Die Geschichte der Russlanddeutschen

Zwischen zwei Welten: Ira Peter erzählt vom Leben als "Steppenkind"

Ira Peter während ihres bewegenden Vortrags.
Fotos: Katholische Akademie | Bistum Fulda

25.10.2025 / FULDA - Ein bewegender Abend über Herkunft, Identität und das Gefühl, nie ganz dazuzugehören: Mit klaren Worten, eindrucksvollen Bildern und ehrlichen Erinnerungen zog die russlanddeutsche Autorin Ira Peter ihr Publikum in den Bann. Im Rahmen eines Akademieabends der Katholischen Akademie Fulda las die in Kasachstan geborene Journalistin aus ihrem Buch "Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen" - und gewährte den zahlreichen Zuhörern tief persönliche Einblicke in die Geschichte und Gegenwart einer oft überhörten Bevölkerungsgruppe.



Der Titel ihres Buches sei bewusst provokant gewählt, erklärte die Autorin. "Deutsch genug?" - das klinge wie ein Vorwurf, sei aber in Wahrheit eine Frage, die viele Russlanddeutsche sich selbst stellen. Der Abend machte deutlich, dass es nicht nur um Herkunft, sondern auch um Identität und Anerkennung geht.

Eine Frage, die unter die Haut geht

Den ersten Kontakt zu Ira Peter hatte Gunter Geiger, Direktor der Katholischen Akademie Fulda, bereits vor drei Jahren bei einem Symposium zum Thema "Meinung - Mitsprache - Mitwirkung. Deutsche aus Russland in der öffentlichen Wahrnehmung". Aus diesem Austausch sei eine anhaltende Beschäftigung mit dem Thema entstanden. Gemeinsam mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung wurde schließlich die Idee geboren, Ira Peter für eine Lesereihe zu gewinnen. "Die starke Resonanz zeigt, dass das Thema viele Menschen bewegt", betonte Nathalie Burg von der Hessischen Landeszentrale. Besonders begrüßte Geiger unter den Gästen Margarete Ziegler-Raschdorf, ehemalige Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler.

Vom Ankommen und Anderssein

Ira Peter kam 1992 im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie aus Kasachstan nach Deutschland. Eine Szene aus ihrem Buch beschreibt die Ankunft eindrücklich: Ihr Vater berührte den Asphalt mit der Hand und sagte: "Das ist deutsche Qualität." - ein Satz, der das Publikum im Saal spürbar berührte. In ihrer kasachischen Heimat gab es keine asphaltierten Straßen.

Die Familie Peter gehört zu den rund 2,4 Millionen Russlanddeutschen, die seit den 1950er-Jahren nach Deutschland übersiedelten. Ihre Vorfahren waren deutsche Auswanderer, die im 18. Jahrhundert auf Einladung von Zarin Katharina der Großen an die Wolga und das Schwarze Meer kamen.

"Sie wurden in Büdingen registriert", berichtete Albina Nazarenus-Vetter von der Interessengemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen (IDRH). Nazarenus-Vetter, die selbst in Sibirien aufwuchs, erzählte von ihrer eigenen Migration nach Deutschland im Jahr 1994. Katharina II. habe den deutschen Siedlern einst zugesichert, ihre Sprache, Kultur und Religion bewahren zu dürfen - ein Versprechen, das später in der Sowjetunion gebrochen wurde.

Überleben in der Steppe

In ihrem Buch verwebt Ira Peter Familiengeschichte und kollektives Gedächtnis. Unter Josef Stalin begann 1941 die große Katastrophe: Rund 1,2 Millionen Russlanddeutsche wurden aus ihren Siedlungen an der Wolga und am Schwarzen Meer in den Osten deportiert. Peters Familie wurde aus der Westukraine in eine mehr als 3.000 Kilometer entfernte Siedlung in Kasachstan verschleppt. "Steppe - also viel Schnee im Winter, Matsch im Frühjahr und Staub im Sommer", beschreibt sie die neue Heimat. In Anlehnung daran trägt ihr Podcast, den sie gemeinsam mit einem Kollegen betreibt, den Titel "Steppenkinder".

Die Deportation bedeutete Leid, Heimatverlust und Tod. Deutsch - die "Sprache Hitlers" - zu sprechen, war verboten, ebenso die Religionsausübung. Dennoch bewahrten viele Familien ihren Glauben und ihre Sprache im Verborgenen. Zu den wenigen Habseligkeiten, die sie retten konnten, gehörte oft eine Bibel. Als ihr wertvollstes Erinnerungsstück bezeichnet Peter ein Heft mit handschriftlich überlieferten Liedtexten wie "O du Fröhliche".

Zwischen Misstrauen und Integration

Noch heute, so berichtet Nazarenus-Vetter, sei bei vielen älteren Russlanddeutschen das durch Repressionen geprägte Misstrauen gegenüber der Öffentlichkeit spürbar. "Viele haben gelernt, sich zurückzuhalten", sagte sie. Zugleich gebe es zahlreiche Beispiele gelungener Integration: "Viele meiner Landsleute arbeiten, gründen Familien und tragen zur Gesellschaft bei - auch wenn ihre Abschlüsse hier oft nicht anerkannt werden und sie Tätigkeiten übernehmen müssen, für die sie überqualifiziert sind."

Eine Stimme für die, die lange schwiegen

Mit ihrem Buch und ihrer Lesung möchte Ira Peter eines erreichen: dass endlich gesprochen wird - über Herkunft, Geschichte und Zugehörigkeit. "Mit meiner Arbeit will ich dazu beitragen, das Schweigen zu brechen und den Russlanddeutschen eine Stimme zu geben", sagte sie zum Abschluss des Abends. (pm/cb) +++

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