Region verliert emphatischen Abgeordneten

Politische Leitfigur tritt ab: Michael Roth sagt nach 27 Jahren "Adieu"

Michael Roth (SPD) hat große Fußstapfen hinterlassen.
Archivfotos: O|N

21.02.2025 / KOMMENTAR - Rund viereinhalb Jahre liegt meine erste journalistische Begegnung mit Michael Roth (54, SPD) zurück. Beim großen OSTHESSEN|NEWS-Abschlussinterview sprechen wir über diese Erinnerung an den Sommer 2020 auf der Burg Herzberg. Ich war wahnsinnig aufgeregt, doch mit all seiner Empathie nahm mir der schon damals langjährige Bundestagsabgeordnete meine Angst. Nun ist das Leben auf der großen politischen Bühne für den gebürtigen Heringer vorbei und es wirkt im Gespräch wie eine Befreiung, auf die er lange warten musste.


Politikern wird heutzutage oft vorgeworfen, dass sie Dinge nicht klar ansprechen und benennen. Das hat viele Menschen von der Politik entfernt. Michael Roth kann man diesen Vorwurf nicht machen. Gerade in den letzten Jahren seiner Abgeordnetentätigkeit und als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses bezog er immer klar Stellung. Das kollidierte dann auch mal mit der vorherrschenden Meinung im Willy-Brandt-Haus - allerdings zeigt das seine Authentizität. Viele Abgeordneten fehlt eben diese "Echtheit" und es ist schade, dass mit dem Rückzug des 54-Jährigen diese Eigenschaft weiter verloren geht.

Heimatverbundenheit kam immer gut an

Natürlich kann man auf die Erfolge verweisen, die Roth eingefahren hat. Doch auch im abschließenden O|N-Interview will er das nicht groß thematisieren. Ihm geht es nicht um persönliche Lorbeeren, sondern um den Fortschritt für die Region. Diese Heimatverbundenheit kam bei den Wählerinnen und Wählern immer gut an. Nicht umsonst hat er seit 1998 den Wahlkreis jedes Mal direkt gewonnen. Dabei agiert er für einen Politiker aus einem Flächenwahlkreis eher untypisch. Kirmes oder Karneval sind nicht seine Welt. In der Heimat der "Ahlen Wurscht" ist er schon seit Jahren bekennender Vegetarier. Doch mit dieser offenen Art und Weise wusste er zu begeistern und das auch gegen den Bundestrend der SPD.

Empathie ist in der "großen Politik" ein seltenes Gut. Ohne die Ellbogen auszufahren, gelingt es den Wenigsten, Karriere im politischen Berlin zu machen. Sicherlich ist Michael Roth ehrgeizig und ein Kämpfer, allerdings geht er nicht über selbstgesetzte Grenzen. Daran sollte sich einige Parlamentarier ein Beispiel nehmen.

Doch zwischen den Zeilen merkt man Roth im O|N-Abschlussinterview eine gewisse Politikmüdigkeit an. Auch weil viele negative Entwicklungen seit dem Jahr 1998 inzwischen zur Realität geworden sind. Antisemitismus, Demokratiemüdigkeit oder das Erstarken extremer politischer Kräfte - all das beunruhigt den leidenschaftlichen Freiheitskämpfer und Europäer. Sein Einsatz für die Ukraine und Georgien hat ihn nachhaltig verändert, wie er selbst eingesteht. Dadurch habe er gerade im Wahlkreis immer öfter ungeduldig gewirkt. Ein solch selbstkritisches Eingeständnis ist nicht selbstverständlich und untermauert die ehrliche Haltung, mit der Michael Roth agiert hat.

Die Region und der Wahlkreis verlieren einen wahnsinnig empathischen Politiker, der sich immer für die Belange der Region eingesetzt hat, sich aber trotzdem nie in den Mittelpunkt stellte. Er war Mitglied des Bundeskabinetts unter Angela Merkel (CDU) und verlor dennoch nie die Bodenhaftung. Sein politisches Erbe anzutreten, wird nicht einfach. Michael Roth hinterlässt wirklich große Fußstapfen. (Kevin Kunze)+++

X