20 Jahre Perspektiva

Wie Mike Schmied den Kampf um ein normales Leben gewann

Mike Schmied hat den Weg in ein selbstbestimmtes Leben geschafft. Seine Bedenken fegte er einfach weg.
Fotos: Arnulf Müller

09.12.2019 / FULDA - Es war seine Lernschwäche, die Mike Schmied die Möglichkeit nahm, einer normalen Arbeit in einem Unternehmen nachzugehen. Hartz 4, Schulden und keine Aussicht auf eine bessere Lebensperspektive waren die Folge. Erst durch die Unterstützung des Fuldaer Unternehmensnetzwerkes Perspektiva schaffte der heute 39-Jährige den Sprung in ein besseres Leben. Mike Schmied erhielt durch die Zusammenarbeit und Unterstützung der Fördergemeinschaft und seinem heutigen Arbeitgeber, der Eichenzeller Spedition John, eine Festanstellung als Fachkraft für Lagerlogistik. Er steht beispielgebend für über 150 junge Menschen, die durch den Chancengeber Perspektiva ein selbstbestimmtes Leben führen können. Am Mittwoch feiert das Unternehmensnetzwerk sein 20-jähriges Bestehen.

In zwei Jahrzehnten konnte Perspektiva als Brückenbauer viele Erfahrungen sammeln und jungen Menschen durch das Erfolgskonzept neue Lebensperspektiven eröffnen. Dass der Start manchmal auch etwas holprig sein kann, hat Mike Schmied am eigenen Leib erfahren. "Ich war zweimal bei Perspektiva." Die Eingliederung in einen KFZ-Betrieb und auch ein Getränkelager scheiterten. Davon hat sich der 39-Jährige allerdings nicht entmutigen lassen, bis er mit der Spedition John aus Eichenzell einen passenden Arbeitgeber fand. Offenheit, Respekt und Toleranz wurden ihm von den Kollegen und Betreuern entgegengebracht. Gepaart mit dem Spaß an der Tätigkeit in der Logistik schaffte der Fuldaer seine Ausbildung und ist inzwischen seit über einem Jahr fest angestellt.

Die Spedition John zählt zu einem der ersten Gesellschafter von Perspektiva. Ende der 90er-Jahre nahm das Eichenzeller Unternehmen den ersten Praktikanten auf und gliederte ihn erfolgreich ins Unternehmen ein. Mit Mike Schmied eröffnete die Spedition bereits der dritten Person mit Lernschwäche einen neuen Lebensweg. Dass das möglich ist, ist auch der Offenheit und Bereitschaft der eigenen Mitarbeiter zu verdanken. Heinrich Wins hat sich als Bereichsleiter des Umschlaglagers Mike Schmied angenommen und ihn unterstützt. 

Aller Anfang ist schwer


"Mir macht Lagerarbeit wirklich Spaß. Ich habe nette Arbeitskollegen, durch die ich auch bestehen konnte. Auch wenn ich mich am Anfang ein bisschen zurückgehalten habe", erklärt Schmied. Das habe allerdings auch seine Gründe: Die Angst, ausgenutzt und aus dem Betrieb wieder rausgeschmissen zu werden, hat ihn anfangs begleitet. Doch wie heißt es so schön: Aller Anfang ist schwer. Dass sein "Selbstschutz" unbegründet war, merkte Schmied, als sein Praktikum verlängert wurde. "Vorher war er immer das stille Mäuschen... auch wenn er gar nicht so aussieht", schmunzelt Wins.

Mit Tatkraft, Engagement und Vorsicht ist Schmied seiner Arbeit nachgegangen, immer bedacht, die Ware sorgsam zu behandeln. "Und das ist eine herausragende Eigenschaft von Herrn Schmied", lobt Geschäftsführerin Birgit Bergemann. Ausbilder Wins fügt hinzu: "Mike ist wirklich ein Kämpfer. Seine Stärke ist sein Wille. Er hatte keinen einfachen Weg und ich kenne nicht viele Menschen, die ein solches Durchhaltevermögen aufgebracht hätten."

Perspektiva als starke Stütze

Dass die Qualifizierung zur Fachkraft nicht immer einfach ist, hielt Schmied von diesem Weg nicht ab: "Ich wollte trotzdem ein paar Mal abbrechen." Mit Perspektiva als starke Stütze und dem fairen und kollegialen Umfang der Speditions-Mitarbeiter schaffte es Schmied erfolgreich in die Festanstellung. "Seitdem brauche ich keine Angst mehr zu haben. Ich konnte sogar meinen Führerschein anfangen." 

Seit über einem Jahr ist der 39-Jährige ein fester Bestandteil des 200 Mann starken Unternehmens: "Allerdings kann man jetzt nicht sagen: Nun sieh zu, wie du klarkommst. Jetzt sind wir gefragt", so Wins. In den vielen Jahren der Zusammenarbeit mit Perspektiva konnte die Spedition viele Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Lernschwäche sammeln. "Natürlich gab es immer mal schwierige Situationen. Wir haben gelernt, mit einem ganz anderen Verständnis an die Sache heranzugehen. Zum Beispiel mussten wir am Anfang unsere Kollegen sensibilisieren. Sie haben alle das Herz am rechten Fleck", erklärt die Geschäftsführerin.

Nur durch die Bereitschaft der Spedition John und der Unterstützung von Perspektiva bekam Mike Schmied die Chance ein normales, schuldenfreies und selbstbestimmtes Leben zu führen. "Herr Schmied fällt überhaupt nicht auf. Er fährt den Stapler und macht seinen Job wie jeder andere Mitarbeiter. Und genauso wird er von Außenstehenden und Kollegen wahrgenommen und behandelt", sagt Wins.

"Ich würde nicht mal sagen, dass Herr Schmied unser leichtester Fall ist. Er ist nämlich gar kein Fall. Ich kann Unternehmen nur ermuntern, sich auf solche Praktikumsvereinbarungen einzulassen. Jugendliche mit Handicap müssen keine Angst vor Unternehmen haben. Wir würden jederzeit wieder jemanden nehmen", sagt die Geschäftsführerin Bergemann. (jul) +++

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