Vielfalt gegen Antisemitismus

Jüdische Kulturtage in Fulda: Eine Bereicherung unseres Lebens und Alltags

Das Team der Jüdischen Kulturtage mit Jugendlichen aus dem Austausch Petach Tikwa/Fulda
Alle Fotos: © Jutta Hamberger,

10.07.2025 / FULDA - Wenn wir an Judentum denken, kommen uns in der Regel zunächst der Holocaust, das "Nie wieder!" der Erinnerungskultur oder der aktuelle Nahost-Konflikt in den Sinn. Alles richtig und wichtig, und doch greift es viel zu kurz. Ein mindestens ebenso wichtiger Aspekt ist es, jüdisches Leben und jüdische Kultur in ihrer ganzen Vielfalt zu feiern.



Vielfalt gegen Antisemitismus

Aus diesem Geist heraus entstanden die Jüdischen Kulturtage Fulda 2025 als Kooperationsprojekt, an dem die Stadt Fulda, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ und die Jüdische Gemeinde Fulda beteiligt sind. "Ohne Judentum wäre Fulda nicht Fulda", ist Wolfgang Link, der Schatzmeister der GCJZ, überzeugt. "Die Jüdischen Kulturtage sind notwendig, weil alter Antisemitismus im neuen Gewand auf deutschen Straßen wieder präsent ist. Deshalb müssen wir jüdisches Leben, jüdische Kultur sichtbar machen." So sieht es auch Bella Gusman aus dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde: "In dieser anstrengenden Zeit ist es wichtig und vielleicht auch notwendig, einen Einblick in die vielfältige jüdische Kultur und Kunst zu geben, unsere Werte zu teilen und neue Freunde zu gewinnen."

"Das war keine einmalige Sache. Wir werden die Jüdischen Kulturtage verstetigen, und dabei sind auch weitere Kooperationspartner durchaus vorstellbar", sagt Kulturamtsleiter und Stadtarchivar Dr. Thomas Heiler. "Im Herbst setzen wir uns zusammen und tauschen uns aus. Dabei wird es um den Programm-Mix gehen, den Zeitpunkt und die Dauer der Kulturtage, Verbesserungsvorschläge und ja, sicherlich auch um mögliche weitere Partner."

Stark und berührend

"Es war eine aufregende und intensive Woche, voller unvergesslicher Erlebnisse und Eindrücke", freut sich Bella Gusman. "Ich möchte das noch lange in Erinnerung behalten! Es war so ein abwechslungsreiches und spannendes Programm." Jutta Hamberger aus dem Vorstand der GCJZ war hin und weg von Powerfrau Sharon Brauner und ihrem bewegenden, lustigen und melancholischen ‚Jiddish Soulfood‘ und von Lena Goreliks Lesung aus ‚Wer wir sind‘. "Ich habe selten ein feinsinnigeres Buch über das ‚wir‘ und das ‚ihr’ gelesen, vor allem, weil Lena Gorelik die gemeinsame und die fremde Sprache dafür als Ausgangspunkt wählt." Ihre Vorstandskollegin Marliese Heiligenthal ergänzt: "Lena Gorelik hat uns dicht in ihr Leben eintreten lassen, das hat nicht nur mich tief bewegt."

Anja Listmann, Fuldas Beauftragte für Jüdisches Leben, begeisterte sich besonders für die israelischen Rockband Interia, die im Museumskeller auftrat und dort die Wände zum Wackeln brachte. "Die Jungs sind so gut, die werden durchstarten. Und wir können sagen, wir waren ganz am Anfang ihrer Karriere dabei!", freut sie sich.

Glanzvoll und nachdenklich

Besonders bewegt hat Marliese Heiligenthal auch das Konzert der Musikschule: "Dass sich Nichtjuden für jüdische Musik und jüdische Komponisten begeistern, hat vor allem die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde fast zu Tränen gerührt und tief ergriffen. In diesem Konzert steckte eine große pädagogische Komponente, die Antisemitismus mehr entgegenwirkt als alle hochgeistigen Reden und anspruchsvollen Unterrichtsmaterialien."

Die Leistungen der jungen Musikerinnen und Musiker waren herausragend. Bei aller Freude über die wunderbare Musik von Klassik bis Hollywood zog sich doch ein roter Faden durch das Konzert: Jüdisches Leben unterlag und unterliegt großen Herausforderungen. Das verdeutlichen Stichworte aus den Lebensgeschichten der Komponisten: Bei antisemitischen Ausschreitungen während der Mantuanischen Erbfolgekriege verschollen. Im Warschauer Ghetto erschossen. Vater und Bruder deportiert und ermordet. Gesamtwerk als 'jüdisch verweichlicht' abqualifiziert. Floh vor den Nationalsozialisten aus Frankreich. Natalya Oldenburgs einfühlsame Moderation setzte starke und nachdenkliche Akzente, die niemanden unberührt ließen.

Im Miteinander liegt die Zukunft

Für Miteinander und Zusammen stand der Abend, in dem es um den Austausch zwischen Petach Tikwa und Fulda ging. In diesem Jahr waren Schüler:innen aus Petach Tikwa in Fulda zu Gast. Vier Jugendliche erzählten von ihren Erfahrungen: Florentine, Laura und Samuel aus Fulda, Amid aus Petach Tikwa (via Zoom dazugeschaltet). Anja Listmann moderierte die Veranstaltung und erzählte über diese Tage der Begegnung. "Eigentlich war dieser Abend so etwas wie der krönende Abschluss, weil er sich auf die Gegenwart bezog", findet Marliese Heiligenthal. "Das ‚Nie wieder!‘ kann nur dann wachsen, wenn wir jetzt und gegenwärtig ganz normal miteinander umgehen. Wir müssen uns als Menschen begegnen."

Genau das taten die Jugendlichen in fünf intensiven Tagen. Die Jüdische Gemeinde war dabei ihr ‚Safe Haven‘. Hier konnten sie miteinander reden und spielen, gemeinsam essen, persönliche Geschichten teilen und sogar Holocaust-Überlebende treffen.

Die Verbundenheit von Petach Tikwa und Fulda reicht übrigens gut 100 Jahre zurück. In den 1920er Jahren nämlich wanderten junge Jüdinnen und Juden aus Rodges nach Palästina aus. In Rodges gab es eine Ausbildungsstätte, die sie auf das Leben in Palästina vorbereitete. Von hier brach auch Merav Margolins Großvater einst nach Palästina auf – und in diesem Jahr begleitete Merav die israelischen Jugendlichen auf ihrer Reise nach Fulda. "Viele Israelis können mit Rodges etwas anfangen, aber nicht mit Fulda", erzählt Anja Listmann. "Sie sind immer ganz erstaunt, wenn man ihnen sagt, dass Rodges ein Ortsteil von Fulda ist." Der ursprünglich gegründete Kibbuz Rodges heißt heute Yavne und hütet ein riesiges Archiv von Dokumenten aus Rodges – Urkunden, Briefe, Tagebücher. Ein Schatz, so Dr. Thomas Heiler, dessen Augen glänzten, als er davon berichtete, dass diese Dokumente gerade digitalisiert werden.

Erkenntnisse

Die Menschen, die sich für jüdisches Leben und Kultur interessieren, haben die Jüdischen Kulturtage erreicht. Aber: "Unsere Botschaften müssen in die Mitte der Gesellschaft. Wir versuchen, dies durch Kooperationen, Netzwerken und auch durch dieses Veranstaltungsformat zu verstärken", so Jutta Hamberger. "Das halte ich auch deshalb für so wichtig, weil die GCJZ für den lebendigen, respektvollen und gleichberechtigten Austausch steht – alles Anliegen, denen zunehmend von rechts Gefahr droht. Unsere Verantwortung kommt aus der deutschen Vergangenheit, aber unsere Aufgabe liegt im Jetzt und Hier." Deshalb ist die Unterstützung der Stadt Fulda so zentral, die Dr. Heiler einmal mehr bestätigte: "Jüdische Kulturtage waren vielleicht noch nie so wichtig wie heute. Deshalb werden wir das auf jeden Fall fortführen." (pm)+++

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