Sie polarisiert
"Von Juden lernen" – Lesung mit Mirna Funk im Kanzlerpalais

Fotos: Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ Fulda
20.03.2025 / FULDA - Mirna Funk polarisiert – und will das auch so. Die in Berlin geborene Autorin lebt heute in Tel Aviv (ihr erster Wohnsitz) und Berlin, studierte Philosophie und sagt über sich: "Meine Hobbys sind, über Juden, Sex und Geld zu schreiben." Am 13. März war die Bestseller-Autorin im Rahmen des Programms der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ für eine Lesung in Fulda.
Tikkun Olam
Die Kraft von "Tikkun Olam" konnte man in Israel nach dem 07. Oktober 2023 erleben: Alle packten an, jede/r half, wo es nur ging. "Tikkun Olam" ist der Auftrag an jeden Einzelnen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, oder – in Mirna Funks Worten, "die Welt zu reparieren". Dafür haben wir alle die Verantwortung. Es geht dabei nicht um ein Paradies auf Erden, das es nach jüdischer Vorstellung schon deshalb nicht geben kann, weil wir Menschen das Gute wie das Böse in uns tragen und ein rein guter Ort daher im wörtlichen Sinne unmenschlich wäre. "Tikkun Olam" ist die Aufforderung, das Schlechte zu bekämpfen und das Gute in die Welt zu bringen. Anspruchsvoll – und weitaus schwieriger, als beständig (uneinlösbare) populistische Heilsversprechen zu machen. "Befreie Dich vom Bedürfnis nach einfachen Antworten und halte die Freiheit des anderen aus", so Funk. Machloket
Um das Prinzip "Machloket" zu verdeutlichen, erzählt Mirna Funk einen jüdischen Witz: "Was macht ein Jude, der wir Robinson auf einer einsamen Insel strandet? Er baut zwei Synagogen. Und was sagt der einsame Jude, wenn man ihn nach Jahren endlich findet? Die erste Synagoge ist für mich. Die zweite ist die, in die ich niemals gehen würde." Das sei das Grundprinzip von "Machloket" – der Kunst, richtig zu streiten. Streit ist im jüdischen Denken nichts Negatives, sondern ein Disput zwischen widerstreitenden Auslegungen und Positionen. Es geht nicht darum, zu gewinnen (oder zu verlieren). Es geht um Erkenntnis, und die entsteht im Respektieren anderer Sichtweisen. "Wir müssen (…) eine andere Position nicht als Angriff auf uns selbst, sondern als Erweiterung unseres eigenen Denkens begreifen", so Funk. Wer streitet, um recht zu haben, habe den Kerngedanken von "Machloket" nicht verstanden.Verkürzt gesprochen könnte man "Machloket" als die Fähigkeit zum inneren Zwiegespräch bezeichnen. Das gelingt nur Menschen, die "ein Jemand" sind – "ein Niemand" ist dazu unfähig. Mirna Funk nennt als Beispiel NS-Verbrecher wie Adolf Eichmann. Denn im inneren Zwiegespräch setzt man sich mit Dichotomien auseinander und kommt ab vom Gedanken der eigenen moralischen Überlegenheit – die ja immer die Unterlegenheit anderer inkludiert. "Denken entsteht beim Denken mit sich selbst", so Mirna Funk.
Eingedenken
Das dritte Prinzip, das Mirna Funk vorstellte, war das "Eingedenken" das Verständnis darüber, dass man die Gegenwart nur aus dem Gestern heraus verändern könne. Das Eingedenken symbolisiert das wechselseitige Erinnerungsgebot zwischen Gott und dem Jüdischen Volk. Das steht im Zentrum vieler jüdischer Feste und Rituale und steht so für die dialogische Wechselseitigkeit, die Gegenwart und Vergangenheit beachtet. So sieht es Walter Benjamin in seiner Schrift "Über den Begriff der Geschichte", die er 1940 kurz vor seinem Selbstmord schrieb. Gegenwart findet erst dann statt, wenn wir uns mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben.