OsthessenNews

Literatur im Stadtschloss

KKK – Karl May, das Kino und die Kriege

Clemens Meyer liest aus seinem Roman „Die Projektoren“ Clemens Meyer liest aus seinem Roman „Die Projektoren“
Fotos: Jutta Hamberger

27.03.2025 / FULDA - Die diesjährige Reihe "Literatur im Stadtschloss" widmet sich unterschiedlichen Facetten des Themas 80 Jahre Kriegsende. Sie bringt uns auch gleich zu Beginn den größten Zoff der Buchpreisverleihung 2024 in den heimischen Fürstensaal. Den Auftakt nämlich machte Clemens Meyer mit "Die Projektoren", in das er mehr als acht Jahre Lebenszeit und Arbeit gesteckt hat.


Komplexität vom Feinsten

Clemens Meyer ist fast schon ein alter Hase im Eröffnen der Reihe "Literatur im Stadtschloss" – das tat er bereits 2014, damals mit "Im Stein" – und erinnerte sich daran, wie beeindruckt er von der Reihe, vomFürstensaal und einem Oberbürgermeister gewesen sei, mit dem er sich intensiv über Literatur unterhalten habe.

Das griff Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld in seiner Begrüßung auf, in der den Sponsoren der Reihe ebenso dankte wie dem Stammpublikum, das der Reihe seit Jahren die Treue hält. Ganz besonders aber würdigte er den Gründer der "Literatur im Stadtschloss" Dr. Wolfgang Hamberger, Oberbürgermeister a.D.und Ehrenbürger der Stadt, der genau vor vier Wochen gestorben war. "Wir vermissen ihn schmerzlich, nicht nur hier", so Wingenfeld, der das Publikum bat, sich für ein ehrendes Andenken zu erheben.

Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld lud alle ein, sich auf die Komplexität von Meyers Roman einzulassen. Es begann eine herrlich unordentliche Lesung, bei der man fallweise den Eindruck gewinnen konnte, die "Projektoren" hätten ihren Autor im Griff und nicht umgekehrt. Immer wieder suchte Meyer eine bestimmte Passage ("sie muss da sein, sie ist da irgendwo"). Es hätte aber auch wirklich nicht zum fragmentarischen Erzählstil des Romans gepasst, wenn sein Autor mit Post-it’s systematisch vorgegangen wäre, oder? Autor und Zuhörerschaft jedenfalls hatten ihr Vergnügen.

Wilde und überbordende Erzähllust

"Knaller der Saison" nannte Judith von Sternburg den Roman (Frankfurter Rundschau), eine "lustvolle Bändigung des Chaos" sah Niels Beintker (Südwestrundfunk), "das entscheidende Stichwort zum ambitioniertesten Roman des Herbstes" bewertete ihn Andreas Platthaus (FAZ), eine positiv gemeinte "Zumutung" sein Kollege David Hugendick (ZEIT), und Christian Buß empfand den Roman als den "rührendsten und grausamsten Roman der Saison" (Spiegel).

Angesichts so vieler Lorbeerkränze war ich angemessen beeindruckt. War ich dem Buch gewachsen, wollte ich ihm gewachsen sein? Immerhin beruhigte mich Katharina Teutschs Einschätzung (3sat Kulturzeit), dass man mit dem Buch auch eine Menge Spaß habe. Schon auf den ersten Seiten stellte ich beglückt fest: Das Buch ist gut, richtig gut. Und es ist eine lustvolle, erkenntnisreiche Zumutung.

Eine klassische Handlung gibt es nicht. Begriffe wie Erzählstrom oder Collage werden dem Buch gerechter. Meyer sorgt mit unzähligen Abwegen, Irrwegen, Seitenpfaden und Exkursen für Verwirrung, Erheiterung und tiefe Einblicke. Er spult in der Zeit vor und zurück, er wechselt die Erzählebenen, ist mal sachlich, mal komisch, mal ironisch unterwegs und hat auch kein Problem damit, dass manche Passagen an eine religiöse Litanei erinnern. Immer wieder kreist er um das Thema Gewalt und die Frage, was Männer daran eigentlich so anziehend finden. Gibt es auch Frauen in diesem Buch? Ja, wenige. Meistens müssen sie das Unglück, das die Männer hinterlassen, ausbaden und aufräumen.

Kein Deutscher Buchpreis

"Ich habe alles in dieses Buch gelegt", sagte Meyer mir nach der Lesung. Das spürt man. Und man versteht, warum Clemens Meyer seine Enttäuschung über den Nicht-Erhalt des Deutschen Buchpreises lautstark äußerte. Noch besser versteht man ihn, wenn man "Hey guten Morgen, wie geht es Dir", das Buch der Preisträgerin Martina Hefter, liest. Denn: In 10 Jahren werden uns Meyers "Projektoren" immer noch faszinieren. Martina Hefter hingegen wird man wohl einer anderen Gewichtsklasse zurechnen. Dafür gibt es berühmt-berüchtigte Vorbilder: Kein Mensch liest heute noch Wladyslaw Reymonts "Die Bauern"(Nobelpreis Literatur), sehr viele aber Thomas Manns "Zauberberg" (explizit kein Nobelpreis Literatur). Zeitgeistige Nettigkeit in Hefters Buch, der Geist eines ganzen Jahrhunderts eingefangen von Clemens Meyer. Der Oberbürgermeister hatte schon recht in seiner Begrüßung: sich mit Komplexität auseinanderzusetzen ist aus der Mode gekommen.

Übrigens ist der Deutsche Literaturpreis keine literarische Auszeichnung, sondern ein Verkaufsförderungspreis – er soll ein breites Publikum dazu bewegen, moderne Literatur zu kaufen. Das schafft er, ähnlich wie seine Vorbilder Man Booker oder Prix Goncourt in Großbritannien und Frankreich. Er wie auch andere Preise sagen wenig über die Qualität eines Buchs aus.

Ein Cowboy als Reiseführer durch das 20. Jahrhundert

"Alte Kinos, trashige Filme und menschliche Tragödien" machten dieses Buch aus, hieß es in der 3Sat Kulturzeit. Das ist ziemlich treffend, und ziemlich verkürzt. Clemens Meyers Roman ist eine Geschichte von Krieg und Gewalt. Der deutsche Überfall auf Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg, der Bürgerkrieg in diesem Land in den 1990er Jahren – das durchlebt die Hauptfigur, der "Cowboy". In den 60er Jahren sind die Deutschen wieder da, jetzt aber verkleidet als Cowboys und Indianer. Im Velebit-Gebirge drehen sie die Karl-May-Filme. Viele Kriegsopfer verdienen ein paar Jahre lang gutes Geld als Komparsen. Auch der Cowboy. Als die May-Erfolgswelle vorbei ist, geht er als Gastarbeiter nach Deutschland und schreibt dort Groschenromane im Stile Karl Mays. Als alter Mann schließlich reist er auf der Balkanroute, die einst auch Karl May genommen hatte, um seine im Orient spielenden Romane zu schreiben. Das ist in etwa der Handlungsfaden des Romans – aber ich sage gleich dazu, das ist nur das Gerüst, keineswegs das fertige Haus.

Auf einen Sitz durchlesen kann man die "Projektoren" nicht – das überfordert. Ich bin gut gefahren mit derPortionierung meines Lesevergnügens. "Weil diese Collage aus Abenteuerlegenden, Historie, Filmbildern, Brutalitäten, Kämpfen, europäischen Verstrickungen, Figuren, Erinnerungsströmen und Absurditäten immer wieder genau das große Ganze ergibt, auf das Clemens Meyer mit diesem Werk abzielt." (Nadine Kreuzahler, rbbKultur). Ein wahrhaft grandioser Roman!

Mit viel Beifall wurde Clemens Meyer nach seiner Lesung verabschiedet. Fuldas Literaturbegeisterte werden sich schon nächste Woche wieder im Fürstensaal einfinden, um dann Christoph Hein zu lauschen. (Jutta Hamberger) +++