Große Begeisterung
Auf Schloss Fasanerie: Musikalische Zeitreise ins 18. Jahrhundert
Fotos: Erik Spiegel
10.08.2025 / EICHENZELL -
Dass Geschichte mehr ist als Jahreszahlen und nicht nur in Schulbüchern stattfindet, dürfte den meisten von uns bewusst sein. Wie lebendig und packend man sie erlebbar machen kann, konnten Besucher am Zeitreise-Samstag und im Konzert des Ensembles Artichaut auf Schloss Fasanerie (Eichenzell im Landkreis Fulda) erleben.
Back to the Vergangenheit
Schloss Fasanerie nämlich ermöglichte an diesem Wochenende zum 25. Mal eine Zeitreise. Es ging ins 18. Jahrhundert, in die Epoche des Rokoko (1740-1789). Rokoko in Europa, während gleichzeitig in Amerika der Unabhängigkeitskrieg tobte, in dem auch hessische Soldaten im Einsatz waren.Ensemble Artichaut
Das Ensemble Artichaut mit Katharina Hardegen (Violine) und Christine Vogel (Viola da Gamba) wurde von Julia Huber (Blockflöte) und Domkapellmeister Franz Huber (Cembalo) und der jungen Sopranistin Franziska Blömer unterstützt, die ein ‚Gewächs‘ der Fuldaer Kirchenmusik ist. Nehmen wir das gleich vorweg: Musikern dieser Klasse zuhören zu dürfen, ist ein Geschenk. Der Abend war ein Genuss. In kluger Regie wechselten Stücke aus Georg Friedrich Händels "Neun Deutschen Arien" mit Instrumentalwerken von Händel, Telemann und Abel ab, die den Charakter und die Klangsprache von Blockflöte, Violine und Viola da Gamba zeigten. Gambengold
Carl Friedrich Abel (1727-1787) gilt als letzter großer Virtuose dieses Instruments. Sein Vater wirkte in Bachs Hofkapelle in Köthen mit, Bach selbst empfahl den jungen Abel an Johann Adolph Hasse nach Dresden. Abels weiterer Weg führte nach London – und dort besuchten ihn u.a. Johann Christian Bach (der ‚englische‘ Bach), der zu einem engen Freund wurde, und der achtjährige Wolfgang Amadeus Mozart, der Abels Kompositionslehre studierte. Mit Abels Tod aber verschwand die Gambe, zunächst solistisch, dann auch aus den Orchestern. Es dauerte bis ins 20. Jahrhundert mit dessen aufkeimendem Interesse an sog. ‚alter‘ Musik, bis auch die Gambe wiederentdeckt wurde. Christine Vogel – die das Instrument linkshändig spielt – zeigte uns, welch butterweichen und warmen Klang dieses Instrument hat. Flötentöne
Mussten Sie als Kind Blockflöte lernen? Mochten Sie das? Nein? Schade. Das umso mehr, weil in Fulda mit Mollenhauer einer der großen Blockflötenbauer zuhause ist! In diesem Konzert konnte man die Blockflöte wieder ins Herz schließen, denn Julia Huber zeigte nicht nur in Händels Sonate in d-Moll für Blockflöte, was für ein hinreißendes Instrument sie ist. Ungewöhnlicherweise ist der Kopfsatz der Sonate ein langsames Largo, dem dann Vivace, Andante und abschließend ein Furioso folgen. Dem Zauber dieser Musik erlagen wir alle gern. In Georg Friedrich Telemanns (1681-1767) Trio in a-Moll glänzten Flöte und Violine um die Wette mit den solistischen Parts, während Cembalo und Gambe begleiteten. Very british
Auch im 18. Jahrhundert gab es Komponistinnen. Eine von ihnen war Elizabeth Turner (ca. 1700-1756), die auch eine sehr erfolgreiche Sängerin war. Viel wissen wir nicht über sie – ein Schicksal, das sie mit vielen Frauen vergangener Jahrhunderte teilt. Nur ihre "Collections of Songs" sind überliefert. Daraus sang Franziska Blömer zwei Liebeslieder, "Thyrsis" und "Phillis", die einen guten Eindruck davon vermittelten, warum auch ein Händel zu den Abonnenten der Turner‘schen Liedsammlung gehörte.Händels Deutsche Arien
Im Mittelpunkt des Abends aber standen Georg Friedrich Händels "Neun Deutsche Arien" (HWV 202-210) nach Texten von Barthold Heinrich Brockes. Der Hamburger Kaufmannssohn Brockes (1680-1747), der später Ratsherr und Senator wurde, war einer der bedeutendsten Vertreter der Naturlyrik. Seide Gedichtsammlung "Irdisches Vergnügen in Gott" umfasst 5.500 Seiten! Der Mensch betrachtet in diesen Texten die Schöpfung analytisch und zeigt so, wie sehr er sie schätzt. Zugrunde liegt ein teleologischer Gottesbeweis – Gott wird durch die Vernunft bewiesen. Diese Verbindung aus Aufgeklärtheit mit naiver Frömmigkeit ist sehr reizvoll.Die Arien sind empfindsame, zärtliche Stücke, die mal fröhlich, mal kontemplativ sind – vertonte Meditationen, wenn Sie so wollen. Die Schönheit der Natur ist Ausdruck von Gottes vollkommener Schöpfung. Vier dieser Arien trug Franziska Blömer vor. Ihr lyrischer Sopran war genau richtig für diese wunderbaren Arien. Sie kommen ganz ohne Koloraturen aus, sodass der Text besonders im Vordergrund steht. Händels Musik setzt Brockes Texte anschaulich um, verfällt aber nie in Lautmalerei.