Pflege steht vor vielen Herausforderungen
Zahl der Pflegebedürftigen steigt - aber Arbeitskräfte fehlen in vielen Bereichen
Fotos: Claudia Blum/Heike Bohl
12.12.2025 / REGION VB -
Das Thema einer Podiumsdiskussion von AWO und VdK und das Familienbündnis Vogelsberg am Freitagnachmittag in die Räume der Volkshochschule nach Alsfeld eingeladen hatten, hieß "Pflege braucht Zukunft".
AWO-Kreisvorsitzende Heike Bohl freute sich über das große Interesse an diesem wichtigen Thema und begrüßte neben den zahlreich erschienenen Bürgerinnen und Bürgern den Ersten Kreisbeigeordneten des Vogelsbergkreises Patrick Krug und den Kreisbeigeordneten und Seniorenbeauftragten des Vogelsbergkreises Kurt Wiegel. Ihr besonderer Gruß galt Dr. Oliver Lauxen vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur der Goethe-Universität Frankfurt/Main, der vor der Podiumsdiskussion die aktuelle Pflegearbeitsmarktlage im Vogelsbergkreis vorstellte und zukünftige Entwicklungen bis zum Jahr 2035 beleuchtete.
Auf dem Podium - moderiert von Claudia Blum und Sabrina Wiegand-Mischak, diskutierten anschließend Dr. Oliver Lauxen Monique Abel vom Pflegestützpunkt des Vogelsbergkreises, die Leiterin der Vogelsberger Akademie für Gesundheitsberufe Karen Heipel, die Einrichtungsleiterin des AWO-Sozialzentrums in Lauterbach, Silvia Motz-Sattler und Dr. Birgit Richtberg, Bürgermeisterin a.D. und Kreistagsabgeordnete und brachten als Pflegeexpertinnen aus unterschiedlichen Perspektiven - Beratung, Ausbildung, Organisation, Familie - Handlungsnotwendigkeiten auf den Punkt.
Projekt "Frauen im Fokus" erfolgreich
Die Podiumsdiskussion "Pflege braucht Zukunft" stand am Ende der viel beachteten Wanderausstellung Frauen im Fokus, einem Gemeinschaftsprojekt von AWO, VdK und Familienbündnis Vogelsberg, das aus dem Bundesprogramm Demokratie leben! gefördert und vielfältig unterstützt wurde. Seit Juni hat die Ausstellung in acht Vogelsbergkommunen Station gemacht und die Themen finanzielle und soziale Sicherheit für Frauen, keine häusliche Gewalt, gute Pflege und politische Teilhabe von Frauen behandelt.Dr. Lauxen stellte in seinem Impulsvortrag Daten zur aktuellen Pflegearbeitsmarktlage anschaulich dar. Dabei konnte er die brandaktuellen Ergebnisse des Hessischen Pflegemonitors 2025 präsentieren. Insgesamt gibt es im Vogelsbergkreis aktuell 9.213 Pflegebedürftige. Davon werden über 85 Prozent zu Hause gepflegt. Nur 14,5 Prozent der zu Pflegenden werden vollstationär versorgt. Ein Blick auf die Arbeitsmarktlage, zugrunde liegen die Salden aus dem Vorjahr, zeigt bereits jetzt einen deutlichen Mangel an Pflegefachkräften (-116) und Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfern (-27). Der Bedarf an Pflegefachkräften in Einrichtungen der Altenhilfe wird in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Die Zahl der Pflegebedürftigen (über 60 Jahre) in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen im Vogelsbergkreis wird von 3.270 in 2023 auf 4.347 Personen anwachsen. Das bedeutet einen Erweiterungs- und Ersatzbedarf in Relation zum Beschäftigtenstand von 71 Prozent.
Es bleibt zu wenig Zeit für die zu pflegenden Menschen
Auf die an den Vortrag anknüpfende Frage von Moderatorin Sabrina Wiegand-Mischak, wie denn der Pflegeberuf attraktiver dargestellt werden könne und was junge Menschen inspiriere, einen Pflegeberuf zu ergreifen, antwortete Karen Heipel, dass Pflege ein toller Beruf sei, krisensicher und systemrelevant. Sie beklagte, dass das Berufsbild auf social media-Plattformen allzu oft negativ dargestellt werde. Sie plädiert dafür, junge Menschen viel früher an die PflegeIm Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass der Druck in der Pflege groß ist. Es bleibt zu wenig Zeit für die zu pflegenden Menschen. Pflege im Laufschritt bremst die Pflegekräfte aus und nimmt ihnen die Freude am Beruf. Deswegen nahm auch die Frage, wie die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden können, einigen Raum in der Diskussion ein. Motz-Sattler plädierte für strukturelle Veränderungen. Sie sieht in der Digitalisierung, wie zum Beispiel durch KI-gestützte Dokumentation, eine Chance, mehr Zeit für die Pflege zu gewinnen. Die Arbeitszufriedenheit hänge nicht nur vom Lohn ab, erklärt sie. Verlässliche Dienstpläne seien vielen Mitarbeitenden lieber als eine Gehaltserhöhung.
"Man kann länger zu Hause leben, wenn mach sich unterstützen lässt"
"Pflege ist nicht nur Frauensache", meinte Conny Hentz-Döring aus dem Publikum. Sie wünscht sich einen Gedankenwandel und fordert mehr Männer in die Pflege. Wenn mehr Männer in der Pflege arbeiten würden, würde auch die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung des Berufsbildes steigen. Die Stärkung der Angehörigenpflege und der Wunsch vieler älterer Menschen, nicht in einer Senioreneinrichtung, sondern dauerhaft im vertrauten Zuhause zu leben, waren weitere Aspekte in der lebhaften Diskussion."Man kann länger zu Hause leben, wenn mach sich unterstützen lässt", stellte Dr. Birgit Richtberg fest und rät den Seniorinnen und Senioren, Hilfe rechtzeitig zuzulassen. Sich frühzeitig mit dem Älterwerden und einem wachsenden Hilfe- und Unterstützungsbedarf auseinanderzusetzen, helfe später, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das bekräftigt auch Monique Abel vom Pflegestützpunkt des Vogelsbergkreises und wies auf die Beratungsangebote des Pflegestützpunktes hin. Sie warb dafür, frühzeitig Beratung in Anspruch zu nehmen, um selbstbestimmt handeln zu können.
In diesem Zusammenhang plädierten alle Expertinnen und der Experte für eine Stärkung der Prävention im Alter und den Ausbau ehrenamtlicher und nachbarschaftlicher Strukturen. Die Abschlussfrage von Moderatorin Claudia Blum, was gute Pflege ausmache und wie die Pflege der Zukunft aussehen sollte, beantwortete die Podiumsrunde auf vielfältige Weise. Einig war man sich darin, dass Würde und Respekt im Mittelpunkt stehen müssen. Zudem brauche es weniger Reglementierung, um mehr Flexibilität, einen sinnvollen Mix an Leistungen und eine stärker individualisierte Pflege im Interesse sowohl der Pflegebedürftigen als auch der Pflegekräfte zu ermöglichen. (mis/pm) +++