"Walter starb, seine Haltung nicht"

5 Jahre nach dem Lübcke-Mord: Gedenkfeier mit Bundespräsident Steinmeier

Gedenkfeier mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein an den im Jahr 2019 ermordeten Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke.
Fotos: Hendrik Urbin

03.06.2024 / KASSEL - Dieser grausame Mord erschütterte ganz Deutschland! Vor fünf Jahren wurde der damalige Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha erschossen. Er wurde 65 Jahre alt. Der Täter: Rechtsextremist Stephan Ernst.


Am Sonntag wurde bei einer Gedenkfeier in der Martinskirche von Kassel an den Christdemokraten Lübcke gedacht. Mit 1.000 Menschen war die evangelische Stadtkirche bis auf den letzten Platz besetzt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war ebenfalls unter den Gästen, wie auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit seinem Kabinett. Zelebriert wurde der Gottesdienst von Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Aber auch Dr. Michael Gerber, Bischof von Fulda, wirkte mit. Die Veranstaltung erfolgte unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen mit viel Polizeipräsenz.

Rückblick: In der Nacht auf den 2. Juni 2019 wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke in den frühen Morgenstunden leblos mit einem Kopfschuss auf seiner Terrasse gefunden. Er kam ins Krankenhaus und starb. Die Tat gilt als der erste politisch motivierte Mord an einem deutschen Politiker, der durch einen Neonazi aus der Bundesrepublik verübt wurde. Lübckes Mörder Stephan Ernst hatte im Strafprozess Lübckes Eintreten für Flüchtlinge als Motiv für seine Tat genannt. Während einer Flüchtlings-Debatte in Lohfelden (Kassel) hatte der Regierungspräsident 2015 gesagt, dass es sich lohne, in Deutschland zu leben, da müsse man für Werte eintreten: "Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Dieser Satz wurde zu einem Vermächtnis. Die Ermordung war ein Anschlag auf unsere freiheitliche, demokratische Gesellschaft.

Bundespräsident Steinmeier würdigte Walter Lübcke als "aufrichtigen Demokrat" und sprach von einem rechtsextremen Terrorakt. "Er musste sterben, weil er die Werte verteidigt hat, die unsere Gesellschaft ausmachen. Walter Lübcke wurde ermordet, während er unter uns war." Es brauche einen wachen, reaktionsschnellen Rechtsstaat und eine starke Zivilgesellschaft. "Wo Hass verbreitet wird, ist unser Widerstand gefragt." Man solle sich Walter Lübcke als Vorbild nehmen. "Wir bräuchten ihn heute hier unter uns." Lübcke wurde ermordet, nachdem er sich auf der Bürgerversammlung in Lohfelden geäußert und mit Provokateuren debattiert hatte. "Lübcke stellte sich der Debatte. Er verteidigte die Menschenwürde. Er verteidigte die Grundwerte in unserem Land. Man muss für Werte eintreten. Dieser Satz ist zu einem Vermächtnis geworden." Der Bundespräsident ergänzte: "Wir wünschten alle, dieser Satz wäre nicht zu einem Vermächtnis geworden. Es wäre weiter ein Argument geblieben, dass Walter Lübcke in Diskussion verwendet."

Steinmeier appellierte an die Menschen, den Extremismus zu bekämpfen. "Gerade jetzt in diesen Tagen lesen und hören wir immer wieder, dass politisch engagierte Mandatsträger körperlich angegriffen werden und die Hemmschwelle der Täter sinkt. Wir dürfen uns an Gewalt in der politischen Auseinandersetzung nicht gewöhnen. Niemals. Denn Gewalt sät Angst." Weiter ergänzte das Staatsoberhaupt: "Walter Lübcke war ein Mensch, der als Christ und Demokrat die Verantwortung übernommen hat, sich diesen Angriffen auf unsere Gesellschaft entgegenzustellen. Wir bräuchten ihn jetzt hier unter uns. Nehmen wir ihn uns als Vorbild. Als einen Menschen, der mutig für die Würde des Einzelnen einstand. Wir werden ihn nicht vergessen."

"Die Demokratie braucht mehr Walter Lübckes"

Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) erinnerte an einen Freund: "Es ist Hessentag in Fritzlar, in Nordhessen. Normalerweise wären wir jetzt mit Walter Lübcke unterwegs und zwar zehn Tage lang, denn hier war seine Heimat. Aber seit seinem Tod ist nichts mehr normal. Wir vermissen Walter und seine Menschlichkeit." Rhein erinnerte an den positiven und herzlichen CDU-Politiker mit den klugen Ratschlägen. Der Ministerpräsident wünschte sich, dass der grausame Tod ein Umdenken in der Gesellschaft bewirkt hätte. Dies sei allerdings nicht eingetreten.

"Überlasst dieses Land nicht den Falschen. Das ist das Signal und das, was Walter Lübcke seines Lebens gesagt hat und gelebt hat. Demokratie braucht Menschen, die sich aktiv einbringen. Menschen, die Mut haben. Menschen, die Haltung zeigen. Die Demokratie braucht mehr Walter Lübckes." Walter Lübcke habe das gewusst, er habe das getan, er habe danach gelebt und dafür musste er mit seinem Leben bezahlen. "Der Mord an Walter Lübcke ist eine Mahnung und ein dauerhafter Auftrag zugleich, dass wir mit aller Entschlossenheit gegen Hasse und Extremismus vorgehen und dass wir nicht vergessen, wofür Walter Lübcke gelebt und so stark gekämpft hat."

"Seine Mörder wollten Walter Lübcke zum Schweigen bringen. Er starb. Aber seine Haltung starb nicht. Über seinen Tod hinaus ruft Walter Lübcke uns zu. Verteidigt die Werte des Grundgesetzes. Sie geben der Vielfalt Raum. Überwindet Gewalt und Rassismus. Sie entmenschlichen unsere Gesellschaft. Steht ein für Toleranz. Gerade in diesem Wahljahr. Gerade in unsicheren Zeiten braucht es das starke Engagement einer breiten Zivilgesellschaft", so Bischöfin Dr. Beate Hofmann.

Schüler regten mit Poetry-Slam zum Nachdenken an 

Auch einige Schüler der Walter Lübcke Schule brachten mit einem Poetry-Slam ihre Gedanken zu Ausdruck. Zeilen wie "Ich weiß nur, dass ich in einer Demokratie aufgewachsen bin und ebenso wenig Lust habe auf diese zu verzichten, wie auf meinen Platz auf der Bühne", sollten die Anwesenden zum Nachdenken anregen.

"Rechte Gewalt eindämmen - konsequentes Vorgehen und zügige Strafverfolgung", fordert die Demokratie-Initiative "Offen für Vielfalt". Sie veranstaltet zusammen mit dem Regierungspräsidium Kassel und der evangelischen Kirchengemeinde Kassel-Mitte die Gedenkfeier. Zu Beginn läutete die Osanna-Glocke - im Gedenken an Walter Lübcke und an alle Opfer politischen Terrors in Deutschland. Und zum Abschluss stiegen 500 Luftballons als Zeichen für eine starke Demokratie in die Luft. (Christian P. Stadtfeld) +++

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