Exlusiver Einblick vom Kinderschutzbund
Was Ehrenamtliche am Kinder- und Jugendtelefon wirklich erleben
Symbolbild: pexels / Ron Lach
28.06.2025 / FULDA -
Von Mobbing bis Sucht: Ursprünglich wurde die "Nummer gegen Kummer" vor 45 Jahren als anonymes Beratungs-Telefon für Zeugnisstress eingerichtet. Heute geht es vor allem darum, junge Menschen und ihre Eltern bei Sorgen aller Art zu unterstützen. Eine ehrenamtliche Telefonberaterin des Kinderschutzbundes Fulda hat mit OSTHESSEN|NEWS über die Arbeit am Kinder- und Jugendtelefon gesprochen.
Da es sich um ein sensibles Thema handelt, wurden die Fragen anonym über den Kinderschutzbund des Kreis- und Ortsverbandes Fulda beantwortet. Entsprechend werden keine persönlichen Daten der ehrenamtlichen Mitarbeiterin sowie der Gesprächsteilnehmer genannt.
Was bewegt Menschen dazu, ehrenamtlich am Kinder- und Jugendtelefon zu beraten?
Für die ehrenamtliche Telefonberaterin Anita (Name von der Redaktion ausgedacht) war es der Wunsch nach einer neuen, sinnstiftenden Aufgabe. Nachdem ihre Kinder ausgezogen und die Pflege der Eltern abgeschlossen war, wollte sie "etwas für die Allgemeinheit tun". Der Kontakt zu Kindern war ihr durch ihren Beruf bereits vertraut – das Kinder- und Jugendtelefon schien daher genau der richtige Ort. Über eine Zeitungsanzeige wurde sie auf das Angebot aufmerksam, woraufhin sie einen Informationsabend besuchte.
Umfassende Ausbildung für schwierige Gespräche
Die Ausbildung zur Telefonberaterin sei intensiv und breit gefächert. Themen wie Gesprächsführung, Psychologie, kindliche Entwicklung, Sexualität, Mobbing und auch Suizid gehören in der Ausbildungszeit von 77 Stunden dazu. Besonders hilfreich seien dabei die Praxisübungen und die Supervision. "Es gibt die Möglichkeit der Supervision, die angeboten wird und auch als Ehrenamtliche verpflichtend ist. Sie dient dazu, die Gespräche aufzuarbeiten und sich mit anderen Ehrenamtlichen auszutauschen. Dabei werden die Gespräche analysiert und Tipps gegeben, wie man das nächste Mal mit so einer Situation umgehen kann", erklärt Anita.Die Themen, mit denen sich Kinder, Jugendliche oder Eltern melden, seien äußerst vielfältig und sehr individuell: psychische Probleme, Liebeskummer, Konflikte in der Familie oder schulischer Druck. Auch Erwachsene rufen mit Erziehungsfragen, eigenen Belastungen oder Konflikten mit Behörden an. Trotz dieser Bandbreite folgt jedes Gespräch einer Struktur: "Zuerst muss das Anliegen herausgearbeitet werden, oft versteckt es sich hinter anderen Themen. Ziel ist immer Hilfe zur Selbsthilfe", erklärt die Ehrenamtliche. Allerdings handele es sich um ein niedrigschwelliges Angebot, deshalb könne man meistens nicht in die Tiefe gehen. Häufig hilft das Gespräch den Anrufern allein schon, sich Klarheit zu verschaffen. "Es muss ein Abschluss gefunden werden, mit dem die Person umgehen kann", heißt es weiter.
"Sie war dabei, ein Kind zu bekommen"
Ein Anruf sei Anita besonders im Gedächtnis geblieben: Ein Mädchen, angeblich 15 Jahre alt, rief unter der Behauptung an, gerade ein Kind zu bekommen. Das Gespräch ging über eine Stunde, mehrfach riet sie der Person am anderen Ende der Leitung dazu, sich Hilfe zu holen. Erst im Nachhinein sei klar geworden, dass es sich um eine ältere Frau mit traumatischen Erfahrungen handelte, die solche Anrufe schon öfters getätigt habe. "Es war sehr authentisch, ich war danach ziemlich erschöpft", berichtet sie. In der anschließenden Supervision und im Austauschforum für Berater habe man die Gesprächssituation schließlich aufgearbeitet. Zwischen Anonymität und Hilflosigkeit
Zu den größten Herausforderungen zähle für die Ehrenamtliche die Unvorhersehbarkeit jedes Anrufs. "Man weiß nie, was einen erwartet: ein suizidaler Anruf, ein Scherz, ein Hilferuf." Besonders belastend sei es, wenn man zwar den Verdacht auf Kindesmissbrauch habe, aber aufgrund der Anonymität nicht eingreifen könne.Gerade in einer Zeit, in der vieles über Social Media öffentlich läuft, schätzen viele jedoch die Anonymität des Angebots. "Einige haben keine Freunde oder zeigen sich nur oberflächlich. Am Telefon trauen sich viele zu öffnen." Das Angebot sei deshalb unverzichtbar – auch, weil es kostenlos und jederzeit erreichbar ist. Menschen, die über ein Ehrenamt nachdenken, ermutigt Anita klar. Nicht nur von den Anrufenden, sondern auch für das eigene Leben sei die Erfahrung bereichernd.
Foto: O|N Archiv / Maria Franco
Foto: O|N Archiv / Julia Schuchardt