Rehkitze entkommen der Mähwerk-Gefahr
Ehrenamtlich Leben retten: "Hand in Hand" wird der qualvolle Tod verhindert
Fotos: Rehkitzrettung Osthessen / Christian Bug
24.05.2025 / REGION -
Wenn die Sonne im Mai die Wiesen erwärmt, beginnt für viele Rehkitze ein tödliches Spiel mit der Zeit. Sie sind noch zu klein zum Flüchten, besitzen keinen ausgeprägten Fluchtinstinkt – und bleiben reglos liegen, wenn sich etwas nähert. Was ein Überlebensvorteil gegenüber natürlichen Feinden ist, wird ihnen im Kontakt mit dem Mähwerk zum Verhängnis. Doch engagierte Tierschützer, Jäger und Landwirte schlagen Alarm – und setzen und greifen aktiv ein.
Zwischen Mai und Juni, während der sogenannten Hauptsetzzeit, werden Rehkitze geboren. Nur wenige Stunden nach der Geburt stehen sie auf wackeligen Beinen, doch die meiste Zeit verbringen sie gut versteckt im Gras. Ihre Mütter – Ricken genannt – entfernen sich oft nach dem Säugen, um Raubtiere nicht anzulocken. Weil die Kitze in dieser frühen Phase noch keinen Eigengeruch entwickeln, schützt sie das vor Fressfeinden. Sobald sich Gefahr nähert, ducken sie sich – der sogenannte "Drückinstinkt". Diese Strategie funktioniert in der Natur gut, gegen landwirtschaftliche Maschinen aber ist sie wirkungslos.
Die unsichtbare Gefahr im hohen Gras
Jedes Jahr sterben unzählige Kitze einen qualvollen Tod unter dem Mähwerk. "So ein Kitz ist dann oft nicht sofort tot – es werden Gliedmaßen abgetrennt. Das ist auch für den Landwirt sehr verstörend", erklärt Annika Sieber vom Projekt Rehkitzrettung Hersfeld-Rotenburg. Für sie steht fest: "Es ist ein sehr qualvoller Tod." Hightech gegen Tierleid
In den frühen Morgenstunden, bevor die Sonne den Boden zu stark erwärmt, heben moderne Drohnen mit Wärmebildtechnik ab. Sie erkennen die Körperwärme der versteckten Jungtiere und helfen dabei, sie aus dem Gefahrenbereich zu bringen. "Es ist ganz wichtig, mit Einweghandschuhen und Grasbüscheln das Kitz anzufassen, so dass das Tier keinen menschlichen Geruch annimmt", erklärt Jagdpächter Niklas Eydt, der sich seit Jahren für die Rehkitzrettung einsetzt. "Ansonsten nimmt das Muttertier das Kitz nicht mehr an."Eydt schildert einen typischen Einsatz: "Heute Morgen hat bei mir um 4:30 Uhr der Wecker geklingelt. Nach einer Tasse Kaffee ging es dann raus ins Revier." Gemeinsam mit seinem Team ging es auf eine gemeldete Fläche. "In der ersten Wiese lagen direkt zwei Kitze. Auf einer anderen Wiese lagen noch zwei weitere – die konnten wir dann ebenfalls sichern."
Dauereinsatz zur Lebensrettung
Christian Bug von der Rehkitzrettung Osthessen ergänzt: "Schon vor 15 Jahren haben wir die Aktion ‚Mäh kein Reh‘ ins Leben gerufen. Damals war das noch Pionierarbeit. Heute sind wir ein eingetragener Verein mit fünf eigenen Drohnen." Die Initiative ist mittlerweile ein Vorzeigebeispiel für ehrenamtliches Engagement mit professioneller Ausrichtung. "Wir haben immer um die 80 Einsätze im Jahr. Das heißt, 80 Mal morgens früh aufstehen und herausfahren. An den Abenden vorher koordinieren wir alles." Einsatz mit Herz – aber auch mit Grenzen
Die Arbeit ist intensiv, ehrenamtlich und nicht überall gleichzeitig möglich. "Wir können ja auch nicht überall sein", sagt Annika Sieber: "Deshalb wünschen wir uns, dass in jeder Gemeinde ein Drohnenpilot aktiv ist." Noch gehöre das Projekt dem Hersfelder Tierschutzverein an, sei aber auf dem Weg zur Eigenständigkeit.Die Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Jägern und Naturschützern läuft reibungslos. "Uns ist wichtig, dass die Lösung aus der Landwirtschaft heraus kommt", betont Christian Bug: "Wir warten nicht auf Vorschriften, sondern handeln, bevor es andere für uns regeln."