Ringvorlesung

NATO-Beitritt 1955: Schutz für und vor Deutschland

Im Bild von links: Gunter Geiger (Direktor Katholische Akademie, Jana Nathalie Burg (Hessischen Landeszentrale für politische Bildung) und Philipp Gassert
Fotos: Katholische Akademie

14.05.2025 / FULDA - Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Europa gespalten – nicht nur geografisch in Ost und West, sondern auch politisch und ideologisch. In der zweiten Veranstaltung der Ringvorlesung "80 Jahre Kriegsende", die am 13. Mai in der Katholischen Akademie Fulda stattfand, rückte das Jahr 1955 in den Fokus: das Jahr des NATO-Beitritts der Bundesrepublik Deutschland.



"Der Zeitstrahl geht weiter", eröffnete Akademiedirektor Gunter Geiger die Veranstaltung und erinnerte an den Ausgangspunkt der Reihe – den 8. Mai 1945. In Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung widmet sich die Akademie in mehreren Veranstaltungen den politischen und gesellschaftlichen Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs.

Der Mannheimer Historiker Professor Philipp Gassert rückte in seinem Vortrag den 9. Mai 1955 ins Zentrum. An diesem Tag wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der NATO – ein Schritt von historischer Tragweite. Vorausgegangen war die vertraglich besiegelte Souveränität Westdeutschlands durch die Pariser Verträge. Der NATO-Beitritt war nicht nur ein Schutz vor der Bedrohung durch die Sowjetunion, sondern auch ein Schutz vor Deutschland selbst. "Noch eine Dekade nach dem Krieg galt Deutschland vielen westlichen Nachbarn – etwa in Frankreich oder den Niederlanden – als potenzielle Gefahr", so Gassert.

Ein zentrales Thema seines Vortrags war der Wandel der amerikanischen Außenpolitik nach 1945. Während sich die USA in der Zwischenkriegszeit weitgehend aus internationalen Konflikten herausgehalten hatten, markierte die sowjetische Expansion eine Zäsur. Im Kampf gegen den Kommunismus übernahmen die Vereinigten Staaten zunehmend die Rolle der globalen Schutzmacht. Dies veranschaulichte Gassert mit einem zeitgenössischen Cartoon, in dem "Onkel Sam" als Atlas die Weltkugel trägt – unter den ängstlichen Blicken westlicher Nationalfiguren und im Schatten "Onkel Joes", also Josef Stalins.

Der NATO-Beitritt bedeutete für die Bundesrepublik zugleich den Beginn der Wiederbewaffnung und die Gründung der Bundeswehr – ein politisch hochumstrittenes Thema. Viele Menschen fühlten sich dem pazifistischen Motto "Nie wieder Krieg" verpflichtet. Der katholische Publizist Walter Dirks warnte bereits 1950: "Wir sind dabei, den Frieden zu verlieren." Bei Protesten gegen die Wiederbewaffnung in den frühen 1950er Jahren kam es zu dramatischen Szenen – darunter der tödliche Schuss auf den 21-jährigen Katholiken und Kommunisten Philipp Müller im Mai 1952 durch die Polizei.

Auch die Frage der deutschen Einheit durchzog die 1950er Jahre. Während die DDR zunehmend unter dem Druck von Fluchtbewegungen stand, träumte Stalin noch von einem Gesamtdeutschland unter sowjetischer Führung. Mit dem Mauerbau 1961 besiegelte die SED endgültig das Scheitern dieser Hoffnung. Die Teilung Europas in zwei Militärblöcke wurde fortan als Realität akzeptiert – auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs.

Weitere Termine der Ringvorlesung: 3. Juni 2025; 10. Juni 2025, 24. Juni 2025, Ort: Katholische Akademie Fulda | Beginn jeweils 19:00 Uhr. (pm/hhb) +++

Professor Philipp Gassert (links) mit Akademiedirektor Gunter Geiger

Professor Philipp Gassert

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