In der Kapelle des Vonderau Museums
Konzert des Neo Quartetts: Er trifft Dich mit bleierner Kugel
Fotos: Henrik Schmitt
25.04.2025 / FULDA -
Der Jom Ha’Shoa 2025 war in Fulda ein kühler und regnerischer Tag. Was am Vormittag mit einer Gedenkstunde inklusive Verlesung der Namen aller 443 ermordeten Fuldaer Jüdinnen und Juden begonnen hatte, endete am Abend mit einem außergewöhnlichen Konzert in der Kapelle des Vonderau Museums. Im Zentrum stand die Vertonung von Celans "Todesfuge".
Renommiertes Ensemble zu Gast in Fulda
Die Musiker des polnischen Neo Quartetts – Karolina Piatkowska-Nowicka (1. Violine), Pawel Kapica (2. Violine), Michal Markiewicz (Viola) und Krzysztof Pawlowski (Violoncello) – sind Spezialisten zeitgenössischer Musik. Sie konzertieren weltweit in den bedeutendsten Konzertsälen und bei bekannten Musikfestivals. Dass dieses hochkarätige Ensemble Zeit für den Weg nach Fulda fand, ist Michael Quell zu verdanken, Fuldas (und Europas!) großem Komponisten zeitgenössischer Musik, der die Reihe Neue Kammermusik verantwortet. Als Besucher durfte man sich an diesem Abend wie in der Carnegie Hall fühlen, zumal es noch ein weiteres Highlight gab: Die Komponisten der gespielten Werke waren alle anwesend. Die Präzision und Leidenschaft des Neo Quartetts ist phänomenal, im Miteinanderspielen genauso wie in der Interpretation und dem Bewältigen technisch anspruchsvollster Passagen. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland
Das Programm des Abends stellt Detlef Heusingers Komposition "Todesfuge" für Bassbariton, Gitarre und Streichquartett ins Zentrum. Man muss sich das bitte einmal vergegenwärtigen: Ein polnisches Kammerensemble spielt in Deutschland die Musik eines deutschen Komponisten, der das berühmteste Gedicht über den Holocaust in Musik setzt, das von einem bukowinisch-deutsch-jüdischen Dichter über einen der schrecklichsten Orte, den Menschen je geschaffen haben, geschrieben wurde. Adornos Verdikt von 1949, nach Auschwitz sei es barbarisch, Gedichte zu schreiben, ist längst und mehrfach widerlegt worden, vielleicht am stärksten mit diesem Gedicht (das Adorno von seinem Diktum auch ausnahm). Celan ästhetisiert nichts, er lässt das Entsetzen des Todeslagers in aller Brutalität so stehen. Und wirken.Die 1944 entstandene "Todesfuge" steht emblematisch für die Shoa. Sie erschließt sich nie völlig und konfrontiert einen immer wieder aufs Neue mit ihrer wahrhaft abgründigen Tiefe. Vielleicht kann man sie als DAS Gedicht des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Wie das so ist, mit kanonisch gewordenen Werken lief auch die "Todesfuge" Gefahr, "lesebuchreif gedroschen zu werden", wie Celan selbst es einmal formuliert hat. Denn Kanonisierung löscht nun einmal die empathisch-kritische Auseinandersetzung. Durch die Konfrontation mit der für die meisten Hörer ungewohnten zeitgenössischen Musik konnte und durfte man sich diesem Gedicht wieder aussetzen.
Werk eines unbekümmerten jungen Mannes
Heusinger schrieb seine Vertonung 1979/80, da war er gerade einmal 22 Jahre alt. Im Einführungsgespräch meinte er, nur dank seiner jugendlichen Unbekümmertheit habe er sich an dieses Werk herangetraut. Als politisch aktiver Student nahm er betroffen den damals erstarkenden Antisemitismus innerhalb der deutschen Linken wahr, auch das ein Grund für das Entstehen dieses Werks. Heusingers Vertonung ist nicht die einzige der "Todesfuge", aber so ziemlich die einzige, die übriggeblieben ist – und das darf man als Aussage über die Kraft dieses Stücks verstehen. Das Drumherum
Warum nur wählt man für anspruchsvolle zeitgenössische Musik das konventionellste aller Konzert-Settings mit zwei Teilen und einer Pause? Braucht und fordert diese Musik nicht eine andere Art der Vermittlung? Und hätte man dem zentralen Stück des Abends nicht thematisch passende an die Seite stellen können oder den Genrebruch wagen müssen und zum Beispiel Literatur oder bildende Kunst integrieren? Wie das geht, hat Michael Quell in Fulda ja schon einmal mit Franz Erhard Walther vorgeführt – und das war sehr erhellend. Jenseits der oft arg gedrechselten Texte in Programmheften braucht zeitgenössische Musik Anschauungsmaterial, und vielleicht auch die Ermutigung, sich einfach mal auf das Zuhören und Zuschauen einzulassen und zu beobachten, was man wahrnimmt.