Große Protestaktionen geplant

Hebammen schlagen Alarm: GKV-Beschluss sorgt für existenzielle Zerreißprobe

Hebammen in ganz Deutschland schlagen Alarm: Der GKV-Beschluss erfüllt nicht die Erwartungen.
Symbolbild: Pixabay

21.04.2025 / REGION - Während die Geburtenzahlen in Deutschland seit Jahren stabil bleiben, kämpfen freiberufliche Hebammen zunehmend mit schlechteren Arbeitsbedingungen. Besonders betroffen: die Beleghebammen. Ein aktueller Beschluss des GKV-Spitzenverbandes verschärft die Situation und sorgt in der Berufsgruppe für Unruhe. Paula Lohrenz erklärt im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS, wie hart der Alltag mittlerweile geworden ist.



Beleghebammen arbeiten freiberuflich und begleiten Frauen vor, während und nach der Geburt. Im Unterschied zu angestellten Klinikhebammen sind sie nicht fest in ein Krankenhaus eingebunden, sondern betreuen "ihre" Frauen individuell – auch im Kreißsaal. Dieser enge Betreuungsschlüssel ist für viele werdende Mütter ein wichtiger Sicherheitsfaktor. Doch der neue Beschluss des GKV-Spitzenverbandes (Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen) bringt Änderungen mit sich, die genau dieses Modell gefährden.

Kern des Beschlusses ist eine neu festgelegte Vergütung. Der Stundensatz für Hebammen wird auf circa 74 Euro angehoben – ein Wert, der auf den ersten Blick eine Verbesserung suggeriert. Doch für Beleghebammen gilt dieser Satz nicht in voller Höhe. Sie erhalten lediglich 80 Prozent davon, also rund 59 Euro. Für die zweite und dritte Frau, die sie gleichzeitig betreuen, gibt es dann nur noch 30 Prozent pro Fall. Lohrenz kritisiert: "Das steht in keinem Verhältnis zum Aufwand."

Zwischen hohen Kosten und sinkenden Zuschlägen

Der Stundenlohn allein sagt ohnehin wenig über die Realität aus. "Der klingt erstmal nicht schlecht", räumt Lohrenz ein. "Aber wir haben eine wahnsinnig teure Haftpflichtversicherung – rund 13.000 Euro jährlich. Pro Monat müssen wir mit etwa 3.000 Euro für Versicherungen rechnen." Hinzu kommen Steuern, Beiträge zur Berufsgenossenschaft, Fortbildungen, Notrufbereitschaft und nicht zuletzt: unbezahlte Rufzeiten. "Ich und mein Team sind dafür verantwortlich, dass der Kreißsaal gut läuft – rund um die Uhr."

Ein weiteres Problem betrifft die Zuschläge. Nacht-, Wochenend- und Feiertagszuschläge wurden von bisher 20 Prozent auf 17 Prozent gesenkt. In der Realität bedeutet das weniger Geld für Arbeitszeiten, die besonders belastend sind – psychisch wie körperlich. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten, was den Beruf zunehmend unattraktiv macht, insbesondere für Berufseinsteigerinnen.

Der Spagat zwischen Ideal und Realität

Zwar wurde im neuen Beschluss der Zuschlag für die gleichzeitige Betreuung mehrerer Frauen leicht erhöht – von 25 auf 30 Prozent – doch diese Regelung bringt den Beleghebammen in der Praxis wenig. Der Grund: Geburten lassen sich nicht planen. Frauen kommen zu unterschiedlichen Zeiten mit Wehen in die Klinik, manchmal gleichzeitig, manchmal nacheinander, oft auch nachts oder am Wochenende. Beleghebammen versuchen zwar, jede Frau individuell zu betreuen – also im sogenannten 1:1-Modell – doch genau das ist im Alltag fast nie umzusetzen. Selbst wer nur eine Geburt pro Tag begleiten möchte, kann nicht verhindern, dass plötzlich eine zweite Frau gleichzeitig im Kreißsaal liegt.

Und genau dies ist vielen Betroffenen ein Dorn im Auge: Für die erste Frau, die eine Beleghebamme betreut, bekommt sie 80 Prozent des Stundenlohns. Für die zweite und dritte Frau, die parallel betreut werden müssen, gibt es lediglich 30 Prozent des Stundelohns. Der GKV-Spitzenverband möchte mit dieser Regelung offenbar Druck in Richtung 1:1-Betreuung ausüben, meint Lohrenz. "Das klingt auf dem Papier sinnvoll, funktioniert in der Realität aber nicht." Denn weder die Frauen noch die Wehen halten sich an einen Zeitplan. Beleghebammen würden gern exklusiv für eine Gebärende da sein – doch dafür müssten Geburten planbar, das Kliniksystem flexibler und die Personaldecke deutlich besser sein. "In einer großen Klinik ist das einfach nicht realisierbar. Wir bräuchten pro Schicht acht Hebammen, um wirklich 1:1 zu arbeiten", so Lohrenz.

Hebammen warten auf eine Reform

Zusätzlich sorgt der lange Verhandlungsprozess für Frust. "Eigentlich wird die Gebührenordnung alle zwei Jahre neu verhandelt – dieses Verfahren hat jetzt sieben Jahre gedauert." Erschwerend kam laut Lohrenz hinzu, dass sich innerhalb der Berufsgruppe keine Einigkeit zeigte. "Berufspolitisch ist es so, dass sich niemand einig ist. Jeder Verband hat seine eigene Strategie verfolgt."

Die neue Vergütungsregelung gilt offiziell erst ab dem 1. November 2025. Bis dahin wurde eine Übergangsregelung beschlossen, nach der es ab Mai 2025 einen pauschalen Aufschlag von 4,3 Prozent auf alle geltenden Leistungen gibt. Für viele Hebammen ist das jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein – insbesondere für diejenigen, die ihre Arbeitskraft ohnehin schon am Limit erbringen.

Proteste im Anmarsch

Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten: Die Hebammen vernetzen sich bundesweit, organisieren Protestaktionen und planen groß angelegte Streiks – auch wenn der Kreißsaal nicht einfach geschlossen werden kann. "Wir haben große E-Mail-Verteiler erstellt, wir versuchen die Krankenhäuser mit ins Boot zu holen und werden von einer sehr engagierten Bundestagsabgeordneten unterstützt. Auch eine Armee von Anwälten prüft den Beschluss gerade auf Rechtsfähigkeit."

Für den 5. Mai, dem internationalen Hebammentag, sind deutschlandweit Proteste angekündigt. Lohrenz und viele ihrer Kolleginnen hoffen auch auf die Unterstützung der werdenden Eltern: "Wenn wir sichtbar werden, können wir vielleicht etwas bewegen."

Kommentar: Der Fall zeigt exemplarisch, wie eine ganze Berufsgruppe zwischen politischem Entscheidungsdruck und finanzieller Realität zerrieben wird. Die Beleghebammen stehen dabei im Zentrum eines Systems, das auf verlässliche und einfühlsame Betreuung setzt – aber diese Betreuung immer weniger honoriert. Ob der Beruf langfristig überleben kann, bleibt offen. Klar ist: Wenn sich die Bedingungen nicht deutlich verbessern, droht ein weiterer Rückgang dieser besonders engagierten Hebammenform – mit spürbaren Konsequenzen für die Geburtshilfe in Deutschland. Der Deutsche Hebammenverband informiert über Unterstützungsmöglichkeiten und kündigt Protestaktionen an. (Constantin Butler) +++

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