Pumas, Silberrücken und Ameisen
Der "King of Photography": Ingo Arndt bringt die Wildnis ins Wohnzimmer
Naturfotograf Ingo Anrdt: Mit 13 Jahren bekam er seine erste gebrauchte Kamera von seinem Vater - heute gehören seine Bilder zur Weltspitze der Naturfotografie.
Fotos: Carina Jirsch
19.05.2025 / REGION MKK -
Ob jagende Pumas in Südamerika, das geheime Leben der Honigbienen im deutschen Wald oder tanzende Blutbrustpaviane auf 3.000 Metern Höhe in Äthiopien: Seine Aufnahmen erscheinen regelmäßig in renommierten Magazinen wie National Geographic, GEO, Terra Mater oder BBC Wildlife. Und auch vor bewegten Bildern macht er nicht halt. Für Plattformen wie Netflix realisiert Ingo Arndt einzigartige Dokumentationen über Tiere und ihre Lebensräume. Arndt ist einer der weltweit gefragtesten Naturfotografen und reist seit über 30 Jahren um die Welt, um Tierverhalten festzuhalten, welches den meisten verborgen bleibt.
Geboren in Frankfurt und aufgewachsen im Rhein-Main-Gebiet, ist er seit ungefähr vier Jahren im Main-Kinzig-Kreis zu Hause. Im Plausch mit OSTHESSEN|NEWS erzählt der 56-Jährige von seiner Passion und warum ihn die Wildnis bis heute nicht mehr loslässt.
Was mit Streifzügen durch die Natur und der Begeisterung seines Vaters – einem passionierten Hobby-Ornithologen – begann, wurde zur Lebensaufgabe. Nach dem Schulabschluss und dem Zivildienst entschloss sich Arndt, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Mit seinem Durchbruch – einer GEO-Geschichte über Chamäleons im Jahr 1999 – begann eine Karriere, die ihn in die entlegensten Winkel der Erde führen sollte.
Von Patagonien bis in die Tropen – Arndts Kamera kennt keine Grenzen
Manche Tiere werden dabei für ihn auf ewig in Erinnerung bleiben. "2019 hatte ich für National Geographic zwei Puma-Weibchen über eineinhalb Jahre begleitet. Ich durfte sehen, wie sie ihre Jungen aufzogen. Als dann langsam klar wurde, dass ich wieder abreisen muss, war das schon emotional." Arndt war einer der Ersten, der die Tiere im Winter fotografierte. "Die Tiere hatten sich an mich gewöhnt und kamen manchmal bis auf 15 Meter an mich ran. Das war schon ein echtes Privileg", erinnert er sich an seine Zeit in Südamerika.
Doch auch Primaten sind ihm ans Herz gewachsen - besonders die Berggorillas auf den Virunga-Vulkanen Ruandas. "Einem Silberrücken nah zu kommen, ist etwas, was man nicht so schnell vergisst. Die Tiere sind erstaunlich friedlich - da herrscht selten Aufregung." In all den Jahren hat er noch keinen Angriff eines Tieres erlebt. "Sie sind neugierig, kommen oft recht nah - aber man muss wissen, wie man sich verhält."
Aber was treibt Arndt an, wochenlang in Eis, Hitze oder völliger Abgeschiedenheit auszuharren – nur für ein einziges Bild? "Dieses Draußensein von Anfang an, die Unannehmlichkeiten – das gehört einfach dazu. Wenn du frierst, schwitzt, ewig wartest – und am Ende genau das Bild bekommst, das du dir über Wochen erarbeitet hast, ist das unglaublich befriedigend." Das Beobachten von Tieren bereitet ihm große Freude - und noch mehr, diesen Moment im perfekten Bild festzuhalten. "Ich glaube, ich bin ein Perfektionist", sagt er schmunzelnd.
Faszination Tierwelt - egal ob groß oder klein
"Die Kombination aus Tieren und Landschaft ist atemberaubend. Ganz gleich, ob es sich dabei um Insekten oder große Säugetiere handelt - ich fotografiere alles, von der Ameise bis zum Elefanten. Gerade die Abwechslung macht es so spannend." Besonders staatenbildende Insekten faszinieren ihn dabei. "Sie sind mindestens genauso spannend wie große Tiere. Es gibt nur wenige, die sich fotografisch mit ihnen beschäftigen – da lassen sich noch echte Entdeckungen machen. Makro-Fotografie erfordert nicht nur viel technisches Know-how, sondern auch Kreativität, Zeit und Spezialausrüstung."
Das weiß Arndt aus eigener Erfahrung – nach seinem preisgekrönten Puma-Projekt widmete er sich einer bisher kaum dokumentierten Geschichte: wildlebenden Honigbienen. Die aufwendige Recherche und Bildarbeit zahlte sich aus – das Projekt wurde ein großer Erfolg und ist auch bei der zweiten Staffel der Netflix-Dokumentarserie "Our Planet" zu sehen - natürlich vertont von David Attenborough. Irgendwann entschied Arndt sich jedoch bewusst gegen das Filmen als sein Hauptaugenmerk: "Beim Filmen musst du oft Kompromisse eingehen. Der Bildausschnitt passt nicht ganz, das Licht ist nicht ideal – aber die Geschichte muss weitergehen. Beim Fotografieren kann ich mich voll auf den perfekten Moment konzentrieren."
Gerade rechtzeitig vor dem ersten Corona-Lockdown kehrte Arndt dann nach einer monatelangen Tour aus Südamerika zurück. Inmitten der Pandemie erfüllte er sich schließlich einen lang gehegten Traum: Er zog aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Osthessen, verkaufte sein Haus, fand ein Grundstück – und baute dort sein eigenes Holzhaus auf Stelzen. "Das passte einfach perfekt." Und die nächste Geschichte wartete schon, quasi gleich im Wald nebenan: Ameisen.
Einblick ins Verborgene: Mitten im Ameisennest
Um den Waldameisen möglichst nahezukommen, nahm er zahlreiche Bisse und Säureattacken auf sich. "Ameisen zu fotografieren ist eine enorme Herausforderung: Sie sind winzig, bewegen sich schnell und reagieren empfindlich auf jede Störung. Besonders anspruchsvoll ist es, das Brutverhalten im Inneren eines Nests festzuhalten - denn das spielt sich komplett im Dunkeln ab und ist mit bloßem Auge kaum zugänglich." Durch Kontakte stieß Ingo Arndt auf Professor Christoph Kleineidam von der Universität Konstanz, der an Waldameisen forscht und die Genehmigung besitzt, ganze Völker ins Labor zu holen. Mit ihm und einer Sondergenehmigung konnte Arndt die geschützten Tiere in einem kontrollierten Umfeld fotografieren.
Für das Projekt baute er sich ein eigenes "Insektenstudio" zu Hause auf. Die eigentlichen Nestaufnahmen entstanden jedoch im Labor in Konstanz. Aus einem der mitgebrachten Völker durfte er sich Königin und Arbeiterinnen - alle aus demselben Nest - entnehmen, um kleine künstliche Nester aus Holz zu bauen. "Nur unter diesen authentischen Bedingungen zeigen die Tiere ihr natürliches Brutpflegeverhalten. Die Ameisen reagieren äußerst sensibel auf ihre Umgebung: Licht, Atemluft, Erschütterungen - all das kann sie stressen." Zu all dem veröffentliche Arndt zusammen mit Dr. Jürgen Tautz, Zoologe, Soziobiologe und Verhaltensforscher, ein neues Buch: "Waldameisen: Superheldinnen auf sechs Beinen" - eine absolute Pflichtlektüre für alle Insektenfans da draußen.
Mit seinen Bildern - die er auch über Instagram veröffentlicht - will Ingo Arndt aber nicht nur beeindrucken, sondern zum Nachdenken anregen - über die Schönheit und Verletzlichkeit der Natur. Der Naturschutz spielt dabei eine zentrale Rolle. In Patagonien erlebte er eindrucksvoll, was möglich ist: Menschen wie Kristine Tompkins – deren Mann "The North Face" und "Esprit" mitgründete – kauften riesige Landflächen, renaturierten sie und übergaben sie als Nationalparks an den chilenischen Staat – unter der Bedingung, sie auf ewig zu schützen.
"Solche menschenleeren, wilden Landschaften sind atemberaubend", sagt Arndt. "Genau solche Orte fotografiere ich - und stelle die Bilder bewusst "Rewilding Chile" zur Verfügung. Denn was ich zeige, soll auch geschützt werden. Der Natur etwas zurückzugeben, ist für mich ein zentraler Gedanke." (Mathias Schmidt) +++