Insidern wurde ein \"Bewohner vier Wochen lang nicht gewaschen\".\r\n
Symbolfoto: ON/Carina Jirsch

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