"Grober Unverstand"

Volksaufklärer wg. Freiheitsberaubung verurteilt


Fotos: Hans-Hubertus Braune

07.01.2014 / FULDA - Weil sie eine Vollstreckungsbeamtin des Fuldaer Finanzamts vorübergehend der Freiheit beraubt haben, waren am heutigen Dienstag acht Männer vor dem Amtsgericht Fulda angeklagt. Nach mehrstündiger Verhandlungsdauer wurden sieben von ihnen zu Geldstrafen verurteilt, der als geistiger Anstifter eingestufte Bernd B. zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe, die für drei Jahre zur Bewährung ausgeschrieben wurde.



Das Tatgeschehen war nach der Beweisaufnahme weitgehend unstrittig: Die Finanzbeamtin wollte am 6. Mai letzten Jahres bei einem der Angeklagten in Großenlüder-Müs (Kreis Fulda) eine Zwangsvollstreckung durchführen, sah sich beim Betreten des Wohnzimmers aber mit einer Gruppe Männer konfrontiert, die sie zum Teil als Mitglieder einer selbsternannten „Freien Arbeits- und Interessengemeinschaft Volksaufklärung" erkannte.

Das ließ sie Böses ahnen, denn bereits zweimal zuvor waren von den „Volksaufklärern" Gerichtsvollzieher an der Ausübung ihres Amtes gehindert worden. Die Gruppe erkennt die Legitimation staatlicher Institutionen und deren Vertreter nicht an und bestreitet die rechtliche Grundlage von Steuern.

Ihr war mulmig

Also beschloss die Finanzbeamtin kurzerhand, die Vollstreckung abzubrechen und versuchte, die Wohnung zu verlassen. Obwohl die Männer sie daran zu hindern versuchten, erreichte die Frau ihren Wagen. Doch weil sie von der Gruppe eingekesselt wurde, misslang ihr Fluchtversuch. Einer der Angeklagten nahm ihr den Autoschlüssel ab, so dass ihr nichts anderes übrig blieb, als im eigenen Auto eingeschlossen, ihren Vorgesetzten und die Polizei zu informieren. Dabei wurde sie von Gruppenmitgliedern fotografiert und gefilmt - die Bilder wurden später im Internet veröffentlicht. Wortführer Bernd B. soll die Frau seinerseits mit einer finanziellen Forderung konfrontiert und dabei gesagt haben, sie könne sich „schon mal einen Strick nehmen". Er kannte offensichtlich auch ihre Privatanschrift und erwähnte ihre beiden Kinder, was zu einer zusätzlichen Einschüchterung der Beamtin führte.

Polizeibeamte konnten die stark verängstigte Frau schließlich nach 30 Minuten aus ihrer misslichen Lage befreien. Sie fühlte sich bedroht und vom Vorgehen der Gruppe so traumatisiert, dass sie für 14 Tage krankgeschrieben wurde. Ihr Vorgesetzter sagte vor Gericht aus, dass seit dem Vorfall nur noch zwei Beamte gemeinsam zu Zwangsvollstreckungen geschickt würden und er bei solchen Einsätzen bis heute spüre, dass die Beamtin an den Folgen des angeklagten Vorfalls leide.

Alle leben am Rand des Existenzminimums

Während die persönlichen Daten der Angeklagten abgefragt wurden, stellte sich heraus, dass keiner der Männer mehr als 300 Euro zum Leben hat. Auf die Frage, wie er denn da zurechtkomme, antwortete einer von ihnen: „Ich esse gerne Kartoffelsuppe und mache mein Brennholz im Wald". Offenbar haben alle mehr oder weniger schlechte Erfahrungen mit Forderungen des Finanzamtes gemacht.

Ihr Rechtsvertreter Mario Benkert stellte zum Ende der Beweisaufnahme den Antrag, einen Nachweis über den Beamtenstatus der Nebenklägerin zu erbringen und die Verhandlung bis dahin auszusetzen. Den Antrag wies Richter Ulrich Jahn aber als unbegründet zurück.

Staatsanwalt Hellmich forderte in seinem Plädoyer Geldstrafen für sieben Angeklagte und für den Initiator der Aktion Bernd B., den er als „spiritus rector" der Gruppe einstufte, darüber hinaus eine Freiheitsstrafe. Den Vorgaben folgte das Gericht weitgehend und verhängte Geldstrafen für die als „Mitläufer" eingeschätzten Angeklagten von je rund 400 Euro. Bernd B. wurde zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt und muss sich künftig von Vollzugsbeamten fernhalten, die ihn nicht betreffen. Seine Forderungen seien völlig illusorisch und beruhten auf grobem Unverstand, attestierte ihm der Richter. „Man kann nicht das Recht in die eigene Hand nehmen, sonst kommen wir ins Chaos". Bleibt abzuwarten, ob die heute verurteilten Gruppenmitglieder Einsicht zeigen oder von ihrem Recht auf Berufung Gebrauch machen.+++ Carla Ihle-Becker

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