Kriminal-Fall "Ohmstraße Fulda"

Der rätselhafte Tod des Dieter Möller und die skurrile Trauerfeier im "Eck"

Er ist der Tote aus der Ohmstraße: Dieter Möller - hier am Schlagzeug.
Fotos (12): privat

15.12.2025 / FULDA - Vor drei Wochen wurde in einem Haus in der Fuldaer Ohmstraße ein toter Mann gefunden. Wie ist er gestorben? Am Sonntag haben Freundinnen und Freunde in einer außergewöhnlichen Trauerfeier Abschied von ihm genommen. Die Polizei ermittelt immer noch.



Ohmstraße 12. Zwei Steinstufen hoch bis zur Haustür. Auf der oberen Stufe flackern Kerzen. Ein letzter, hilfloser Gruß an den Mann, der hier gestorben ist. Sogar die Online-Ausgabe der Tagesschau hat darüber berichtet, am Sonntag, 23. November. Totensonntag. Auf dem Klingelschild steht noch sein Name: Möller. Aber die, denen er vertraut war, nannten ihn nur Dieter. 62 Jahre alt ist er geworden. Sein Tod hat viele aufgewühlt. Wer war dieser Mann? Was ist passiert?

Am Samstagabend, 22. November 2025, wenige Minuten nach Mitternacht hat Dieter Möller die Kneipe "Zum Eck" verlassen. Er war eingeladen, jemand feierte Geburtstag. Nur ein paar hundert Meter sind es bis zu seiner Wohnung. Aus dem Eingang raus, rechts um die Ecke, den Gemüsemarkt entlang und dann quer durchs "Bermuda-Dreieck". Gleich hinter der Windmühle ein kleiner Schwenk, dann geht es in die Ohmstraße. Es war pickelkalt in dieser Nacht, der zweite Frost-Einbruch in Folge.

Die Putzfrau hat ihn gefunden - Was ist in der Nacht passiert?

Fast zwölf Stunden später betrat eine Putzfrau das kleine Eckhaus. Sie wollte an diesem Sonntag eine leerstehende Wohnung putzen, eine Besichtigung stand an. Da lag Dieter Möller am Fuß der Treppe, tot. Wenig später spannten sich rotweiße Flatterbänder über die enge Gasse, Polizei und Feuerwehr drängten sich. Die Ermittlungen nahmen ihren Lauf. Osthessen-News meldete den Leichenfund am Nachmittag. Schon frühzeitig suchte die Polizei nach Zeugen. Hatte jemand "eine körperliche Auseinandersetzung, eine hilfsbedürftige, stürzende oder augenscheinlich verletzte männliche Person" beobachtet? Am Abend brachte die Pietät Schnell aus Neuenberg den Leichnam nach Gießen, in die Gerichtsmedizin.

Erst am Montagmorgen rückten die Polizei-Ermittler wieder ab in der Ohmstraße. Abermals werden Zeugen aufgefordert, sich zu melden. Am Nachmittag herrscht im "Eck" außergewöhnliches Gedränge für diese Tageszeit. Beklommene, gedämpfte Stimmung. Die meisten Gäste trinken Schnaps. Ouzo, zu Dieters Ehren; "das war sein Lieblingsschnaps", sagt der Wirt. Im Freundeskreis scheint, trotz der Zeugensuche durch die Polizei, klar zu sein, wie "der Dieter" ums Leben kam: Er stürzte die Treppe hinunter. Das dramatische Ende eines aufgewühlten Lebens.

So lebte Dieter Möller

In Rock- und Blues-Songs werden öfter mal Männer beschrieben, die alles Gute und Böse in sich vereinigen. Einsame Kerle, hart im Nehmen und im Geben, mal berstend von Wut und Aggressivität, dann wieder sanft und zugewandt. Männer, die ihr Zuhause in Kneipen finden, deren Leben viele Abgründe kennt. Dieter Möller war so ein Mann; anders als diese Rock-Helden aber hatte er seinen Zorn gezähmt. Menschen, die ihn kannten, haben ihren Dieter ins Herz geschlossen. Endlich gehörte der Mann, der so oft Außenseiter war, dazu.

Manchmal, wenn er in Stimmung war, klopfte er mit seinen Händen den Rhythmus zu den Gitarren, die sich aus den Lautsprechern heraussägten. Ein Lufttrommler. "Ich war gar nicht schlecht am Schlagzeug", sagte er schon mal. "Gar nicht schlecht." Eigenlob lag ihm nicht so. Er saß auf seinem Barhocker gleich neben dem Eingang. Irgendwer hockte sich immer neben ihn und erzählte, was ihn bewegte. Der Dieter war ein einfühlsamer Zuhörer. Manchmal hat er auch selbst was erzählt. Am liebsten über die Musik. Wenn in seiner Heimat-Kneipe "Jam-Session" war, musste er natürlich ans Mikrofon, nicht ohne sich hinterher zu entschuldigen. "Ich weiß schon, früher hatte meine Stimme mehr Power." Auch der Fußball war ein wichtiges Thema. Als junger Kerl hatte er für FT Fulda im Tor gestanden. Wenn die Dortmunder spielten, streifte er sich sein BVB-Trikot über. Wenn die Frankfurter Eintracht mal wieder versagte, äußerte er Mitgefühl für deren Flaschen-Fußball. "Die haben schon mal schlechter gespielt." Lächelte so, dass jeder ihn ins Herz schloss. Seine Augen lächelten nicht immer mit. Neulich sprach er mal wieder über das Sterben. "Wenn ich drei Wochen nicht hier war, weißte Bescheid. Das war’s dann. Ich habe keine Angst davor."

Für ein bürgerliches Leben hatte er kein Talent. Daran änderte auch seine Ausbildung in einem Handwerksberuf nichts. Viele im Fuldaer Klinikum erinnern sich noch an den Zivi vom Roten Kreuz, viele kannten den Konditor. Als Taxifahrer hat er gejobbt und als Hausmeister. In den 90ern rutschte er in ein Alptraum-Leben, Freunde stieß er in seiner Drogen-Zeit vor den Kopf. Aus dem immer freundlichen Dieter war ein giftiger Junkie geworden. Aber er hat sich herausgekämpft. 2020 führte ihn das Leben an einen weiteren Abgrund: Ende April 2020 entschloss sich seine Freundin, auf besonders harte Weise aus dem Leben zu gehen: Sie zündete ihre Wohnung in der Petersberger Straße an. Als die Feuerwehr sich durch die Flammen gekämpft hatten, konnte sie nur noch eine verbrannte Leiche bergen.

Abschied und Tröster in Kult-Kneipe Eck

Einem guten Freund schickte er beinahe jeden Abend einen Rock-Song als Einschlaf-Hilfe. Wenn er während der Nacht noch 30 weitere Nachrichten folgen ließ, wusste sein Kumpel: Dieter Möller war wieder von seinen dunklen Gedanken heimgesucht worden. An einen Kellner schrieb er: "Wenn ich irgendwann nicht da bin, möchte ich, dass dieses Lied gespielt wird. Du musst dafür sorgen!" Udo Lindenbergs trauriger Song "Nichts haut einen Seemann um" wurde Sonntagmittag auftragsgemäß im Eck aufgelegt. In der dicht gefüllten Gaststube wurde ein außergewöhnlicher "Tröster" begangen. Der künftige Betreiber vom "Törtchen" brachte Kuchen vorbei, der Wirt vom "Ritter" Chili con Carne. Einer seiner besten Freunde sponsorte das Bier, Ouzo-Flaschen wurden auch herbeigeschleppt. "Es sind so viele gekommen, weil Dieter ein guter Mensch war", sagt einer. Und dann kam Lindenbergs Lied über den alten Käptn:

"Die Kneipe ist noch leer
Außer mir nur der alte Käpt’n.
Der ist immer hier
Der fährt nicht mehr.
Der sitzt hier jeden Nachmittag und prüft den Rum.
Doch nach dem dritten Glas schon singt er leise
‚Nichts haut einen Seemann um‘.
Ihn doch."

Was ist passiert? Anne Gerstner, stellvertretende Pressesprecherin der Fuldaer Staatsanwaltschaft, hat gerade noch einmal bekräftigt, dass "die Ermittlungen weiterhin andauern und die gerichtsmedizinischen Untersuchungen nicht abgeschlossen sind." Gerüchte kursieren in Fulda. Irgendwie ist durchgesickert, dass der Treppensturz als Todesursache nicht ausreiche. Dieter Möller müsse auf seinem Heimweg weitere Verletzungen erlitten haben. Ist er in eine Schlägerei verwickelt worden? Ist er unglücklich gestürzt? Hat er sich benommen heimgeschleppt und ist auf der Treppe ins Straucheln geraten? Nicht nur Freundinnen und Freunde warten auf Aufklärung.

Möllers Leichnam liegt noch bei der Pietät Schnell. Im thüringischen Waltershausen, 120 Autokilometer entfernt von Fulda, soll der Tote eingeäschert und beerdigt werden. (Rainer M. Gefeller) +++

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