Reanimation auf dem Fußballplatz

Überlebter plötzlicher Herztod: Dankbarer Julian Suresch (25) will Mut machen

Lebensretter, Sanitätsoffizier und Mannschaftskamerad Stefan Brandenstein (links) und Julian Suresch am Donnerstagnachmittag auf der Fanbank beim ESV Hönebach
Fotos: Kevin Kunze

10.08.2024 / WILDECK/NIEDERAULA - Gemütlich sitzen Julian Suresch und Stefan Brandenstein auf der Tribüne in Hönebach (Wildeck, Landkreis Hersfeld-Rotenburg). Die Sonne scheint an diesem Donnerstagnachmittag über dem Sportplatz, unten im Dorf steht die Kirmes an. Ein guter und vor allem schöner Tag.



Acht Tage zuvor war die Situation eine ganz andere. Julians junges Leben schien am Ende. Knapp 37 Kilometer entfernt in Niederaula (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) läuft gerade das Fußball-Kreispokal-Halbfinale zwischen der SG Niederaula/Kerspenhausen und dem ESV Hönebach. Julian ist im Sommer von seinem Heimatverein TSV Ransbach nach Hönebach in die Gruppenliga gewechselt. 30 Minuten sind gespielt, die Gastgeber führen 1:0.

Plötzlich sackt Julian (25) zusammen. Der Niederaulaer Fabian Wozniak läuft gerade neben ihm und erkennt sofort die Situation, schreit nach Hilfe, Stefan Brandenstein (39) eilt Richtung Eckfahne, wo Julian regungslos auf dem Rasen liegt. "Irgendwann ist der Moment gekommen, wo er aufgehört hat, zu atmen. Da sind mir in Millisekunden Bilder von Christian Eriksen und anderen Ereignissen durch den Kopf gegangen. Ich wusste, Du hast jetzt keine Wahl, drehe ihn um und drücke drauf", sagt Brandenstein. Er ist Sanitätsoffizier am Bundeswehrstandort Schwarzenborn, Allgemeinmediziner und Notarzt. Er spielt in der zweiten Mannschaft von Hönebach und half an diesem Mittwochabend bei der "Ersten" aus. Zum Glück.

"Ich muss Blut in dieses Hirn kriegen"

Gemeinsam mit Niederaulas Betreuer Sascha Klemenz reanimiert Brandenstein den jungen Fußballer. Fabian Budesheim kommt zur Hilfe, um zu unterstützen und zu beatmen. "Ich muss Blut in dieses Hirn kriegen. Sauerstoff ist das A und O", sagt Brandenstein im OSTHESSEN|NEWS-Gespräch. Minuten vergehen, vielen kommt es wie eine Ewigkeit vor. Doch Aufnahmen beweisen, dass der Rettungswagen innerhalb von gut fünf Minuten nach Absetzen des Notrufs vor Ort ist, der Notarzt folgt ein paar Minuten später. Zu diesem Zeitpunkt ist Julian wieder da.

"Julian holt plötzlich aus, will dem, der auf ihn drückt, eine reinhauen, da es ihm weh tut. Ich war so froh, ok, jetzt ist hier Entspannung", sagt Brandenstein. Mit Eintreffen des Rettungsdienstes läuft die Reanimation nach einem durchgetakteten Setting. Julian wird stabilisiert und auf die Intensivstation ins Klinikum Fulda gebracht. Noch am Abend kommt die frohe Kunde: Julian geht es den Umständen entsprechend besser.

"Ich wusste gar nicht, was los war"

Er selbst hat davon nichts mitbekommen: "Ich weiß noch, dass ich einen schnellen Einwurf zum Marcel Katzmann ausgeführt habe, das war wohl fünf Minuten vorher", sagt Suresch. Im Klinikum standen später seine Mutter, Freundin und sein Vater mit Tränen in den Augen vor ihm. "Ich wusste gar nicht, was los war. Meine Mutter hat mich am nächsten Morgen aufgeklärt. Das war natürlich hochemotional. Sie hat mir mein Handy gegeben, da waren bereits 40 Nachrichten drauf." Es folgten zahlreiche Arztgespräche, er wurde durch die Gänge geschoben, wurde überwacht. "Mir wurde mehrmals gesagt: Sie haben sehr großes Glück gehabt." Es war für ihn die totale Überforderung.

Inzwischen wurde ihm ein Defibrillator eingesetzt. Das war zunächst ein Schock: "Ich dachte, jetzt bist Du ein alter Mann und kannst kein Sport mehr machen. Der Christian Eriksen hat bestimmt ein tolles Gerät bekommen. Das kriege ich bestimmt nicht", sagt Suresch." Die Ärzte und das Umfeld nehmen ihm die Angst, er bekommt den gleichen Delfityp wie der dänische Fußballnationalspieler und es werde alles wie früher. Er könne auch wieder Fußballspielen, vielleicht ein bisschen besser, lacht auch Suresch. Er macht gerne mal einen Spruch, was ihm sicher auch hilft.

"Ich bin so unendlich dankbar"

"Nach der Operation ging es mir sehr bescheiden. Mittlerweile geht es mir von Minute zu Minute besser", sagt der Dual-Student für Maschinenbau. An den "Fremdkörper" muss er sich noch gewöhnen, die Klammern zwicken. Alles egal. "Ich bin so unendlich dankbar. Stefan Brandenstein, Sascha Klemenz, Fabian Wozniak und Fabian Budesheim sind sicher vier Namen, die man nennen muss. Da gehört sicher Mut dazu, das zu machen. Ich bin so dankbar, das ist nicht in Worte zu fassen", sagt Julian weiter.

Dankbar ist er auch über die vielen Nachrichten, die er in den vergangenen Tagen erhalten hat. "Es hilft mir, ich freue mich über all die Gespräche und die Anteilnahme." Gerade auch die Leute in seinem Alter wollen darüber reden und wissen, wie das ist. "Vielleicht kann ich da die Angst nehmen und darüber sprechen, weil ich jetzt wirklich acht Tage hinter mir habe, wo ich in Superhänden aufgehoben wurde und mir mental und körperlich super geholfen wurde", sagt Suresch. Ihn bewegt vor allem auch, was sein Umfeld mitmachen musste.

Mut machen, zu helfen: Julian ist ja das beste Beispiel

Was Julian und Stefan dazu bewegt, mit uns zu sprechen: Viele machen sich Gedanken, was, wenn mir das passiert oder wie kann ich richtig helfen und haben Angst, Fehler zu machen. Der einzige Fehler sei, nichts zu machen. Brandenstein erklärt: "Wenn er atmet, stabile Seitenlage herstellen. Wenn er nicht atmet, ihn umdrehen und die Herzdruckmassage beginnen, damit das Blut in den Kopf kommt, das ist das A und O. Beatmung ist in den ersten zwei, drei Minuten nicht kriegsentscheidend. Meine Arztausbildung hat mir in der Situation nur bedingt geholfen. Ich hatte ja nur meine Hände. Julian ist ja das beste Beispiel. So habe ich das ja auch nie erlebt, das war auch für mich eine absolute Ausnahmesituation, ein absolutes Wunder, dass er wach geworden ist". Normalerweise werden Ärzte zu einem Rettungseinsatz gerufen, hier war Brandenstein mit vor Ort, musste einen jungen Mitspieler reanimieren.

"Wir sind eine große Familie"

Auch für Sascha Klemenz war es selbstverständlich, zu helfen: "Meiner Meinung nach hätte das jeder andere auch gemacht. Durch meine Ausbildung bei der Feuerwehr als Sanitäter und ehrenamtlich beim DRK-Kreisverband macht mir das nichts aus. Ich wünsche Julian nur das Beste, dass er wieder auf die Beine kommt, wie er sich das wünscht und man sieht halt auch, dass Fußball in so einer Situation Nebensache ist, wir sind eine große Familie und das freut mich", sagt Klemenz, der sich gerade im Urlaub befindet.

"Ich war total begeistert, wie jeder funktioniert hat"

"Ich war total begeistert, wie jeder funktioniert hat, wie die Spieler beider Mannschaften einen Schutz gebildet haben, wie strukturiert das alles ablief, wie etwa die Zuschauer leise gebeten wurden, den Sportplatz zu verlassen. Das fand ich alles richtig gut", sagt Brandenstein.

Als Julian auf der Trage in den Rettungswagen transportiert wird, applaudieren alle Spieler und Betreuer der beiden Vereine nach endlosen Minuten der völligen Stille im Stadion Am Hattenberg.

Jetzt will Julian diesen medizinischen Notfall erstmal verarbeiten, auch mit extern angebotener Hilfe durch das Klinikum Fulda. Er spricht offen über seine Situation, will so auch aufmerksam machen und die Vereine zum Nachdenken anregen: Passt die Infrastruktur bei möglichen Notfällen? Julian ist dem Tod von der Schippe gesprungen und kann heute seine Liebsten in den Arm nehmen. Es ist ein guter, ein wunderbarer Tag in Hönebach. (Hans-Hubertus Braune) +++

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