Böse Abzocke mit Lebensrettern?
Versicherungen zermürben Feuerwehren
10.01.2014 / KIRCHHEIM -
Im Notfall sind sie einfach nur da, retten, löschen, helfen, wenn Mitmenschen oder ihr Hab und Gut in Gefahr sind. Sie machen ihren Job - gerade auf dem Lande - ehrenamtlich. Statt Dank und Anerkennung wollen offenbar einige Versicherer diese Leistungen nun schamlos ausnutzen. Sie weigern sich, dieses Engagement zu bezahlen - mit den Einnahmen aus Versicherungsbeiträgen. Stattdessen: Widersprüche, Ablehnung, Fragen, die offensichtlich nur ein Ziel haben: Die Gebühren zu umgehen. Der Gemeinde Kirchheim reicht es nun - sie wendet sich in einem eindringlichen Brief an die Politik und Öffentlichkeit. "Welche konkreten Leistungen wurden von den einzelnen Lösch- und Hilfeleistungstrupps ausgeführt? Wer kontrolliert das Handeln vor Ort (einschließlich der Abrechnungsvorschläge der übrigen Feuerwehren)?"
Es sind nur zwei von vielen Fragen, die das von einer Versicherung eingesetzte Havariekommissariat in Dresden der Gemeinde Kirchheim nach einem Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr gestellt hat. Konkret geht es um einen Einsatz am 1. August 2013 um 22:40 Uhr auf der A 7. Dort brannte ein LKW aufgrund eines technischen Defektes. Die freiwilligen Helfer eilten an die Brandstelle. Viel Löschwasser war nötig, um den massiven Brand zu bekämpfen. Der Einsatz wurde wie alle anderen Einsatze dokumentiert, der Verursacher der Schadenslage erhält in der Regel anschließend von der Kommune einen Gebührenbescheid.
"Dass sich in der Vergangenheit die Höhe der Gebührenbescheide auffällig nach oben bewegte, führte letztlich zu immer mehr Aufmerksamkeit bei den Versicherern. Bei Nachprüfungen der Bescheide wurden häufig Widersprüche zwischen den Einsatzberichten der vor Ort tätigen Einsatzleiter der FW und den Abrechnungsstellen in den Städten oder Gemeinden zum Nachteil der Schadenverursacher bzw. deren Versicherer festgestellt. Einen Schwerpunkt bildeten unter anderem überdimensionierte Fahrzeug- und Personalaufwendungen, obwohl sie nach einer gründlichen Lagebbeurteilung vor Ort hätten durchaus reduziert werden können", erklärte Dieter Leonhardt vom Havariekommissariat Dresden zum Verhalten der Versichrer, welches deutschlandweit bei den Feuerwehren diskutiert werde.
Die Abrechnung der Einsätze erfolgt nach einer von der jeweiligen Gemeindevertretung festgesetzten Gebührenordnung. Alles ist gesetzlich geregelt und hat bislang funktioniert. "Ich frage mich allen Ernstes, ob unsere Versicherer ihre Vorgehensweise nicht selbst als sehr zynisch betrachten. Ich persönlich sehe hier den Bogen zwischen normaler Überprüfung und der Suche nach dem Haar in der Suppe, um am Ende die Leistung zu kürzen oder nur einfach die Zahlung zu verzögern, bei weitem durch die Versicherer überspannt", schreibt Bürgermeister Manfred Koch in einem Brief an das Hessische Innenministerium. Das Schreiben liegt der Redaktion von osthessen-news.de vor.
"Wenn aber nun auch noch die Führungskräfte mit der Erstellung von zusätzlichen Aufsätzen und Berichten zusätzlich beschäftigt werden sollen, um ihnen die Sache madig zu machen und am Ende nur Zeit zu schinden und um die Zahlung zu verzögern, sind endgültig alle moralischen Grenzen überschritten", heißt es in dem Schreiben aus dem Kirchheimer Rathaus weiter. Auch Kirchheims Gemeindebrandinspektor Thomas Schneemilch kann die Vorgehensweise der Versicherer nicht mehr nachvollziehen und wird diese Fragen nicht mehr beantworten. "Am Einsatzort müssen innerhalb kürzester Zeit wichtige Entscheidungen getroffen werden. Wenn ich jetzt ständig im Hinterkopf habe, wie ich meine Entscheidung gegenüber der Versicherung erklären kann, weiß ich nicht, wie das noch funktionieren soll", sagte Schneemilch.
Er sieht darin auch die Gefahr, dass es künftig noch schwieriger werde, junge Führungskräfte für die Feuerwehrarbeit zu begeistern. Wer will sich dieser Verantwortung noch stellen? Bislang leisten die Einsatzkräfte unter dem Feuerwehr-Leitspruch "Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr" zu jeder Tages- und Nachtzeit Hilfe, um das Leben, das Hab und Gut der Mitmenschen zu retten. Der Profitgier einiger Versicherer scheint dies jedoch nicht billig genug zu sein. Vielleicht sollten sie eigene Feuerwehr-Standorte an den bundesweiten Autobahnen stationieren?
Dieter Leonhardt beschwichtigt und erklärte gegenüber osthessen-news.de: "Grundsätzlich sollte jedoch erkannt werden, dass die vorgenommenen Überprüfungen keine Diskriminierung der Einsatzbereitschaft oder des Leistungsvermögens der Kameraden der Feuerwehren bewirken sollen. Sie stellen auch keine Abwehrhaltung der Versicherungen dar. Vielmehr gebührt allen Einsatzkräften, die an der Schadenminderung nach einem Unfall tätig werden, Dank und Anerkennung." Ob dies die Versicherer in den Leitungsetagen ihrer Prunkbauten ähnlich sehen?
Koch fordert vom Gesetzgeber, ein solches Handeln der Versicherer abzustellen. Die Führungskräfte würden es nicht als ihre Aufgabe ansehen, ihre ehrenamtliche Arbeit über das übliche Maß hinaus zu dokumentieren und zu rechtfertigen. Koch wolle notfalls dem Regierungspräsidium Kassel als zuständige Behörde mitteilen, dass die Gemeinde Kirchheim dann nur auf dem Gebiet innerhalb der Gemarkungsgrenzen der Kommune auf der Autobahn (rund 20 statt 50 Kilometer) hilfeleistend tätig sein könne. Man wolle nun die Diskussionen um das Verhalten der Versicherer ins Rollen bringen, zumal diese Problematik ein generelles Problem sei (Anmerkung der Redaktion: Die Zuweisung von Autobahnabschnitten an Feuerwehren ist gesetzlich geregelt und unterliegt bestimmten Vorgaben etwa der technischen Ausstattung der Feuerwehren). (Hans-Hubertus Braune) +++