OsthessenNews

Die ‚Entjudung‘ von Theologie und Kirchen

Vortrag über Walter Grundmann und das Eisenacher ‚Entjudungsinstitut‘

„Wie Jesus zum ‚Arier‘ wurde – Vortrag von Dr. Torsten Lattki. Auf dem Bild außedem Jan-Ulrich Spies (Generalsekretär DKR), Marliese Heiligenthal (Vorstand GCJZ) und Gunter Geiger (Katholische Akademie) „Wie Jesus zum ‚Arier‘ wurde – Vortrag von Dr. Torsten Lattki. Auf dem Bild außedem Jan-Ulrich Spies (Generalsekretär DKR), Marliese Heiligenthal (Vorstand GCJZ) und Gunter Geiger (Katholische Akademie)
© Alle Fotos: Jutta Hamberger, GCJZ Fulda

11.04.2025 / FULDA - Antisemitismus ist keine Erscheinung der NS-Zeit, sondern begleitet das Christentum von Anfang an. Das ist den meisten Menschen durchaus bewusst. Der Vortrag von Dr. Torsten Lattki von Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) über das Eisenacher ‚Entjudungsinstitut‘ wurde jedoch für alle zum Blick in einen Abgrund.



Arisierung als kirchliche und religiöse Dimension

"Etwa 80-90 Prozent der Deutschen wissen nichts über das ‚Entjudungsinstitut‘, und auch in evangelischen Kreisen kennt man vor allem Grundmanns Kommentare", begann Dr. Torsten Lattki seinen Vortrag. Walter Grundmann habe dort umgesetzt, was in der Godesberger Erklärung von 1939 formuliert worden war: "Der christliche Glaube steht in einem unüberbrückbaren religiösen Gegensatz zum Judaismus." Lattki führte aus, dass der Begriff der ‚Arisierung‘ durch Walter Grundmann um eine religiöse, kirchliche und theologische Dimension erweitert worden sei.

Grundmann wurde 1939 zum akademischen Direktor des ‚Entjudungsinstituts‘ ernannt. In seiner Eröffnungsrede verglich er die Aufgabe des Instituts mit der Reformation Luthers: Luther habe den internationalistischen Katholizismus überwinden müssen, heute müsse der Protestantismus das Judentum überwinden, um Jesu wahre Botschaft zu verstehen. Man wolle Hitler mit einem "judenreinen" Christentum zur Seite stehen.

Etwa 180 Mitarbeiter hatte das Institut, überwiegend männlich und evangelisch. Sie waren aktiv in Arbeitskreisen, Publikationen oder durch finanzielle Unterstützung des Instituts. "Ich habe das überprüft – aus Fulda war niemand dabei", so Torsten Lattki. Dabei aber waren andere Hessen, etwa Karl Friedrich Euler aus Gießen, der 1939 mit Walter Grundmann das Buch "Das religiöse Gesicht des Judentums" verfasst hatte. Im selben Jahr erschien Grundmanns Buch "Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche". Seine Gesinnung wird in diesem Zitat deutlich: "In der Frage des möglichen Einflusses des Judentums oder des jüdischen Geistes auf das deutsche religiöse Leben, und der Frage der Ausschaltung dieses Einflusses ist die unaufschiebbare und unausweichbare Grundfrage der gegenwärtigen deutschen religiösen Situation gestellt."

Volkstestament und Katechismus nach NS-Ideologie

1940 publizierte Grundmann ein sogenanntes Volkstestament und den Katechismus "Deutsche mit Gott". In diesem Volkstestament fehlt das Alte Testament völlig, denn es sei "Ausdruck einer fremden Rassenseele" und müsse religiös und pädagogisch abgelöst werden durch "germanisch-religiöses Erleben". Es fehlen sämtliche hebräischen Worte, durch die Veränderung vieler Details wurde der jüdische Lebenskontext komplett verleugnet. Jesu Kämpfe muteten nun ‚arisch‘ an und waren gegen die Juden gerichtet. Sämtliche positiven Bezüge zur jüdischen Religion wurden getilgt. Auch im Katechismus wurde die Texte entsprechend der NS-Ideologie überarbeitet – ein besonders krasses Beispiel ist die Neuformulierung der zehn Gebote.

Antisemitische Codes

In seiner Schrift "Jesus der Galiläer und das Judentum" von 1940 verortet Grundmann die "arischen Volksstämme" in Galiläa, wo sie um 1.400 v.d.Z. gelebt hätten und dann zwangsjudaisiert worden seien. Der Begriff "Galiläer" ist bis heute ein antisemitisches Codewort und meint ‚Arier‘. Jesus wird hier beschrieben als Verbündeter der Deutschen, dessen Leben eine "Kampfansage gegen die jüdische Art sei". 1941 erschien das Gesangbuch "Großer Gott wir loben Dich", für das 2.300 Kirchenlieder überprüft wurden. Nur 5 Prozent wurden übernommen, der Rest abgelehnt und entfernt.

Ein weiteres antisemitisches Codewort ist "Pharisäer". Diese wurden durchweg negativ dargestellt – geldgierig, mit "peinlicher Gesetzesobservanz", engstirnig, rach- und vergeltungssüchtig und nur auf den eigenen Verdienst bedacht. Als "Orientalen" sei es ihnen eigen, sich zu verstellen. Das Judentum wird ausschließlich negativ beschrieben mit Begriffen wie Selbstsucht, Gewalt, Egoismus und Arroganz. Grundmann bespielt hier die gesamte Klaviatur christlich-antisemitischer Vorurteile und konstatiert, dass die ‚Entjudung‘ Jesus eine wissenschaftliche, pädagogische und seelsorgerische Aufgabe" sei.

Lebenslänglicher Antisemit

Bei Grundmann wiederholt sich eine bittere Konstante deutscher Geschichte: Er wurde nie als Täter zur Rechenschaft gezogen, im Gegenteil, es fanden sich nach 1945 zahlreiche Entlastungszeugen. Grundmann blieb bis zu seinem Tod in Amt und Würden. Bald verfasste er wieder Kommentare, die zur Standardliteratur in der theologischen Ausbildung gehörten. Anfang der 1950er Jahre hatte er wieder Lehraufträge und wirkte als Dozent. Seine antisemitische Gesinnung jedoch legte er nie ab – zwar formulierte er vorsichtiger als in der NS-Zeit, die antijüdischen Codes aber blieben. Fast schon zwangsläufig wurde Grundmann auch IM der Staatssicherheit, und zwar aus Überzeugung. Die volle Loyalität seiner Bürger einzufordern sei schließlich das Recht jeden Staates. Und noch eine Konstante wiederholte sich: die zähe Aufarbeitung nach 1945, die viele Hindernisse und Widerstände überwinden musste. ‚Man‘ wollte es nicht wissen, sondern am liebsten alles auf sich beruhen lassen.

In Grundmanns gesamten Werk wird die Shoah nicht ein einziges Mal erwähnt. So sind sein Leben genauso wie sein Wirken beredtes Beispiel dafür, dass die Deutschen keineswegs ein Volk von Verführten und Opfern waren, sondern in ihrer Mehrzahl Täter und Mittäter an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Im Kreis der Zuhörerinnen und Zuhörer war das Interesse, sich damit auseinanderzusetzen, hoch – das zeigte auch die lebhafte Diskussion nach Torsten Lattkis Vortrag. Es gibt wohl keinen, der an diesem Abend nicht mit beklommenem Herzen nach Hause ging. (pm/ci)+++