Hinkels (erstmal) letzte Botschaft
Vom Überraschungs-Intendanten zum Herzstück: "Ich gehe als anderer Mensch"
Foto: Andre Söllner
18.08.2025 / BAD HERSFELD -
Nach Jahren voller künstlerischer Höhepunkte, mutiger Entscheidungen und einem unerschütterlichen Glauben an die Kraft des Teams verabschiedet sich Joern Hinkel von den Bad Hersfelder Festspielen. Der Intendant, der unverhofft aus der zweiten Reihe an die Spitze rückte, prägte die Festspiele nicht nur durch seine Handschrift, sondern auch durch seine Haltung: Theater entsteht nie allein.
Im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS blickt Hinkel auf eine bewegte Zeit zurück – und auf die "gute alte tausendjährige Freundin", die Stiftsruine, die für ihn weit mehr war als nur eine Bühne.
Geteiltes Rampenlicht strahlt doppelt so hell
"Es war eine aufwühlende und unruhige Zeit, die auch mit den schwierigen Verhältnissen zu tun hatte, unter denen mein Vorgänger seine Intendanz beendet hat", erinnert sich Hinkel. 17 Jahre lang hatte er zuvor mit Dieter Wedel zusammengearbeitet, viele Inszenierungen begleitet und dabei vor allem aus der zweiten Reihe agiert. Plötzlich rückte Hinkel selbst an die Spitze - in genau jenes Rampenlicht, dessen Strahlkraft noch heute keine Schatten auf seine Kollegen wirft, sondern bewusst das ganze Team sichtbar macht. Hinkel war nicht mehr nur Regisseur eines Stücks, sondern künstlerischer und organisatorischer Leiter eines der größten Freilichttheaterfestivals Europas.Die plötzliche Verantwortung war ein Einschnitt, der ihn zwang, sich grundlegende Fragen zu stellen: "Wie mache ich weiter? Werfe ich alles über Bord? Mache ich alles neu?" In dieser Phase habe er bewusst innegehalten, um nicht überhastet zu handeln. "Ich habe sehr viel nachgedacht und sehr viele Gespräche geführt – mit Kollegen, Freunden, Wegbegleitern, aber auch mit Menschen, die von außen auf die Festspiele schauen."
Intendant sein heißt Teamgeist leben
Für Hinkel stand schnell fest, dass er nicht der Alleinentscheider sein wollte. Er suchte den Rat seines Teams, bezog unterschiedliche Blickwinkel ein und erkannte, dass kollektives Arbeiten nicht nur Entlastung bringt, sondern auch die Qualität der Produktionen steigert. "Intendant sein kann man nicht allein. Man ist Intendant in einem Team", betont er. Dieses Miteinander wurde für ihn zum zentralen Prinzip seiner Arbeit – ein Leitgedanke, der ihn in den folgenden Jahren prägte.Dieses Teamverständnis zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit. "Ich behalte mir vor, die Entscheidungen zu treffen. Aber ich höre mir die Meinungen und Ideen von anderen an. Wenn ich alles allein machen will, dann könnte ich ein Buch schreiben. Ich fände es langweilig." Theater sei für ihn kein Abarbeiten, sondern ein gemeinsames Erschaffen.
Die tausendjährige Freundin
Ein besonderer Ort seiner Intendanz war und bleibt die Stiftsruine. "Es ist ein sehr wandelbarer Ort. Sie ist den Jahreszeiten ausgesetzt, dem Licht, dem Wetter. Sie ist sehr offen und geschlossen in gleicher Weise. Man kann darin Theater machen, Gottesdienste feiern, man kann sich darin aufhalten. Sie ist wie eine gute alte tausendjährige Freundin, die da schon ewig sitzt, sehr viel Geduld hat und sehr gut zuhlren kann. Sie ist größer als der einzelne Mensch."Für Hinkel ist die Ruine nicht nur Kulisse, sondern ein lebendiger Mitspieler. Sie atmet Geschichte, trägt die Spuren unzähliger Aufführungen, Feste und Begegnungen in sich. Mal wirkt sie streng und monumental, dann wieder einladend und warm – je nachdem, wie das Licht fällt oder der Wind durch die Bögen zieht. Ihre Mauern scheinen jedes Wort, jede Musiknote aufzunehmen und zurückzugeben, oft mit einer Tiefe, die im Zuschauer unbewusst etwas in Schwingung versetzt. Hinkel beschreibt sie als einen Ort, der den Menschen Demut lehrt: Wer hier arbeitet, spürt, dass er Teil von etwas ist, das weit über die eigene Lebensspanne hinausgeht.
Unverhofft Intendant – und als anderer Mensch zurück
Die größte persönliche Veränderung kam für Hinkel, als er unverhofft die Leitung übernahm. "Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, mich als Intendant zu bewerben." Die Entscheidung fiel damals nicht aus einem lang gehegten Plan, sondern aus einer Mischung aus Verantwortung, Gelegenheit und der Erkenntnis, dass es manchmal keine perfekte Vorbereitung gibt.Hinkels künstlerische Handschrift
Seine künstlerische Handschrift ist geprägt von Vielfalt und Emotion. "Mir ist die Emotion wichtiger als der Intellekt. Mich interessieren Geschichten, in denen Menschen gezeigt werden, deren Handlungsweisen mir Hoffnung machen." Dabei unterscheidet er nicht nach klassisch oder modern: "Jedes Stück will anders erzählt werden." Besonders riskant waren für ihn Produktionen wie "Peer Gynt" oder "König Lear" – Entscheidungen, die er jederzeit wieder treffen würde. Was Hinkel nicht vermissen wird
Auch wenn er die starke Bedeutung der Festspiele für die Region betont, sieht er Herausforderungen: "Bei manchem, mit dem ich zu tun hatte, habe ich die Mentalität des Blockierens und des Zögerns erlebt. Eine starke Rückwärtsgewandtheit – das ist für Kunstbetreibende sehr schwierig." Er hat gelernt, damit umzugehen, und doch weiß er, dass es für künstlerische Arbeit wichtig ist, mutig nach vorn zu denken und nicht ständig auf die Vergangenheit zu schauen.Trotzdem überwiegen für ihn die positiven Erinnerungen. Er wird die besondere Atmosphäre der Stiftsruine vermissen, die intensiven Probenwochen, in denen aus ersten Ideen ein fertiges Bühnenbild und lebendige Szenen wurden, und die Abende, an denen Publikum und Ensemble spürbar gemeinsam in den Bann einer Inszenierung gerieten. Auch die enge Zusammenarbeit mit seinem Team, das in all den Jahren zu einer Art zweiter Familie geworden ist, wird ihm fehlen – ebenso wie die kleinen Momente hinter den Kulissen, wenn Anspannung in Gelächter umschlägt oder eine spontane Lösung den Abend rettet.
Hinkels letzte Botschaft
Seine Grundüberzeugung bleibt dabei unerschütterlich: "Ich mache Theater, weil mich interessiert, dass man gemeinsam etwas bewegen kann. Ich glaube an die Kraft der Gedanken und daran, dass, wenn viele Menschen an etwas arbeiten, sie auch gemeinsam eine große Kraft entwickeln können." Für ihn ist Theater nicht nur ein Beruf, sondern ein gesellschaftlicher Motor, der Menschen verbindet, inspiriert und manchmal sogar verändert. Auch wenn er nun weiterzieht, wird diese Überzeugung ein fester Teil seiner Arbeit und seines Lebens bleiben.Hinkel hatte diese besondere Art, die Menschen um sich herum mitzunehmen, sie einzubinden und zu motivieren. Wer ihm begegnete, konnte nicht anders, als zu lächeln: Sein Humor, seine sympathische Art und seine spürbare Freude am gemeinsamen Schaffen hinterließen sofort ein warmes Gefühl. Sein Satz "Ich gehe als ein anderer Mensch" beschreibt nicht nur seine persönliche Entwicklung, sondern auch die Energie, die er in das gemeinsame Wir investierte. Bad Hersfeld wird diesen ansteckenden Geist und das strahlende Lächeln von Hinkel sehr vermissen. (Constantin von Butler) +++