Wahlkampf aus Migranten-Sicht
Jehad (24) kam aus Syrien: "Niemals geht man freiwillig von zuhause weg"

Fotos: Hans-Hubertus Braune
11.02.2025 / OBERAULA - Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl wird vor allem über die Migrationspolitik gestritten. Die Union hatte über ihren Spitzenkandidaten Friedrich Merz die Verschärfung der entsprechenden Gesetze gefordert und noch vor der Wahl durch den Bundestag bringen wollen. Das Vorhaben ist gescheitert, die Debatten bleiben unverändert.
In welche Richtung will sich Deutschland bewegen? Während vielfach in den hitzigen Reaktionen über die Menschen aus fernen Ländern verbal geurteilt und entschieden wird, ist es ganz sicher interessant zu hören, wie sie darüber denken.
OSTHESSEN|NEWS-Chefreporter Hans-Hubertus Braune hat sich in einem Café in Oberaula (Schwalm-Eder-Kreis) mit Jehad Abed Alrahman getroffen. Er ist 24 Jahre jung, geboren in Syrien, mit palästinensischer Staatsangehörigkeit. Beide kennen sich seit rund sechseinhalb Jahren vom Fußball. Im Sommer 2018 kam Jehad mit seiner Familie nach Deutschland, lebt seitdem in Oberaula und begann bei den A-Junioren vom JFV Aulatal mit dem Fußballspielen. Die Verständigung funktionierte vor allem mit Zeichensprache.
Sprache lernen als Basis der Integration
Inzwischen spricht Jehad fließend Deutsch und absolviert eine Ausbildung zum Lagerlogistiker beim Bad Hersfelder Buchhändler Libri. In wenigen Wochen steht die Abschlussprüfung an, anschließend soll der Weg weiter in eine Fortbildung führen. Fußballtechnisch hat er bei den Senioren der SG Asterode/Christerode/Schorbach eine neue sportliche Herausforderung gesucht und gefunden. "Ich bin Aulatal sehr, sehr dankbar. Meine Entscheidung hat nichts mit den Leuten dort zu tun. Ich möchte einfach was Neues ausprobieren", sagt der junge Mann und spiegelt seine Grundeinstellung wider."Niemals geht man freiwillig von zu Hause weg, niemand", sagt Jehad. Kriege, Elend, Hungersnot - es sind die Beweggründe. "Niemand geht da freiwillig weg, wo er aufgewachsen ist, wo seine Familie, seine Freunde sind. Sie nehmen viel Geld in die Hand, verkaufen ihre Häuser, verlassen ihre Heimat", sagt der junge Mann und spricht sich für eine offene Zuwanderung aus. "Ich finde es unmoralisch, den Leuten das wegzunehmen. Das ist wirklich traurig." Auf der anderen Seite kann er aber auch die Diskussionen verstehen. Gerade nach den Vorfällen in Magdeburg oder Aschaffenburg.
"Ich finde das einfach nur schrecklich"
"Ich kann verstehen, dass die Leute sich darüber ärgern. Wie kommt man auf die Idee, dass zu machen, ich kann mir das niemals erklären, ich finde das einfach nur schrecklich. Ich bin solidarisch mit jedem Menschen, der sein Leben zu Unrecht verliert, egal wer er ist, ob der Mensch ein Jude, Muslim oder Christ ist. Egal wo ich auf der Welt lebe, ich möchte niemanden in meinem Umfeld, in meinem Wohnhaus oder als Nachbarn haben, wo ich weiß, der ist ein Mörder, der ist ein Vergewaltiger", sagt er weiter. "Das Blöde ist nur, dass es diesen Menschen noch nie um die Opfer, um das Leid der Angehörigen ging, sondern immer nur darum, gegen eine bestimmte Gruppe zu hetzen." Die pauschalen Vorwürfe ärgern ihn."Warum passieren diese Kriege?"
Ihn beschäftigen die Unruhen in verschiedenen Regionen dieser Welt: "Du musst immer hinterfragen, warum passieren diese Kriege? Wer sind die Verursacher, wer unterstützt das?" Es gehe immer auch um viel Geld. Natürlich tauscht sich der junge Mann auch mit seinen Verwandten, mit seinen Freunden aus. Ein Freund studiert beispielsweise in Barcelona. Ihn hat er vor wenigen Wochen besucht. "Wir kennen uns seit der ersten Klasse. Ich versuche, ihn jedes Jahr zu besuchen." Ein weiterer Freund lebt in Italien. "Er war kürzlich bei mir. Wir sind von Düsseldorf mit dem Zug gefahren. Er wunderte sich, dass die Leute im Zug sich nicht unterhalten würden", sagt Jehad "Das ist normal hier in Deutschland, habe ich geantwortet." Die Deutschen seien nicht so offen, immer schlecht gelaunt, warum auch immer. In den Nachbarländern sei dies komplett anders, so die Erfahrung von Jehad und seinen Kumpels.Etwa in Schweden oder anderen Ländern wie Österreich, Italien oder Frankreich würden die Menschen die Migranten und Flüchtlinge offener empfangen. "Wenn man dort ist, die Sprache spricht und arbeitet, dann wird man so aufgenommen, als ob man dort seit 100 Jahren lebt, ganz anders als hier", sagt Jehad. Es gebe Millionen von Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder Religion, das sei normal und Standard. "Für mich ist das kein Unterschied. Stolz zu sein ist für mich keine Frage der Herkunft, sondern meiner Prinzipien."
"Wirklich gute Politiker finden eine Lösung"
Und wie denkt er über die Bundestagswahl, was wünscht er sich von der kommenden Regierung in Deutschland? "Ich muss sagen, ich verfolge das gar nicht so, das Ganze. Ich kriege einfach nur Kopfschmerzen. Das die immer so streiten. Als Bürger muss man das immer so sehen: Wenn sie wirklich gute Politiker sind, egal welcher Partei sie sind, dann werden sie sich immer für eine Lösung einig, die gut für uns alle ist. Man kann verschiedener Meinung sein, aber am Ende muss immer das Ergebnis sein, was für alle richtig ist. Aber das wird wahrscheinlich nicht passieren, weil jeder versuchen wird, an die Macht zu kommen, leider. Sie versuchen alles, mit unmoralischen Dingen, die Leute schlecht zu reden. Nur ich, ich, ich, ich. Ich und meine Leute. Das halte ich jedenfalls für falsch", sagt Jehad abschließend und bringt seine leere Tasse Espresso zurück an den Tresen. Wie so viele wünscht er sich - nicht nur an seinem 24. Geburtstag - einfach nur eine glückliche Zeit in einer friedlichen Welt.Am Abend ist Training. Am Wochenende unterstützt er ebenso gerne seinen Lieblings-Bundesligaverein Eintracht Frankfurt, reist mit ihnen durch Europa, chattet mit den Freunden aus fernen Ländern. Am Montag gehts wieder in die Logistikhalle bei Libri an die Arbeit. Ganz normal eben. Was spielt da die Hautfarbe, die Herkunft für eine Rolle? Keine. (Hans-Hubertus Braune) +++
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